Der politische Druck auf den Direktor des Filmfonds, Guy Daleiden, wächst. Die Gesetzesreform lässt derweil auf sich warten

Auf dünnem Eis

Guy Daleiden in seinem Büro vergangenen Montag
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 16.12.2022

Under pressure Guy Daleiden begrüßt uns in seinem sonnigen Büro im Grund, ganz in schwarz gekleidet, weißes Einstecktuch, Converse an den Füßen. In den Händen hält er den Ecran Total mit einem Foto von Vicky Krieps auf dem Cover, umringt ist er von filmischen Erinnerungsstücken, etwa einem Hall-of-Fame-Stern mit seinem Namen und einem eingerahmten Autogramm der Schauspielerin Emma Watson. Während des Gesprächs steht der Direktor des Filmfonds mehrmals auf, auch um Dokumente wie das Audit von Value Associates aus dem Jahr 2018 und den Bericht des Rechnungshofes zu holen, in denen er Ausdrücke wie globalement positif mit Textmarker unterstrichen hat. Er redet viel, aber schläft seit ein paar Wochen kaum mehr. Der DP-Politiker, der seinen Posten seit 1999 bekleidet, steht seit geraumer Zeit in der Kritik.

Grund hierfür ist der am 3. Oktober erschienene Spezialbericht des Rechnungshofes, der Probleme in der Struktur des Filmfonds zwischen 2009 und 2018 bestätigte. Einerseits seien interne Prozeduren intransparent. Dabei geht es etwa um Restaurantbesuche mit dem Selektionskomitee, die nicht über den Filmfonds abgerechnet werden sollen und einen generellen Mangel an Richtlinien, was Bewirtungskosten angeht. Andererseits wird kritisiert, es habe keine öffentlichen Ausschreibungen für diverse externe Dienstleistungen gegeben, darunter die Nutzung der Beratungsfirma von Paul Thiltges, ebenfalls Filmproduzent, mit einem Kostenpunkt von 615 000 Euro. Zum anderen standen den Berechnungen des Hofes nach im Jahr 2020 ungenutzte Fördergelder in Höhe von 73 Millionen Euro auf den Bankkonten des Filmfonds. Diese Anhäufung soll abgebaut werden. Auch wurde die Position, die der Direktor genießt – der Rechnungshof nennt es place prééminente – hervorgehoben. Eine zweite Signatur sei vonnöten, um die Beträge in Millionenhöhe zu überweisen, gab der Rechnungshof ebenfalls an. Dem Filmfonds stehen jährlich rund 40 Millionen Euro zur Verfügung, bis vor Kurzem konnte der Direktor den Höchstbetrag von 3,2 Millionen mit seiner alleinigen Unterschrift überweisen. Ein weiterer Kritikpunkt sind sieben Filmprojekte, bei denen die Fristen seitens der Produzenten nicht eingehalten, die finanziellen Hilfen jedoch trotzdem gezahlt wurden. Ende November war er gemeinsam mit der Präsidentin des Verwaltungsrates des Filmfonds, Michèle Bram, im Parlament vorgeladen worden, um der Budgetkontrollkommission, die von der Abgeordneten Diane Adehm (CSV) präsidiert wird, Rede und Antwort zu stehen. Während der Anhörung im Parlament wurde ebenfalls über den Posten der Ko-Direktorin Karin Schockweiler gesprochen, der auf der Homepage des Filmfonds steht. Dieser Posten war im Gesetz so nicht vorgesehen und wurde intern geschaffen, um den Direktor im Falle einer Abwesenheit zu ersetzen.

Im Gespräch mit dem Land weist Daleiden viele Vorwürfe von sich, es sei offenbar derzeit „schick“ den Filmfonds zu kritisieren. Die Debatte würde „an der Branche entlang geführt und [sei] von ihr gar nicht gewollt.“ Er verweist auf die Wortwahl im Bericht des Rechnungshofes; die Rede sei nicht von Missständen, sondern von Vorschlägen, von denen die meisten im Filmfonds bereits integriert worden seien. Zu seiner eigenen mächtigen Position, die ihm per Gesetz, das zuletzt 2014 reformiert wurde, zusteht, kann er zugegebenermaßen nicht viel sagen. Die doppelte Signatur werde intern schon umgesetzt, sagt er, im Ausland säßen seine Homologen ähnlich lange auf ihren Posten (In Deutschland und Österreich sind sie seit 2004 im Amt.) Und im Selektionskomitee seien alle gleichberechtigt, was die Punktvergabe an die Projekte angehe. Die Restaurantbesuche dieses Komitees rechtfertigt der Direktor folgendermaßen: „Wenn wir mehrere Tage mit Gästen aus dem Ausland zusammensitzen, gibt es Bréidercher. Dass man da auch einmal in ein normales Restaurant Mittagessen geht, halte ich für ein gängiges Zeichen der Gastfreundschaft.“ Richtlinien dazu seien nun aufgesetzt worden. Auch auf das Problem zu den sieben Filmen, die die Fristen überschritten haben, hat er eine Antwort: „Eine Filmproduktion ist etwas Lebendiges. Wenn der Produzent valide Argumente dafür hat, warum etwas ausnahmsweise länger dauert, verlängern wir – sonst wären diese Projekte den Bach heruntergegangen.“

Was – im kleinen Luxemburg schwer zu vermeidbare – Interessenskonflikte innerhalb des fünfköpfigen Selektionskomitees angeht, stellt sich für Guy Daleiden die Frage, ob die befangene Person mit abstimmen dürfe. Der Filmkritiker Boyd van Hoeij, seit 2014 im Selektionskomittee, ist mit dem Filmemacher Fabrizio Maltese verheiratet, der regelmäßig von finanzieller Hilfe des Filmfonds für seine Projekte profitiert. Guy Daleiden sagt, Boyd van Hoeij habe noch nie bei den eingereichten Vorschlägen seines Mannes mit abstimmen dürfen. Dass es keine öffentlichen Ausschreibungen für die Beratungsdienste des Produzenten Paul Thiltges gab, erklärt der Direktor damit, dass es zu diesem Zeitpunkt niemand anderen gab, der das Know-how hatte, um die Aufgabe der Vermarktung der Filmförderung zu übernehmen. „Die Ausschreibung wäre pro forma gewesen, aber wir hätten das machen müssen.“ Die Union luxembourgeoise de la production audiovisuelle (Ulpa), präsidiert von Paul Tiltges, hatte mit „Bestürzung“ auf die rezente Berichterstattung zum Filmfonds reagiert, und auf die erfolgreichen Koproduktionen und ihre internationale Präsenz hingewiesen, die „bemerkenswert für ein Land dieser Größe“ seien. Auf eine Interview-Anfrage des Land hat der Produzent nicht reagiert.

Roots Kino hat bei Guy Daleiden zuhause keine Rolle gespielt, damit ist er erst in späteren Jahren in Berührung gekommen, erzählt er. Als einen der für ihn prägendsten Filme nennt er Alan Parkers Thriller Angel Heart (1987) mit Robert de Niro, in dem ein Privatdetektiv damit beauftragt wird, einen verschwundenen Musiker aufzuspüren. 1963 in Steinsel im Haus seiner Eltern geboren, besuchte Daleiden das Stater Kolléisch, war Präsident der Acel und arbeitete nach einem Geschichts- und Germanistikstudium in Freiburg im Medienservice des Luxemburger Staatsministeriums. Zwischen 2006 und 2013 war er Vizepräsident der DP, ein Dutzend Jahre saß er im Steinseler Gemeinderat. Sein Onkel war Bürgermeister der Gemeinde, sein Vater Jos Daleiden fast vierzig Jahre lang Generalsekretär der CGFP. Somit ist sein Sohn quasi in die Staatsbeamten-Mentalität hineingewachsen: „Wann ee mech virum Enn vu mengem Mandat wëll lass ginn, well mäi Gesiicht engem net geet, muss ee mech anzwuersch anescht ënnerkréien“. Insbesondere seinem Vater habe er sein Engagement zu verdanken, seinen Sinn für Ehrlichkeit und Gerechtigkeit.

Diese Ehrlichkeit wird ihm gerade abgesprochen. Vergessen wird dabei mitunter, dass ihm dieser legale Rahmen zugesprochen wurde und dass er wiederum politisch und strukturell bisher so gewollt war. Aus dem Staatsministerium, dem der Filmfonds seit 2014 alleinig untersteht – bis dahin war auch das Kulturministerium beaufsichtigend beteiligt –, gibt es keine Neuigkeiten zur anstehenden Reform des Filmförderungsgesetzes. Man habe den Bericht des Rechnungshofes abwarten wollen, dessen Empfehlungen in den neuen Gesetzentwurf einfließen werden. Europäische Richtlinien sollen integriert, administrative Prozesse überdacht und die Verbände gehört werden. Diese Arbeit soll „in den nächsten Wochen“ abgeschlossen und dann im Parlament hinterlegt werden. Man darf erwarten, dass die Position des Direktors im neuen Text eingeschränkt wird, da das politischer Konsens ist. Die Opposition, allen voran die Präsidentin der Budgetkontrollkommission Diane Adehm (CSV), hatte den Druck in den letzten Wochen erhöht und bereits vor der offiziellen Anhörung im Parlament auf RTL-Radio gesagt, der Direktor „mécht wat e wëll a säi Conseil léisst e gewäerden“. Das hatte eine Rüge des Abgeordneten Dan Kerschs (LSAP) zufolge, der die Präsidentin verwarnte, sich in ihren Medienauftritten nicht außerhalb des Rahmens der Kommission zu bewegen.

Glamour Nichtsdestotrotz wurde Guy Daleidens Mandat vom Medienminister Xavier Bettel (DP) bis 2028 verlängert. Bleibt er so lange im Amt, wären es stattliche 29 Jahre als Direktor einer staatlichen Filmförderung. Er dürfte gespannt auf die Wahlen vom nächsten Jahr blicken, ihr Ausgang wird auch ihn betreffen. Der Aufbau einer luxemburgischen Filmindustrie begann jedoch lange vor der blau-rot-grünen Regierung und einem DP-Medienminister. 1988 wurde das Gesetz zur Reform des audiovisuellen Sektors reformiert, in den 90er-Jahren die Professionalisierung der Branche durch eine Erhöhung an Koproduktionen vorangetrieben, die die tax-shelter Regelung weiter begünstigte. Man wollte sich mit mehr brüsten als Schacko Klak, man wollte in die weite Welt hinaus. 1998 ging der Fonspa, Fonds national de soutien à la production audiovisuelle, der offizielle Name des Filmfonds, aus dem CNA hervor. Nachdem die Film-Investitionszertifikate von den direkten finanziellen Hilfen abgelöst wurden, rückte die glamouröse Filmwelt immer näher. Heute hat mit Vicky Krieps eine luxemburgische Schauspielerin erstmals den European Film Award als beste Schauspielerin für ihre Rolle als Kaiserin Sissi in Corsage gewonnen; die luxemburgische Koproduktion Bad Luck Banging or Loony Porn nahm 2021 den Goldenen Bären der Berlinale mit nach Hause und in Cannes waren dieses Jahr fünf Koproduktionen, an denen Luxemburg beteiligt ist, in der Auswahl.

Filme in luxemburgischer Sprache schaffen es hingegen selten auf Festivals oder gar in ausländische Kinos. Die Kritik einer Filmemacher/in, der/die anonym bleiben will, das hiesige Talent würde nicht ausreichend in der Ideen- und Drehbuchentwicklung unterstützt, und die Balance zwischen ausländischen Koproduktionen und hiesigen Projekten stimme nicht, will Daleiden nicht gelten lassen. „Diesen Markt brauchen wir, mit Luxemburger Regisseuren allein würde die Branche drei bis vier Filme pro Jahr produzieren und dementsprechend nicht genug Arbeit generieren.“ Er pocht auf die Entwicklung des Sektors in den letzten 30 Jahren: „Ech si ganz, ganz houfreg op eise Secteur“.

Sarah Pepin
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