Akzisen aus dem Tankgeschäft

Cold Turkey

d'Lëtzebuerger Land vom 28.06.2007

„Das muss man wissen“, meinte Jean-Claude Juncker knapp am Dienstagnachmittag auf die Frage nach einer Reaktion auf die Warnungen des Groupement pétrolier luxembourgeois (GPL), es bahnten sich schneller als geplant Einbußen bei den öffentlichen Einnahmen auf den Akzisen an, die Dieselverkäufe seien 2006 erstmals rückläufig gewesen. Über eine Milliarde Euro sollen durch die Akzisen, auch die auf den Zigaretten, dieses Jahr direkt ins Staatsbudget fließen. Zusätzlich sind 150 Millionen Euro geplant, die direkt für den Beschäftigungsfonds bestimmt sind, und 26 Millionen Euro für den Kyotofonds.

Das Problem der Tankstellenbetreiber: Die Regierung wird zum 1. Januar nächsten Jahres die Akzisen um 12,50 Euro pro 1 000 Liter anheben und sich damit dem europäischen Mindestsatz ein Jahr früher als sie es müsste, annähern. Dadurch schmilzt der Preisvorteil, den die Luxemburger gegenüber ihren belgischen Konkurrenten haben. Bereits jetzt halten die Belgier ihre Taxe auf demkommerziell genutzten Diesel bewusst auf EU-Minimalniveau, nämlich bei 305 Euro pro 1 000 Liter, also dort, wo auch Luxemburg zum 1. Januar 2008 hinsteuert.

Allerdings, so streicht die Mineralölbranche hervor, verfügen die Belgier bereits jetzt über einen Wettbewerbsvorteil: Jenseits der Grenze dürfen Lastwagen und Fernfahrer die Autobahnen verlassen, dort können sie unbemannte oder nicht öffentliche Tankstellen besuchen; die dortigen Betreiber können bessere Preise bieten. Hierzulande müssen die Brummis auf der Autobahn bleiben. Hinzu kommt: DieBetreiber von Luxemburgs Autobahntanken entrichten dem Staat dafür, dass sie diese dort betreiben dürfen, 40 Euro pro 1 000 Liter mehr.

Luxemburg ein Billigdieselparadies im Vergleich zu Belgien – das ist jetzt schon ein Mythos. Auf diesen Umstand führt das GPL den Rückgang um 1,2 Prozent bei den Dieselverkäufen im vergangenen Jahr zurück. Ob dies nun auf die Einführung des Kyoto-Cents zurückzuführen ist? Die Transportbranche reagiere sehr sensibelauf Preisveränderungen, hörte man am Dienstag. „Ein starker Umschwung“ , sagt GPL-Präsident Jean-Paul Schmit, sei dies. Aber noch „nicht dramatisch“, so sein Generalsekretär René Winkin. Fakt ist: In den Vorjahren wurden immer Zuwächse zwischen zehn und 20 Prozent registriert, die nicht vollständig durch die neue Liebe der Luxemburger für Dieselmotoren zu erklären sind. Im ersten Quartal dieses Jahres, sagen die Tankstellenbetreiber, hätten sie nun bereits einen Rückgang um sieben Prozent gegenüber 2006 festgestellt.

Ist damit das Ende des Tanktourismus eingeläutet? Trägt Luxemburg nun endlich seinen Teil zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen bei? In einen umweltpolitischen Kontext hatte Juncker das Thema auch in seiner Rede zur Lage der Nation Anfang Mai gesetzt. Jeder, der sich mit der Frage beschäftige, sagte er damals, stimme darin überein, dass mit dem abwechselnd bewussten und unbewussten Handeln Schluss sein müsse. Bewusst, da man mit Absicht unter dem Akzisenniveau der Nachbarländer blieb – unbewusst insofern, dass man nicht für deren Fiskalpolitik verantwortlich sei. Denn die hätten die Akzisen nicht wegen guter Umweltabsichten angehoben, auch ihnen ginge es dabei um die Steuereinnahmen.

„Wir mauern nicht“, sagte Juncker, der vor zwei Wochen schweren Herzens sein Veto zückte, als es um die Harmonisierung der Mehrwertsteuer ging, mit Bezug auf den neuesten Vorstoß der EU-Kommission, die Mindestsätze auf den Dieselakzisen aufEU-Ebene anzupassen. Dabei geht es hier um das Vier- bis Fünffache des Betrages, mit dem er das Mehrwertsteuer-Nein rechtfertigte.

So kam auch er, der die schlechte Nachricht mit etwas Positivem wie Umweltschutz assoziierte, nicht umhin, die schlechte Nachricht, wenn auch außerhalb des thematischen Rahmens der Staatsfinanzen, zu verbreiten: Kurz- bis mittelfristig würden die Einnahmen sinken, hielt er damals fest. Heißt dies etwa, die großen Akzisenausfälle machen sich noch vor den Wahlen 2009 bemerkbar?

Nicht unbedingt. Da es ausgerechnet Belgien ist, das nun Marktanteile gegenüber Luxemburg bei den europäischen Transporteuren wett macht, muss es nicht zum abrupten Entzug für die Staatsfinanzen führen. Durch die belgisch-luxemburgische Wirtschaftsunion (UEBL), werden die Akzisen zwischen den beiden Ländern geteilt. Und zwar auf Basis des Konsums, sprich des Absatzes innerhalb der beiden Länder. Nicht in den gemeinsamen Topf fließen Ökosteuern, also Kyotocents und auch die Anpassung von 12,50 Euro pro 1000 Liter zur Jahreswende, wie auch  ein Akzisenteil, den die beiden Länder sofort abführen. Sinken also dieVerkäufe in Luxemburg, sinken auch die so genannten „autonomen Einnahmen“, die direkt von Luxemburg zurückbehalten werden. Im Budget des Staates sind diese für 2007 bei den Einnahmen mit 135 Millionen Euro veranschlagt, gegenüber 140 Millionen Euro 2006. Die Einnahmen des Kyotofonds, die 2007 mit 26 Millionen Euro angesetzt sind, sollen im Folgejahr aber durch die zusätzlichen12,50 Euro pro 1 000 Liter auf 50 Millionen ansteigen. Die autonomen Taxen sollen auch die 150 Millionen Euro für den den Beschäftigungsfonds einbringen. Ob das hinhaut, wie geplant, wird davon abhängen, wie sensibel die Transportbranche tatsächlich auf Preisveränderungen reagiert.

Für die gemeinsamen Einnahmen, die im Budget eine knappe Milliarde Euro ausmachen, verhält es sich etwas anders: Der Verteilungsschlüssel wird für 2007 und 2008 der gleiche sein und er beruht auf dem in den beiden Vorjahren gemessenen Konsum, also von 2005 und 2006. Somit bleibt Luxemburgs Anteil bis 2008 erst einmal gesichert, egal, ob die Brummis hier tanken oder in Belgien. Gegenüber der vorigen Referenzperiode stieg der Anteil Luxemburgs sogar leicht auf knapp unter 22 Prozent. Nimmt einer der UEBL-Partner mehr als ihm per Verteilungsschlüssel zusteht, muss er dem anderen Kompensationszahlungen leisten. Das könnte dieses Jahr zum ersten Mal der Fall sein.

Kein Grund zur dringenden Sorge also? Bis knapp zum nächsten Wahltermin wahrscheinlich nicht. Durch die Vorschläge der Kommission von vergangenem März aber würde sich der Wettbewerbsvorteil Luxemburgs weiter verringern, auch wenn dem Großherzogtum im vorliegenden Papier wieder Übergangsfristen eingeräumt werden und es sich immer zwei Jahre später als die Nachbarn anpassen muss. Steuerkommissar Lazlo Kovacs‘ Vorschlag sieht vor, ähnlich wie aktuell bei derMehrwertsteuer bis 2016, neue Mindestsätze einzuführen, die bedeuten würden, dass der Diesel in Luxemburg bis 2016 um 90 Euro pro 1 000 Liter teurer wird.

Während Juncker nicht mauern will, sagen auch die Mitglieder des GPL wenig zu den Vorschlägen. Das liegt auch daran, dass es den Mineralölkonzernen, die Luxemburgs Autobahntanken direkt betreiben, im Endeffekt egal ist, wo in Europa sie ihren Diesel verkaufen. Ob hier oder in Belgien, das sich nicht zu schade ist, aktivenWettbewerb zu betreiben, auch was die Rückzahlungsfristen für Mehrwertsteuer betrifft, macht für sie keinen Unterschied. Es kann höchstens für sie günstiger ausfallen, wenn die Lastwagen drüben tanken, da sind sie näher an den Raffinerien.

Die europäischen Konzerne hatten in der von der EU-Kommission im Vorfeld ihres Vorschlages durchgeführten öffentlichen Konsultation wenig Einwände gegen eine Harmonisierung der Mineralölakzisen, und meinten gar, dies könne das Verkehrsproblem in Ländern mit niedrigen Sätzen lösen und „in gewissem Maße Treibhausgas- und Schadstoffemissionen reduzieren, wegen abnehmenden Routenumwege und Dieselverbrauch“.

Dabei stützt die EU-Konsultation ein Argument des GPL: Es sei nicht so, dass die Fahrer systematisch Umwege von mehreren hundert Kilometer fahren würden, um in einem Akzisenparadies zu tanken. Laut Angaben des ungarischen Fahrerverbandes sei eine Mehrheit bereit, einen Umweg von bis zu 20 Kilometern zu fahren, wenn der Sprit dort 50 Euro pro 1000 Liter billiger sei. Nur noch 40 Prozent würden einen Umweg von 20 bis 50 Kilometern fahren, wenn die Differenz 100 Euro betrage, 40 Prozent sind es auch, die bis 100 Kilometer extra fahren würden wegen eines Unterschiedes von 150 Euro. Die vielen Lastwagen auf unseren Autobahnen fahren also eh hier durch, egal ob sie tanken oder nicht? Die Tankstellenbetreiber berechnen aufgrund ihrer Verkäufe und den Statistiken der Straßenbauverwaltung über die Ein- und Ausfahrt der Lastwagen an den Grenzposten, dass nur um die 35 Prozent der Kraftwagenfahrer hier eine Tankpause einlegen.

Weniger tanken bedeute also nicht automatisch weniger Verkehr. Aber weniger Kohlendioxidausstoß, der Luxemburg angerechnet wird. Für die Periode zwischen 2008 und 2012 rechnet der Wirtschafts- und Sozialrat folgendes Szenario vor: Bei 20 bis25 Millionen Tonnen, die kompensiert werden müssen, und einem Preis von 15 Euro die Tonne, braucht Luxemburg 375 Millionen Euro in seinem Kyotofonds, um den Ausgleich zu finanzieren. Beim gleichen Preis von 15 Euro pro Tonnen, meinen die GPL-Vertreter, der Liter Diesel bringe dem Staat zehn Mal mehr ein, als er dafür ausgeben muss. Die Rechnung setzt aber optimistisch voraus, dass die Preise für die Schadstoffzertifikate über die Referenzperiode nicht ansteigen. Für die gleiche Periode aber sagen die GPL-Verantwortlichen voraus: „Wir werden bereits Tanktouristen in Belgien sein, wenn die Deutschen noch zu uns kommen.“

Seine Abhängigkeit vom Diesel wird Luxemburg also nicht so schnell abstreifen.

Michèle Sinner
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