Der Aufstand

„Wofür wir zu kämpfen vorgeben“

d'Lëtzebuerger Land du 21.10.2011

Selbst die Rezensenten der Süddeutschen Zeitung und des Deutschlandradio Kultur weichen einer kontextuell eingebundenen Wiedergabe der Rückblenden, die in Frank Hoffmanns Inszenierung von Erfolgsautor Albert Ostermaiers Der Aufstand das Fundament des Aufständischen zu bilden scheinen, weitestgehend aus. Da war ein Hausbrand. Mag es Gudrun, die Fahnderin, sein, die in letzter Instanz ihre Schuld eingesteht? Oder war es doch Charles, der die Verantwortung kurz zuvor übernimmt und sein Eingeständnis ins Mikrofon haucht? Ist es ihm anzulasten, dass die eine Gesichtshälfte seines Bruders Carlos in den Flammen verkohlte? Da wäre noch die Mutter, die unter dubiosen Umständen zu Tode kam...

Doch der Reihe nach: In den Räumlichkeiten des Théâtre national du Luxembourg sitzen die Zuschauer gleich einem Tribunal in zwei Reihen um die Bühne herum. Einige Sitzungstische und das Mikrofon lassen das Untergeschoss des Ratskellers erahnen. Die Architektur des gesamten Raumes, einschließlich des Baugerüsts, wird genutzt. Luc Feit, Steve Karier, Tatort-Star Udo Wachtveitl, Jacqueline Macaulay und Wolfram Koch mimen die Aufständischen, die „Unsichtbaren“, die sich in den Gewölben verschanzen. Charles ist ihr An-, ihr Wortführer.

Der Text L’insurrection qui vient des Comité invisible (La Fabrique, 2007), fungiert als wortgewaltiges Pamphlet eines Salonanarchisten. Charles gesamter Zugang zur Revolutionsliteratur, ja selbst die chronische Körperschwäche, schließlich die konfliktreiche Beziehung zu seinem Bruder Carlos rufen unmissverständliche Erinnerungen an Schillers labile Physis und dessen Sturm-und-Drang-Drama Die Räuber wach.

Hoffmann lässt seine Figuren in einen Hexenkessel unterschiedlicher Kampfszenen stürzen, mal im physischen Krieg gegen die Fahnder (Ulrich Kuhlmann und Anne Moll), mal in Opposition gegen die eigenen Genossen, dann im Aufruhr gegen sich selbst. Hoffmann versteht es auf mehreren Ebenen, das Potenzial von Ostermaiers Vorlage auszuschöpfen: Mehrfach unterbrechen die Darsteller den politisch-agitativen Tonfall hinter ihrem Aktivismus („Der Aufstand ist keine Metapher mehr“) und deuten achselzuckend auf die Hinfälligkeit ihrer Selbstinszenierung hin. Die Revolutions-Phrasen wirken dann bisweilen überladen, abgedroschen, die Revolutionäre erschüttert, krampfhaft und innerlich zerrissen. Es gleitet die Atmosphäre in laszive Erotik über, die durch verstörend hypersexualisierte Sprache verflacht, um der Handlung in weiteren Phasen den Anstrich einer poetologischen Auseinandersetzung mit der Begrifflichkeit des Aufständischen zu geben.

Immerhin versucht auch der Jäger, seinem Gejagten über den Weg der literarischen Empathie (neudeutsch: „Profiler“?) auf die Schliche zu kommen. Dieses rasante Hin und Her, gepaart mit hochspannenden Motiven aus dem Film noir (Schein der Taschenlampe im Dunkeln, minutenlang angedrohte Hinrichtung), ergeben ein politisch motiviertes Drama, das zweifelsohne empfehlenswert ist.

Wolfram Koch in seiner Rolle als Anführer dieses geplanten, nicht durchweg ernstzunehmenden Aufstandes überzeugend. Er vermag es durch die Bank, Schwäche, Cholerik, Radikalismus und Unbelehrbarkeit in einer Figur zu kanalisieren. Man sollte sich jedoch nicht dazu verleiten lassen, Koch ob seiner Omnipräsenz als Lichtgestalt des Ensembles zu sehr hervorzuheben. Nein, Frank Hoffmann und Dramaturg Andreas Wagner greifen insgesamt auf ein engagiertes und wirksames Schauspielerseptett zurück.

Es ist schwierig zu bewerten, inwieweit es Ostermaier oder Hoffmann verschulden, dass die Handlung zum Teil im Nebulösen verschwimmt. Die Verwischung der Grenze zwischen Rebell und Fahnder, Jäger und Gejagtem ist zweifelsfrei ein Kernanliegen des Dramas. Zurecht sieht das DLF Parallelen zu Filmemacher David Lynch. Doch die in Teilen schwer nachvollziehbaren Verknüpfungen auch und vor allem zwischen Rückblenden und Gegenwart überfordern das Publikum. So war es nicht überraschend, den Zuschauern nach Ende der Veranstaltung eine Mischung aus Aufregung und Irritation von ihren Gesichtern abzulesen. Das Prinzip der Reizüberflutung trägt daran Mitschuld.

Hier bietet sich nur eine Lösung an: Lesen heißt, nochmal lesen, oder sehen heißt, nochmal sehen! Und doch beschleicht den Besucher rückblickend das Gefühl, hier seien Chaos und Potenzial nicht ausreichend kanalisiert worden. Letztlich bleibt es aber dabei, dass mit Hoffmanns Inszenierung einer der dramatischen Höhepunkte der Saison ihre Premiere fand. Der euphorische Applaus und, ja, die grübelnden Köpfe, mögen davon zeugen.

Der Aufstand von Albert Ostermaier; eine Koproduktion der Ruhrfestspiele Recklinghausen mit dem Théâtre national du Luxembourg; Regie: Frank Hoffmann; Dramaturgie: Andreas Wagner; Regieassistenz: Jacques Schiltz; Regiemitarbeit: Anne Simon; Bühne: Christophe Rasche; Musik und Soundeffekte: René Nuss; Maske: Sylvie Walisch; Darsteller: Wolfram Koch, Luc Feit, Jacqueline Macaulay, Udo Wachtveil, Steve Karier, Ulrich Kuhlmann, Anne Moll. Weitere Veranstaltungen am 23., 24. und 25. Oktober um 20:00. Karten unter Telefon 47 08 95-1 oder auf ticketlu@pt.lu; Informationen: www.tnl.lu.
Claude Reiles
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