European month of photography

Wolkenbruch

Sinje Dillenkofer
Foto: Boris Loder
d'Lëtzebuerger Land vom 05.05.2017

Looking for the clouds ist das Motto des diesjährigen European month of photography (Emop), der im Wechsel mit anderen europäischen Hauptstädten alle zwei Jahre unter der Organisation von Pierre Stiwer und Paul Di Felice in Luxemburg stattfindet. Nachdem zuvor bereits erste Ausstellungen im Mudam und im MNHA eröffneten (siehe d’Land 15/17), regnete es – um bei der Metapher zu bleiben – letzte Woche noch eine wahre Flut an Bildern übers Land, insbesondere in die Stadt, wo in der Abtei Neumünster, dem Cercle Cité und dem Casino weitere große Gruppenausstellungen eröffnet wurden.

Begleitet vom internationalen Tross der Kuratoren aus den beteiligten Ländern begann die Eröffnungstour mit der Vernissage der Ausstellung Shifts in der Abtei Neumünster. In der Kapelle pflegen vier italienische Fotografen einen stark subjektiven Blick. Die deutsch-Italienerin Bärbel Reinhard präsentiert mit As above so below ein fotografisches Notizbuch, in dem sie Fotografien unterschiedlicher Objekte und Szenerien anhand persönlicher Assoziationen paart. Manches ist visuell nachvollziehbar, wie die Kombination zerfurchter Pflanzenblätter mit einer zertalten Reliefkarte, anderes bleibt subjektiv konnotiert. Ähnlich persönlich und grafisch überaus interessant gestaltet sich Stefano Parrinis Projekt Home, in dem er abstrakte Bilder des Interieurs seiner Wohnung mit Sternkarten und Beschreibungen versieht, und so einen häuslichen Mikrokosmos schafft.

Im Kreuzgang der Abtei zeigt Christian Gattinoni mit Deuxième génération: la Mémoire contre tous les fascismes Arbeiten aus mehreren Jahrzehnten. Die verstörende Kombination historischer Aufnahmen deportierter Juden mit Bildern der Karkasse eines gegrillten Rinds ist ein Apell an die „zweite Generation“, die er nun, da es immer weniger Zeitzeugen gibt, in der Pflicht sieht, die Erinnerung an die Nazi-Barbarei aufrecht zu erhalten.

Ein Rückgriff auf die jüngere Geschichte liegt als Ausgangspunkt der Ausstellung Contemporary photography in times of conflict im Casino zugrunde. Die Ausstellung beginnt mit Arbeiten zum 11. September 2001, wie etwa Richard Drews ikonischer Aufnahme des Falling man, der sich während des Terroranschlags aus dem WTC stürzte. In Anbetracht der gegenwärtigen Flüchtlingsthematik, die in einigen Werken präsent ist, bildet der Rückgriff auf den 11. September einen Wendepunkt, ohne den gegenwärtige Konflikte nicht nachzuvollziehen sind. Doch dominiert das Ereignis sehr stark: Hans-Peter Feldmann zeigt 160 Titelseiten internationaler Zeitungen vom 12. September – eine Arbeit, die verdeutlicht, wie sehr der Impakt des Ereignisses durch die massenhafte mediale Verbreitung der Bilder von den brennenden Twin Towers potenziert wurde. Ob Feldmanns Cover, Swen Renaults Bilder von Linienflugzeugen, die scheinbar New Yorker Fassaden tangieren, Sinje Dillenkofers abfotografierte Reste von Stahlstehlen, die im Boden des 9/11 Museums wie Narben zurückblieben – die Arbeiten folgen vergleichsweise simplen Konzepten.

Mit Omer Fasts Videoinstallation 5 000 Feet is the best rückt mit dem Drohnenkrieg ein Resultat dieses historischen Wendepunkts in den Blick. Die Arbeit basiert auf einem Gespräch mit einem Drohnenpilot, in dem dieser über seinen Berufsalltag ebenso wie über Fehler und Reue berichtete. Die Umsetzung erfolgt als Reinszenierung mit einem Schauspieler, unterbrochen von dessen Exkursionen durch Las Vegas. Die Vermengung von Fakt und Fiktion mit einem Rückgriff auf special effects und verwackelte Kameraführung zeigt die Bedeutung der Repräsentation in Relation zum eigentlichen Inhalt auf. Die Glaubwürdigkeit entsteht mehr aus der Darstellung als aus dem Gesagten. Weiter erwähnenswert ist die Arbeit der Luxemburger Künstlerinnen Carine und Elisabeth Krecké, die mit 404 Not found eine Verschriftlichung rechtlich geschützter Google Street View Bilder präsentieren und das Gezeigte durch die Möglichkeiten des Textuellen hinterfragen.

Vollständig dem Dokumentarischen verschrieben haben sich die Fotografen der Ausstellung Borderlines im Cercle Cité. Der frühere Land-Fotograf Patrick Galbats dokumentiert Ungarn, das Herkunftsland seiner Familie, und stößt dabei auf Symbole und Zeichen des wiederaufkeimenden Faschismus, wie rechtsradikale Fahnenträger oder die nationalistisch-nostalgische Pflege heroischer Denkmäler. Narrativ ebenso stark und in den Pastelltönen ansprechend ist die Arbeit des Tschechen Martin Kollar, der in einem gemeinsamen Projekt mit Fotografen wie Jeff Wall oder Thomas Struth in Israel verschiedenste Szenerien fotografierte, die ohne Kontext schwer zu verstehen sind: Schläuche, die aus einem blanken Flugzeugrumpf ragen, eine Patientin mit Elektroden auf der Stirn und einem Schlauch in der Nase, ein blutiges Schaf mit einem großen eingefassten Loch in der Flanke. Kollar kosteten diese Einblicke nach eigener Aussage mitunter extrem viel Überzeugungskraft. Ständig fühlte er sich dabei von den israelischen Autoritäten beobachtet. Er versteht es auf exzellente Weise, dieses Unwohlsein an den Betrachter weiterzugeben, den die Bilder – zumal ohne Kontext – verstört und fragend zurücklassen.

Weniger rätselhaft, aber mindestens ebenso verstörend ist Julian Röders großartige Reportage World of warfare von der größten Rüstungsmesse der Welt in Abu Dhabi. Entgleiste Gesichter beim Beratungsgespräch, gelangweilte Hostessen beim Anpreisen todbringender Panzer, Offiziere, die gleich einer Horde Shoppingqueens ihre Einkaufstaschen spazieren tragen und goldfarbene Patronengürtel, die wie exklusiver Schmuck aus dem Schaukasten schimmern. Es mag der ungebrochenen Zuwendung zum Dokumentarismus geschuldet sein, dass diese Ausstellung, die die realen Absurditäten und Inszenierungen der heutigen Welt in aller Faktentreue aufzeigt, unter den anderen Gruppenausstellungen eindrucksvoll heraussticht.

Der Emop bietet auch in seiner diesjährigen Auflage eine umfassende Schau zeitgenössischer Fotografie von mitunter erstklassigem Niveau. Etwas bedauerlich war die programmatische Ballung während der drei Tage, die es nicht erlaubte, alle Rahmenveranstaltungen zu besuchen, die angeboten wurden. Portfolio-review im Cercle Cité und Führung durch die Cité de l’image Clervaux standen leider ebenso in zeitlicher Konkurrenz wie die Verleihung des Emop Arendt Award an Samuel Gratacap und das Meet the artists im CNA in Dudelange.

Mehr Informationen zu den Ausstellungen des European month of photography: www.emoplux.lu

Boris Loder
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