Der grüne Minister und das Autofestival

Ein Land auf Entzug

d'Lëtzebuerger Land vom 29.01.2016

Der Nachhaltigkeitsminister kann es nicht oft genug wiederholen: Der Entzug wird light sein. Der Patient wird das Ganze überstehen, er wird sogar, Zauberwort, mobil bleiben. Vielleicht wird er sogar noch mobiler sein. Weil er eben nicht mehr in diesem Attribut des kaufpotenten Neanderthalers unterwegs sein wird, dem prähistorischen Ungetüm.

Der Nachhaltigkeitsminister, bekümmert schaut er von der Nachhaltigkeitskanzel, weiß, was auf seine Schäfchen zukommt, die viel lieber rasen als grasen. Alle wissen es, die ganze Welt weiß es, beziehungsweise der Teil, der gefragt wird. Niemand kann sich mehr lebenslänglich im Stau verstecken oder Parkplätze suchen. Überall steigen Menschen aus oder um, in öffentliche Verkehrsmittel, radeln oder rodeln. In Kulturmetropolen, stellen Eingeborene, die schon andere Länder besucht und andere Sitten erforscht haben, staunend fest, bewegen sich Menschen sogar auf ihren eigenen Füßen weiter. Es geht doch, es gibt Beweise, was andere können, können wir auch. Die finden das nicht mal schlimm, manchmal sogar ganz gut, manche machen sogar einen Kult daraus, eine Bewegung.

Nur noch in den allerarchaischsten Gebieten huldigen die Eingeborenen dem Abgott, der immer noch unsern Landstrich knechtet. Sie nennen ihn Gott, ohne so einen geht es wohl nicht. Er präsentiert sich in den verlockendsten Materialisierungen. Er ist in allen Medien, auf allen Internetportalen, so arbeiten Sekten und Religio-nen heutzutage. Er hält sie gefangen in einem undurchsichtigen Straßennetz, das von Bypässen am Leben erhalten wird, plötzlich taucht ein Irrgärtchen auf. Dabei gaukelt er ihnen das Paradies vor, in das er sie angeblich direkt fährt, es ist voller schöner Frauen, begehrenswerter Familienväter, freudig gespannter Kinder, Hunde hoppeln auf Hintersitze, es ist voll großartiger Aussichten.

Jährlich pilgern die Eingeborenen zum Großen Schrottgott, eine Messe wird abgehalten, sie dauert anderthalb Wochen lang, ein Höhepunkt für alle Gläubigen. Sie kreisen rund um den Angebeteten und preisen ihn, der Preis ist hoch, aber nie zu hoch. Geld und Leben, regelmäßig Menschenopfer, die Eingeborenen stecken ihm noch mehr Geld ins blut- und benzinbeschmierte Motormaul. Es muss noch was anderes geben, das Leben, die Freiheit, irgend etwas treibt sie, irgendein Treibstoff, eine Sehnsucht.

Wie alle Suchtkranken verharmlosen und verniedlichen die Automobilbesitzer, die in Wirklichkeit Besessene sind, die Symptome ihrer Abhängigkeit. Sie nennen den Fetisch selbstnachsichtig Liebkind. Als wäre das eine harmlose Marotte, ein Hobby. Als wären sie ihm nicht hörig, verfallen. Wenn ihr Gefährt(e) krank oder tot ist, geraten sie in einen existentiell bedrohlichen Ausnahmezustand: Kein Navi zeigt ihnen mehr den Weg. Sie beten Mechaniker und Garagistinnen an, holen sich Geheimadressen von Heilern, er heilt schwarz, schwarze Magie. Wenn auf längere Zeit keine vierrädrige Freundin ihnen im Dunkel entgegenzwinkert, verfallen sie in Depressionen. Ich komme ja nirgendwohin!, starren sie aus dem Fenster ins Nichts, hinter dem Fenster ist nichts, in ihnen ist nichts. Die Vorstellung, öffentlich – Pfui! – zu verkehren, mit kleinen Männern und kleinen Frauen, treibt sie an den Rand des Wahnsinns, der Gesellschaft. Sie können nicht mehr parken und tanken und Versicherungen zahlen und sich ärgern über die Idioten vor und neben und hinter ihnen, sie sind ausgestoßen aus der menschlichen Gemeinschaft. Im Niemandsland, im Exil.

Es wird zu einer gewaltigen, kollektiven Identitätskrise kommen. Das weiß der Nachhaltigkeitsminister, der so nachhaltig bekümmert schaut. Die Autoerotik ist nun mal passé. Aber er muss auch schöne Dinge sagen, Schusters Rappen, Drahtesel, doch das wird seine Landsleute psychisch nicht stabilisieren. Auch nicht der Verweis auf die Coolen, in den richtigen Städten, auf die veganen Urbanen, die neuen Statussymbolisten. Das wird die extrabreite Masse nicht überzeugen. Aber er hat ja auch Rat parat, sogar Trost. Die Technik kommt auf uns zu!, sagt er. Er war nämlich in Brainwashington, er kennt sich aus.

Und er erzählt von Wunderautos, die es geben wird, bald. Sie denken an unserer Stelle nach und fahren an unserer Stelle, wir können dann Oden verfassen oder etwas Glorreiches erfinden. Und alles ist dann märchenhaft verknüpft, und digital, und mobil. Und, hui!, von Aah nach Bäh, von Weh nach Zeh, ist man am Ziel!

Michèle Thoma
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