LEITARTIKEL

Freiheit! Aber wie?

d'Lëtzebuerger Land du 11.02.2022

Heute Mittag um 13 Uhr schreitet das Parlament zur Abstimmung über die nächste Covid-Gesetzesänderung. Die Regierung hat es eilig: DP-Premier Xavier Bettel versprach vor acht Tagen beim Covid-Briefing, komme der Gesetzentwurf heute zum Votum, werde er sich dafür einsetzen, dass die Änderungen noch am Wochenende in Kraft treten. Gestern hieß es aus dem parlamentarischen Gesundheitsausschuss, die Inkraftsetzung könnte schon ein paar Stunden später erfolgen. Klappt das, kehrt schon heute Abend das Nachtleben zurück.

Eigentlich sollte das aktuelle Covid-Gesetz bis Ende Februar gelten. Die vorgezogene Lockerung mit der Abschaffung der Sperrstunde um 23 Uhr und der Rückkehr zu 3G im Freizeitbereich ist natürlich eine Geste an die Gastronomie- und Freizeitbranche sowie ihre Kundschaft. Weil das obligatorische 3G am Arbeitsplatz nur einen Monat, nachdem es Pflicht geworden war, erneut fakultativ wird, sind die Lockerungen auch eine Geste an Betriebschefs, denen es Probleme bereitet, jeden Tag Corona-Polizist zu spielen.

Man könnte in den Lockerungen aber auch einen ersten Schritt Richtung Ausgang aus der Pandemie sehen, denn der allgemeine Druck auf Ungeimpfte wird zurückgenommen. Das mag überraschen, liegt aber in Phase mit der von der Regierung bevorzugten Impfpflicht für über 50-Jährige. Am gestrigen Donnerstag waren knapp 88 Prozent der 50- bis 59-Jährigen zweimal geimpft, bei den ab 60-Jährigen waren es 91 Prozent. 81 Prozent der ab 60-Jährigen haben drei Dosen erhalten. Wenn das große Ziel darin besteht, die Kliniken zu entlasten, dann ist vielleicht die Zeit gekommen, um zu sagen: Die Verantwortung des Staates endet demnächst. Wer sich nicht selber schützt, ist dann selber schuld. Und für die Altersgruppe, auf die besonders Acht gegeben werden muss, kommt eine Impfpflicht.

Doch an dieser Stelle wird es kompliziert. Denn die Regierung kommuniziert so nicht. Xavier Bettel sprach vergangenen Freitag so viel von „Freiheit“, dass es an ein Wahlkampftreffen der DP erinnerte. LSAP-Gesundheitsministerin Paulette Lenert begann, was sie noch nie getan hat, über den Anteil der von Covid Genesenen an der Bevölkerung zu reflektieren und meinte, addiere man diese 15 Prozent zum Anteil der Geimpften, sei „Luxemburg gar nicht so schlecht“.

Wahrscheinlich wird es gerade wenn ein Exit aus den Corona-Beschränkungen unternommen werden soll, darauf ankommen, was man sagt und wie. Es wird dann nicht nur weiterhin Impfverweigerer geben. Sondern neben jenen, die die wiedergefundenen Freiheiten gern annehmen, auch Skeptiker, denen alles zu schnell geht. Bis hin zu Menschen, die sich aus ganz persönlichen Gründen in den Beschränkungen eingerichtet haben und denen beim Gedanken an Freiheit unwohl wird. Sie alle muss die Regierungspolitik demnächst einen. Das geht nur durch eine ehrliche Kommunikation dessen, was gewollt ist, und eine Untermauerung mit Zahlen, die erklärt werden. Verbunden mit der Erläuterung, welche Rolle als Sicherheitsnetz dabei der Impfpflicht zukommt.

Noch wird die Regierung dem nicht gerecht. Der Premier, der am 19. Januar im Parlement mit seinem Bekenntnis zur Impfpflicht stellvertretend für die Regierung den Eindruck machte, Chef zu sein, hängt seinem Volk drei Wochen später lieber die Wurst vom „Ende der Pandemie“ vor die Nase, als müsse er Lenerts „ultima ratio“ mit einem anderen Begriff kontern.

Und so können auch die nun zu verabschiedenden Lockerungen den Verdacht erwecken, leichtsinnig, weil verfrüht zu sein. Die Regierung räumt im Motivenbericht zum Gesetzentwurf ein, nicht „suffisamment de recul“ zu besitzen, um die sanitäre Lage unter Omikron richtig einschätzen zu können. Wem es auf die Spitäler ankommt, der muss feststellen, dass am Mittwoch zwar nur acht Covid-Patienten auf Intensivstationen gezählt wurden, aber 72 in der Normalbetreuung. Das sind zwar keine 200 wie zur Spitzenzeit im Spätherbst 2020, aber mehr als die 40 bis 50 vor zwei Monaten, als die Delta-Variante noch vorherrschte. Ob sich nach den Lockerungen die Spitäler weiter füllen, vor allem die Normal-Betten, ist die Frage. Man hätte sich ihr noch anders stellen müssen als mit dem Versprechen auf „Freiheit“.

Peter Feist
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