Damit aus den Todesfällen in Pflegestrukturen die richtigen Lehren gezogen werden, muss die Chamber ihre Kontrollfunktion ernstnehmen. Eine knappe Mehrheit hat dies verhindert

Politspektakel statt Aufklärung

Die Stimmung in den Heimen ist seit Monaten angespannt
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 09.04.2021

Nach vier Stunden und vier Minuten war es das erste Mal so weit, dass Chamber-Präsident Fernand Etgen die Abgeordneten ermahnte, „dass wir die Debatte in Würde führen“. Es sollte nicht die letzte Intervention sein in einer historischen Sitzung, die in der Forderung aller Oppositionsparteien von Links bis Rechtsaußen gipfelte, die für den Seniorenbereich zuständige Familienministerin Corinne Cahen (DP) möge ihr Amt niederlegen.

Gerade hatte der CSV-Abgeordnete Michel Wolter eine Unterbrechung seiner Rede durch LSAP-Arbeitsminister Dan Kersch als „Störmanöver“ zurückgewiesen; der daraufhin mit „Methode Wolter“ konterte. Damit war die Route festgelegt: Im weiteren Verlauf sank das Niveau der Debatte des Öfteren weit unter die Gürtellinie.

Eigentlich hatte Wolter angesetzt, die Kommunikation der Regierung zu kritisieren. Am selben Tag hatten Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) und Familienministerin Corinne Cahen in einer gemeinsamen Antwort auf eine Dringlichkeitsanfrage der CSV die Gesamtzahl der Corona-Cluster in Heimstrukturen aufgeschlüsselt: Demnach gab es seit März 2020 53 Corona-Cluster, mit insgesamt 1 660 positiv getesteten Bewohner/innen. Zu keinem Moment habe die zuständige Ministerin diese oder andere Daten proaktiv kommuniziert, ärgerte sich Wolter.

Entgegen der Behauptung der Familienministerin, ihr Ministerium habe, gemeinsam mit Santé und Copas, stets „den Lead“ gehabt, falle ihre Krisen-Kommunikation während der gesamten Pandemie spärlich aus – das, obwohl der Alten- und Pflegesektor in den Zuständigkeitsbereich der Ministerin fällt, aus dem immerhin fast 40 bis 50 Prozent der Covid-19 Toten stammen. Je nachdem, wie man zählt: Denn die an oder wegen Covid gestorbenen Bewohner/innen der Logements encadrés, auch das ist eine Erkenntnis der vergangenen Tage, werden nicht zu den Covid-Toten in den Heimen gezählt.

Wegen der „mangelnden Transparenz“ fordern die Oppositionsparteien nicht nur eine Studie zu den epidemiologischen Hintergründen der verschiedenen Cluster, sondern zusätzlich ein Audit über die Einhaltung der sanitären Auflagen und der von Santé, Copas und Familienministerium vereinbarten Prozeduren. Um den Träger flexible Passungen je nach Haus und Population zu erlauben, hatten sie in erster Linie auf Empfehlungen statt auf verpflichtende Regeln für alle gesetzt.
Worum es geht Nachdem im Niederkorner Altersheim „Um Lauterbann“ seit 18. Februar binnen kürzester Zeit mehr als 22 Personen an Covid-19 verstarben, und wie 100,7 ab 19. Februar meldete, neue Cluster trotz Impfkampagne in weiteren Altersheimen aufgetaucht waren, haben nicht nur die Verantwortlichen der Gemeinden und die politische Opposition Zweifel, ob beim Schutz der Alten und Gebrechlichen alles richtig läuft. Inzwischen werden die Stimmen in der Öffentlichkeit immer lauter, die sich fragen, wie gut der Schutz der Alten in den Heimen organisiert ist und warum insbesondere in den vergangenen Wochen, trotz nahezu abgeschlossener Impfphasen 1 und 2 eine so hohe Zahl an Senioren dennoch an Covid-19 erkrankte und verstarb.

Der Verein Amiperas berichtete gegenüber RTL von Anrufen verängstigter Senioren, die sich mit Suizidgedanken plagten oder die vor lauter Verunsicherung nicht mehr wissen, was tun. Unsicherheiten, die wahrscheinlich auch daher rühren, dass mittlerweile mehrere Versionen zu den Hintergründen der Infektionsketten in den Medien, auf den sozialen Netzwerken, wie in der politischen Debatte kursieren. Es fällt schwer, den Überblick über die Geschehnisse zu behalten, so rasant entwickelten sie sich: Von zunächst zwei Covid-Positiven in Niederkorn waren es zur Hochzeit der Ansteckungswelle 67 Covid-19 Positive gleichzeitig, wie Corinne Cahen auf ihrer am 23. März einberufenen Pressekonferenz zugab. Inzwischen sind weitere Cluster in Heimen aufgetaucht, etwa in der Fonda-tion Pescatore in Luxemburg-Stadt, dies, obwohl die zweite Impfung dort fast ein Monat zurückliegt.

Die Ursachenforschung läuft und sie ist, das erfährt man im Gespräch mit der Leiterin der Gesundheitsinspektion Anne Vergison, sehr komplex und kompliziert: Einfache und schnelle Erklärungen, so viel wird deutlich, gibt es nicht. Waren es Mahlzeiten im gemeinschaftlichen Essenssaal, die dazu beitrugen, dass sich das Virus so rasch verbreiten konnte? Laut Heimleitung essen Bewohner/innen wegen der Pandemie in Bezugsgruppen zusammen, ähnlich dem Prinzip in den Schulen, um Vermischungen und schnelle Ansteckungen zu vermeiden. Eigenen Angaben zufolge schloss die Lauterbann-Heimleitung den Essenssaal ab 21. Februar vorsorglich, um weitere Covid-19-Ansteckungen zu vermeiden.
Ausnahmen von der Regel ? Positiv Getestete per „cohortage“ zusammen in einem Flügel oder auf einem Gang unterzubringen, von den Gesundheitsbehörden für den Umgang mit Covid-19-Positiven in Strukturen empfohlen, sei zumindest in dem 150 Bewohner zählenden Heim älteren Bauchjahrs aufgrund der räumlichen Enge nicht möglich gewesen. Jetzt fragen sich viele: Wie oft war das in der Vergangenheit so, dass Heime aufgrund architektonischer oder anderer Gründe Schutzempfehlungen der Behörden nicht oder nicht vollständig umgesetzt haben, und sind die Cluster, die in anderen Heimen detektiert wurden, eventuell auf derlei Ausnahmen von der Regel zurückzuführen?

Genügend Kontrollen? Wie oft kontrollierte die Gesundheitsinspektion, wie oft stellte sie Defizite fest? Was unternahmen Heimträger, um gegebenenfalls Schutzlücken zu schließen? 73 Besuche hätten die Behörden seit März 2020 den Alten- und Pflegeheimen abgestattet, sagt Anne Vergison auf Land-Nachfrage. Meistens, um Schutz- und Hygienemaßnahmen zu analysieren, Empfehlungen für Verbesserungen auszusprechen oder deren Umsetzung zu kontrollieren. Teils auf Bitten verunsicherter Heimleitungen, teils weil sich vor Ort Ansteckungen in beunruhigend hoher Zahl häuften. Die Inspektoren protokollieren nicht nur die Zahl der Erkrankten, der asymptomatischen und der leicht bis schwer Erkrankten. Anhand einer „Checkliste“, die laut Vergison „systematisch abgehakt“ wird, werde geprüft, ob alle sanitären Auflagen von Bewohner/innen, Personal und Besuch eingehalten würden. Wie oft dies nicht der Fall war, sagte Vergison nicht, aber festgestellte Mängel reichten in der Vergangenheit von falsch getragenen Masken über schlechte Belüftung bis hin zu Lücken bei Lagerung und beim Transport von Schmutzwäsche. Offenbar bereitet das Verständnis und das Einhalten der sanitären Regeln auch immer wieder Probleme, gerade bei dementen Bewohner/innen.

„ Nidderkuerer Variant“ Daneben erfolgen bei größeren Viren-Clustern epidemiologische Untersuchungen, bei denen Viren verstärkt sequenziert werden. Wie systematisch das geschieht, ist unklar. Als Ministerin Cahen am 23. März vor die Presse trat, war der Epidemiologe Joël Mossong von der Gesundheitsinspektion zugegen. Für das Servior-Heim „Um Lauterbann“ waren zu dem Zeitpunkt 40 Prozent der Viren-Gensequenzen analysiert. Laut dem Leiter des Gesundheitsamtes, Jean-Claude Schmit, wurden vier Varianten gefunden, darunter eine häufigere Variante 1.1.2.9, die laut Schmit nicht zu den besorgniserregenden Varianten zähle. Die „Nidderkuerer Variante“ sei eine Abwandlung der südafrikanischen Mutante, so Anne Vergison, die „möglicherweise ansteckender“ sei und eine längere Inkubationszeit habe. Offenbar wiesen einige Covid-19-Positive höhere Viruskonzentrationen auf, was für ein größeres Übertragungsrisiko spräche. Präzise lasse sich das derzeit nicht sagen. „Dazu wissen wir noch zu wenig“, sagte Anne Vergison dem Land.

Bewohner/innen und Familienangehörige rätseln derweil darüber, ob bei den Impfungen etwas schieflief. In einer Zeit, wo wegen immer neuer Schlagzeilen und Kommunikationspannen um den Impfstoff Astrazeneca große Verunsicherung in punkto Impfstoff und Wirksamkeit herrscht, sind Menschen für Gerüchte empfänglich: Impfgegner streuen über soziale Netzwerke gar, die Todesfälle in Luxemburger Heimen seien erst durch die Impfungen herbeigeführt worden – eine Behauptung, die Jean-Claude Schmit kategorisch zurückwies: „Die Leute sind sicher nicht durch die Impfung (an Covid-19) erkrankt.“ Eher sei das Gegenteil der Fall: Die asymptomatisch Positiven in der Fondation Pescatore bestätigten Ergebnisse aus wissenschaftlichen Studien, wonach eine erfolgreich abgeschlossene Impfung Ältere bei erneuter Ansteckung vor schweren Krankheitsverläufen schützt.

Lücken beim Impfschutz? Und wie steht es mit dem Gesundheits- und Pflegepersonal? Impfungen in den Heimen werden vom Gesundheitsministerium organisiert, von einem Arzt/einer Ärztin begleitet und einem/einer Koordinator/in überwacht. Den Impfstoff verabreicht das Pflegepersonal vor Ort. Jean-Claude Schmit hatte auf der Pressekonferenz vom 23. März angemerkt, dass einige Pflegekräfte mit den Bewohner/innen geimpft wurden. Aber, da ist Schmit formell, sei das Virus da schon im Heim gewesen. Eine längere Inkubationszeit könnte erklären, warum es nicht früher aufgefallen ist.

Daran schließt sich ein weiteres Problem an: Im Heim in Niederkorn wurde relativ spät geimpft – obwohl, wie Schmit betonte, dort viele Hochbetagte mit mehreren Vorerkrankungen leben. Corinne Cahen hatte während der Chamber-Debatte darauf hingewiesen, dass die Vulnerabilität der Bewohner ein Kriterium war, als es darum ging, gemeinsam mit Copas und den Gesundheitsbehörden die Impfreihenfolge der Häuser festzulegen, neben der Größe des Hauses, der Bewohnerzahl, dem verfügbaren Personal und verfügbaren Impfstoff. Warum aber wurde in dem Heim so spät geimpft, wenn die erhöhte Vulnerabilität bekannt gewesen sein müsste? Oder, wie ein Tageblatt-Journalist bemerkte: Warum so spät im Süden, wo das Infektionsrisiko größer ist und die Infektionsrate ebenfalls höher liegt?

Auch die Tatsache, dass das Putzpersonal nicht überall mitgeimpft wurde, könnte sich im Nachhinein als fataler Fehler herausstellen. Jean-Claude Schmit und Paulette Lenert hatten diese Entscheidung mit dem knappen Impfstoff und der Priorität begründet, Risikogruppen vorrangig zu impfen. Anders als in der Klinik zählt das Putzpersonal nicht zum „cordon sanitaire“. Aus Berichten von Pflegepersonal und Angehörigen wird indes deutlich, dass in Altersheimen der Sanitärkordon nicht so eng bestimmt werden kann. Dort gibt es generell mehr Bewegung, Bewohner/innen, die dort leben, bekommen Dienstleistungen, teils von außerhalb; sie besuchen Aktivitäten, gehen raus. Und da ist das Putz- und Küchenpersonal, oftmals über Subunternehmen angeheuert, das nicht zum Stammpersonal zählt und darum nicht geimpft ist. Obwohl es von Zimmer zu Zimmer gehen und das Virus weitertragen könnte. Copas-Präsident Marc Fischbach hatte im Gespräch mit RTL und anderen Medien stets betont, der Dachverband der Heimträger habe wiederholt gefordert, sämtliches Personal, das in Kontakt mit den Bewohner/innen komme, komplett zu impfen, also auch Putz- oder Klinikpersonal von Subunternehmen.

Und welche Rolle spielt die Impfbereitwilligkeit, die offenbar unter dem Pflegepersonal sehr schwankt und von knapp um die 40 bis, laut Heimträger, über 80 Prozent reiche? Andere wissen gar nicht, wie viele sich haben impfen lassen; sensible Gesundheitsdaten fallen unter den Datenschutz. Wäre es vielleicht aber doch ratsam, Personal, das sich nicht impfen lässt, aus dem direkten Kontakt zu Bewohner/innen abzuziehen? Ist es angesichts des Ansteckungsrisikos und der hohen Mortalität vielleicht sogar geboten, es zur Impfung zu verpflichten, wenn es dort arbeiten will? Auch das sind wichtige Fragen angesichts der Herausforderung, einen wirksameren Schutz der in Strukturen lebenden Alten zu organisieren.

Was heißt unabhängig? Die Mutationen und variierende Bedingungen vor Ort bedeuten eine kniffelige und aufwändige Detektivarbeit, will man herausfinden, warum das Virus in Niederkorn und andernorts derart wüten konnte, und sollte von unabhängigen Expert/innen gemacht werden – darauf schienen sich alle Parteien im Parlament bei den Beratungen in der gemeinsamen Sitzung von Familien- und Gesundheitsausschuss am 23. März verständigt zu haben. Eine unabhängige Expertenstudie, die Übertragungswege, Prozeduren und mögliche Fehlerquellen akribisch untersucht, um den Schutz der älteren Population in Heimen und Institutionen in Zukunft zu verbessern.

Doch was sich am Donnerstag vor einer Woche in der Chamber abspielte, war ein politisches Spektakel, das nicht nur Zweifel daran aufwirft, ob die DP-LSAP-Grüne-Regierung wirklich willens ist, die tragischen Häufungen von Todesfällen im Altensektor gründlich untersuchen zu lassen, sondern überdies Fragen zur Kritik- und Korrekturfähigkeit von politischen Entscheidungsträger/innen und zur Kontrollfähigkeit der Chamber allgemein.

Denn anders als Mars Di Bartolomeo (LSAP) und die Mehrheitsparteien es am Rednerpult und mit Zwischenrufen weismachen wollten, unterschied sich die Motion des Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses nicht nur in „Details“ von der der Opposition (dann hätte, wie der ADR-Abgeordnete Fred Keup einwarf, die Koalition Wolters Motion mittragen können), sondern in einem kruzialen Punkt: Während die Opposition neben einer epidemiologischen Studie ein Audit sämtlicher Prozeduren verlangt, dies in enger Abstimmung mit dem Parlament, will die Regierungskoalition die Chamber lediglich über Ergebnisse informieren. Die vermeintliche Unabhängigkeit war laut Text insofern eingeschränkt, weil die Analyse nicht nur von der Regierung in Auftrag gegeben und bezahlt, sondern zudem in enger Zusammenarbeit mit Familien- und Gesundheitsministerium erstellt werden soll. Ein Unterschied, die den Zweck der Studie in Frage stelle, wie Sven Clement von den Piraten feststellte, und der an die „Kontrollfunktion des Parlaments“ rühre.

Während der gemeinsamen Sitzung von Familien- und Gesundheitsausschuss zwei Tage zuvor hatte Michel Wolter seine Forderung, das Parlaments bei einem Audit einzubinden, wiederholen müssen, bis der Vorsitzende sie richtig wiedergab. Die Motion, die Di Bartolomeo zwei Tage später dem Parlament dann aber vorlegte, lädt die Regierung ein, „à auditionner, respectivement évaluer l’application des mesures sanitaires, recommandations et procedures indquées par rapport au cadre légal et/ou reglementaire“, dies in enger Zusammenarbeit mit Gesundheits- und Familienministerium und nicht, wie die Opposition es will, unter Leitung eines „comité de pilotage“, mit einem Unabhängigen an der Spitze und dem Parlament von Anfang an eingebunden.

Wolters Motion wurde von der Regierungsmehrheit wie erwartet abgelehnt. Daraufhin forderte die Opposition geschlossen Corinne Cahens Rücktritt. Was sich den Beobachter/innen danach darbot, war ein unappetitliches und unwürdiges Spektakel, in dem sich beide „Lager“ in der Härte nichts nahmen, dessen polemische Zuspitzung aber von der Regierungsmehrheit schon zuvor, bei der Debatte um das Covid-Gesetz, mit kleinen Seitenhieben auf die Opposition, eingeleitet worden war. Und in der die DP eine tragende Rolle spielt: Fraktionschef Gilles Baum hatte, wie er während der hitzigen Kontroverse zugab, die Einigung auf eine gemeinsame Motion in Beratungen vor der Chamber-Sitzung „abgewürgt“. Dem Land sagte Wolter selbstsicher, mit dem Ausschussvorsitzenden Di Bartolomeo wäre er sich einig geworden, hätte die DP nicht interveniert.

In der Chamber sah das anders aus: Di Bartolomeo stellte sich gegen Wolter, unterstrich zwar zunächst, die Beratungen seien „ohne Schuldzuweisungen“ seitens der CSV verlaufen, erinnerte aber dann an eine Intervention Wolters vor zwei Tagen, in der der Abgeordnete der Gesundheitsministerin und anderen unterstellt haben soll, Tote wie die vom Lauterbann und in anderen Heimen quasi achselzuckend hinzunehmen. LSAP-Abgeordnete werfen Wolter vor, seine „scharfen Attacken“ am 23.3. seien mit ein Grund gewesen sei, warum Paulette Lenert noch am selben Abend zusammengebrochen sei. Diese Version erzählen LSAP-Mitglieder Journalist/innen, die nicht nachfragen können: Lenert ist bis voraussichtlich 19. April im Krankenschein. Im Sitzungsbericht ist wohl ein Wortwechsel zwischen Lenert und Wolter dokumentiert, in der die Gesundheitsministerin aufgebracht den Vorwurf zurückweist, Covid-19-Tote gleichgültig hinzunehmen.

Doch Wolter selbst hatte den Eindruck direkt korrigiert und präzisiert, er habe die Vertreter der Gesundheitsbehörden, Jean-Claude Schmit und Joël Mossong, gemeint und nicht Lenert – da sich die Ministerin bis dahin ohnehin kaum zu Wort gemeldet hätte. Wolter betonte gegenüber dem Land, während dem Streit „nie Hure und auch nicht Arsch“ gesagt zu haben. Dass der CSV-Politiker zuweilen nicht zimperlich in seiner Wortwahl ist, konnten Journalisten in der Vergangenheit erleben; er gibt es auch selbst zu. Mancher politischer Gegner wirft dem emotional auftretenden Bürgermeister vor, neben der persönlichen Betroffenheit, in der Tragik eine Chance zu wittern, politisch zu punkten, jetzt, wo CSV-Parteipräsident Frank Engel sich zurückziehen musste und der Landeskongress vor der Tür steht.
Schlagabtausch

Die Opposition hält ihrerseits der Koalition und insbesondere der DP vor, Familienministerin Cahen um jeden Preis zu schützen. Premier Xavier Bettel (DP) hatte sich auf seiner Pressekonferenz vor fast zwei Wochen schützend vor die Ministerin und DP-Parteipräsidentin Corinne Cahen gestellt. Sie sei für Altersheime, aber nicht für betreutes Wohnen verantwortlich, behauptete er fälschlicherweise, auf das Covid-Cluster im Vitalhome in Kayl angesprochen. Tatsächlich aber fallen die Logements encadrés in Cahens Ressorts. DP-Fraktionspräsident Gilles Baum hatte in seiner Rede zur Neuauflage des Covid-Gesetzes unterstrichen, die Prozeduren seien mit den Heimen, mit der Santé und mit der Copas aufgestellt und „immer eingehalten worden“.
Genau das aber steht in Frage:

Die Vorgänge werfen ernstzunehmende Fragen zu Schutzlücken bei alten Heimbewohner/innen auf. Das gibt auch die Regierung zu, sonst müssten die Vorfälle ja gar nicht untersucht werden. Dass die Heimleitungen schwierigen Entscheidungen gegenüberstehen, und dabei nicht immer eine glückliche Hand haben, hatte sich im Frühjahr 2020 bei der ersten Infektionswelle in den Altersheimen gezeigt, als Bewohner/innen trotz niedriger Fallzahlen wochenlang von der Außenwelt abgeschnitten waren und Covid-19-Erkrankte starben, ohne dass Angehörige Abschied nehmen konnten. Erst auf Protest von Menschenrechts- und Ethikkommission erließ das Gesundheitsministerium verbindliche Besuchsregeln bei Sterbenskranken. Im Herbst stiegen die Infektionszahlen dann erneut drastisch an – mit dem Ergebnis, dass mehr als 320 der Covid-19-Toten aus Altenheimen stammen.
Insbesondere die zuständige Ministerin gibt eine schwache Figur ab, weil sie aus der Defensive agiert: Mehr als ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie kommuniziert Corinne Cahen so gut wie nie proaktiv, wenn Probleme in ihrem Ressort beim Krisenmanagement auftreten: Der Youtube-Regierungs-Kanal listet zwei Pressekonferenzen zu Covid-19 im Pflegesektor. Bis heute existiert keine eigenständige, täglich aktualisierte Berichterstattung in dem von Corona besonders betroffenen Bereich. Das gab die DP-Ministerin sogar zu: Die Entscheidung, nicht jeden Infektionsherd zu kommunizieren, sei eine „bewusste Wahl“, so Cahen in ihrer Antwort ans Parlament, weil Cluster für das medizinische Personal, für die Bewohner, deren Angehörigen „eine extrem schwierige Situation“ bedeuteten, in der die Organisation des Hauses, der Austausch mit den Akteuren und Betroffenen Priorität haben müsse, „damit sie anständig arbeiten können“. Das werden sie auch weiterhin so halten, so Cahen noch.

Eben diese Haltung sei es, so Fernand Kartheiser von der ADR nach Cahens Rede, die die Notwendigkeit eines unabhängigen Audits beweise: Die Darstellung, sie habe „stets alles richtig gemacht“, zeige, dass die zuständige Ministerin „die Gravität der Situation“ nicht erkenne. So gesehen, hat die Ministerin eine weitere Gelegenheit zur Aufklärung und zu mehr Transparenz verpasst: Statt 20 Minuten lang Prozeduren und Maßnahmen aufzuzählen, hätte Cahen auch die Ergebnisse der 73 Kontrollvisiten in den Heimen, in die stets Vertreter/innen des Familienministeriums eingebunden waren und zu denen es Checklisten und Berichte geben soll, ungefragt auf den Tisch legen können.

Ines Kurschat
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