Mangels realer Aufarbeitung von Machtmissbräuchen an kulturellen Institutionen werden sie immer noch fiktionalisiert oder abstrakt diskutiert

Vum Héieresoen

d'Lëtzebuerger Land du 09.12.2022

Silence Als die Metoo-Hashtags vor fünf Jahren millionenfach geteilt wurden, haben auch in der hiesigen Medienlandschaft viele sich solidarisiert. Es erschienen Leitartikel über die mutmaßliche Verunsicherung des Mannes, Journalistinnen berichteten selbst über ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung. Andere waren überzeugt, in dieser Debatte einen neuen Puritanismus zu erkennen. Reaktionen gab es also durchaus, abgeschirmt vom großen Weltgeschehen ist man hier nicht. Doch zu Aufarbeitung und Aufklärung von Machtmissbräuchen ist es in Luxemburg bisher kaum gekommen, was sicherlich nicht daran liegen kann, dass das Land davor geweiht wäre. In zwei kürzlich erschienenen Veröffentlichungen geht nun davon die Rede, allerdings wie gewohnt auf Umwegen. In Valley Girl (Kremart Editions) hat die Schauspielerin Katharina Bintz einen sexuellen Machtmissbrauch an einem Theater fiktionalisiert. Und in einem Beitrag von Trouvailles 5, einer Veröffentlichung des CNL, diskutiert Katharina Bintz mit der Schweizer Regisseurin und Performerin Julia Haenni und dem Autor Samuel Hamen unter anderem über Sexismus in der Literatur und am Theater.

In Valley Girl erlebt die Protagonistin und Schauspielerin Lily in ihrer Loge mit dem Regisseur eine jener grenzüberschreitenden Situationen, über die Betroffene in den letzten Jahren vermehrt gesprochen haben: „Seng Hand gräift a mäi Gesiicht. Ech ëmaarmen hien. Ech ëmaarmen hien, fir datt en net mat sengem Gesiicht widder mäint kënnt. Seng Hand rutscht méi déif. Hien dréckt mech u sech. Meng Broscht ass fest widder sengem Kierper. Seng Hand ass lo ... Vläicht mierkt hien dat net. Ech weess et net. Ech sinn iwwerzeegt, datt hien et net mierkt. Ech hunn hie jo ëmaarmt. Et kann een et guer net mierken. Dat bleift jo ënner eis. Ech soen näischt. Ech weess jo mol net, wat ech soe soll oder net soe soll. Wat géif ech da soen? Datt ech hien ëmaarmt hunn?“

In Trouvailles beschreibt Katharina Bintz „Übergriffe, von denen viele gehört haben, von denen aber niemand weiß, ob sie stimmen“. Sie würden in Luxemburg weder systematisch untersucht noch kritisiert, was ein Umfeld aus Unsicherheiten schaffe; es gäbe kein Innen und Außen. Übrig blieben Gerüchte, Mutmaßungen und Ahnungen. „Es fehlt die Erkenntnis, dass es in der Kultur um systemrelevante Prozesse geht und nicht um ein Resultat, um international zu repräsentieren oder bei irgendeiner Vermarktung etwas vorzeigen zu können“, schreibt sie. Wir erreichen Katharina Bintz telefonisch in Hamburg, wo sie die Hälfte der Zeit wohnt. „Das Ganze ist ein Familienbetrieb. Von seiner Familie löst man sich normalerweise irgendwann, aber das ist in Luxemburg schwierig. Es fehlt an freien Räumen, wo Themen reflektiert werden können“, sagt sie. Für sie steht hinter dem Widerstand, Dinge anzuprangern oder die Stimme zu erheben eine tiefgreifende Angst, die sich durch die gesamte Kulturszene und darüber hinaus zieht, und die man als Parallele zur zutiefst vernetzten, kleinbürgerlichen Gesellschaft verstehen kann. Die Angst beschränke sich nicht nur darauf, wichtige Menschen in der Rangordnung gegen sich aufzubringen und am Ende alleine da zu stehen, sondern auch, den eigenen Ruf permanent zu schädigen: „Als Frau ist man dann die Komplizierte, die, mit der eine leichte Zusammenarbeit nicht möglich ist.“

Mit dieser Angst müsse man sich befassen, weil sie nicht umsonst existiere, gleichzeitig sei sie diffus – was den Umgang damit erschwert. In Valley Girl entsteht durch die Familie der Protagonistin Lily, die reale sowie die künstlerische am Theater, ein treffendes Psychogramm dieser Abhängigkeiten. Denn neben den landesspezifischen Eigenheiten ist die Diskussion natürlich von den Grauzonen und Ambivalenzen des menschlichen Miteinanders geprägt. Vor allem bei den performativen, äußerst körperlichen Künsten des Theaters, des Tanzes und des Films treten sie umso mehr zum Vorschein. Kombiniert man das mit Machtgefällen, prekären Arbeitsbedingungen und der Art und Weise, wie besonders Frauen oftmals dazu sozialisiert sind, die Schuld bei sich zu suchen, und mit der Scham, die viele Betroffene fühlen, hat man den metaphorischen Salat.

Zaghaft Im Vergleich zum Ausland steckt man bei diesem Sujet in Kinderschuhen, eine zentrale Anlaufstelle für diese Belange gibt es immer noch nicht. Im November fand in der Abtei Neumünster auf Wunsch von Choreograf/innen eine erste Konferenz mit dem Titel Unmute power abuse zum Thema statt: Eingeladen waren drei internationale Gäste, die in ihrem jeweiligen Heimatland (den USA, Belgien und Frankreich) Strukturen (Whistle, Engagement und SFA) angestoßen haben, an die sich betroffene Künstler/innen im Fall eines Machtmissbrauchs wenden können. Das kann man als einen zaghaften Anfang verstehen, eine Art, sich Inspiration zu holen. Auch gibt es eine Arbeitsgruppe am Theater, die sich mit dem Thema beschäftigt. Bei der Association luxembourgeoise des Professionnels du spectacle vivant (Aspro) können Betroffene anonym einen Bericht abgeben; man ließe niemanden hängen, sagt die Präsidentin Nora Koenig. Die Frage, wie anonym ein solcher Bericht hier sein kann, stellt sich in dem Kontext. Ziel sei es jedenfalls, in Luxemburg eine Anlaufstelle zu schaffen. Des Weiteren besteht seit 2017 eine Facebook-Gruppe namens #Echoch für Betroffene aus dem Kulturmilieu. Und in der Charte de déontologie pour les structures culturelles, die das Kulturministerium im Juni publizierte und die bisher 90 der 120 Kulturinstitutionen unterzeichnet haben, ist ebenfalls die Rede von Machtmissbrauch und Sexismus. Allerdings ist auch das eine Formalie.

Angaben der Inspection du travail et des mines (ITM) zufolge, wurde seit 2018 lediglich zwei Mal wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz geklagt. Um die 20 Personen holten sich jährlich dort Informationen und Beratung zum Thema ein. Gesamtgesellschaftlich wurde zwischen 2018 und 2020 296 Mal wegen Vergewaltigung und 410 Mal wegen sexueller Belästigung geklagt; es sei jedoch von einer „hohen Dunkelziffer“ auszugehen, so die Justiz- und Gleichstellungsministerinnen in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage Ende letzten Jahres. Umso wichtiger sei präventive Aufklärungs- und Informationsarbeit. Seit dem Jahr 2000 gibt es im privaten Sektor ein gesetzliches Verbot, was sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz angeht. Doch da keine Pflicht zur Dokumentation für Unternehmen besteht, und wegen des Schweigens, das sich aus den genannten Gründen über viele Fälle legt, hat dieses Gesetz mit großer Wahrscheinlichkeit wenig verändert.

Alles, was unternommen wird, steht den gesellschaftlichen Vernetzungen gegenüber. „Je nachdem, gegen wen du dich wendest, musst du danach für ein paar Jahre ins Ausland gehen“, sagt Nora Koenig. Es sei für eine betroffene Person ungeheuer schwierig, standhaft zu bleiben gegenüber dem Beschass, gegenüber der wörtlichen Lauffeuer, die inoffiziell die Runde machen. Wenn es um Machtmissbrauch ginge, dürfe die Frage nicht lauten, wer die bessere Entourage hat, das sei aber der Fall. „Hei muss extrem vill geschéien, fir dass ee réckelt.“ Möglicherweise habe es ebenfalls mit der Mentalität zu tun, nicht auffallen zu wollen, „a mat all Mënsch gutt ze sinn.“ Einen Präzedenzfall gibt es jedenfalls bisher nicht. Im Fall von Désirée Nosbusch, jener Schauspielerin, die das Schweigen über den sexuellen Missbrauch durch ihren früheren Manager brach – sie war 16 Jahre alt und RTL-Kinderstar; Georg Bossert früherer Direktor der RTL-Kindersektion und 26 Jahre älter – lebt der mutmaßliche Täter nicht mehr. Diese Nachricht interessierte die Medienlandschaft jenseits von reißerischen Schlagzeilen aber sowieso recht wenig. „Wenn ich ein Theaterstück über das Thema inszeniere, dann ist der Abend ausverkauft. Wenn es darum geht, individuell Verantwortung zu übernehmen, wird es schnell ruhig. Hauptsache, alles ist schön verpackt“, resümiert Nora Koenig.

Sarah Pepin
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