Binge Watching

Augiasstall

d'Lëtzebuerger Land du 23.12.2022

NWR – die Initialen genügen vollends zur Ankündigung des ganz persönlichen, egozentrischen ästhetischen Programms, das sich mit aller Wucht entfalten wird. Nicolas Winding Refn ein Kino-Fetischist. Einer, der von der eigenen, obsessiven Lust am Bild angetrieben wird. The Neon Demon (2016), ein ganz missverstandener Film über den Sehgenuss selbst, der den Akt des Schauens selbst ausstellte und zugleich unterlief, war vielleicht einer der eindringlichsten Filme über das Kino, den das Kino in der vergangenen Dekade hervorgebracht hat. Ja, es fällt schwer angesichts der berauschenden Schönheit, mit der der Däne seine persönlichen Filmvisionen verwirklicht, nicht zu sehr ins Schwärmen zu geraten. Dieser Ausflug in die Modewelt war Refns letzter Kinofilm, kommerziell ein gescheitertes Projekt.

Mit seiner neuen Mini-Serie Copenhagen Cowboy wendet sich Refn nun – siebzehn Jahre nach seiner Pusher-Trilogie – wieder der Kopenhagener Unterwelt zu und diese ist – das macht die Darstellung unmissverständlich klar – ein Saustall. Das Bild der Borstentiere macht deutlich, dass hier vor allem menschliche Schweinereien im Vordergrund stehen – die Unterwelt, die Copenhagen Cowboy abbildet, ist ein wucherndes Netz aus Zwangsprostitution, Bandenkriminalität, Mord, und der Perversionen einer mysteriösen dänischen Familie; der Schauplatz der Kopenhagener Unterwelt präsentiert sich als wahrhaftiger Vorhof der Hölle. Höchste Zeit also, dass da eine Herkulesgestalt den Augiasstall ausmistet. Diese Heldin kommt mehr in der Gestalt eines Racheengels: Die mysteriöse Miu ist entschlossen, den kriminellen Ring zu zerschlagen.

Nicolas Winding Refn ist zweifelsohne eine Ausnahmeerscheinung des Kinos, nicht nur aufgrund seiner Eigenwilligkeit, sondern auch weil er die filmische Langsamkeit über die Jahre und besonders nach Bronson (2009) konsequent zu seiner eigenen Stilistik gemacht hat. Sie erschwert einem Mainstream-Publikum freilich den Zugang, da kaum Dialoge eine Identifikation mit den Figuren zulassen. Dafür setzt Refn auf eine Betonung der Räume, teils auf ein archaisches Design; man spürt, dass da etwas im Untergrund brodelt. Die Figuren, die da beinahe schon apathisch einen Raum betreten und wieder abgehen, wirken alle schon nicht mehr lebendig, sie sind alle todgeweiht; langsam, schleichend beobachten wir den unumgänglichen Eintritt der Apokalypse. Wir erleben bei Refn eine Form des Sterbens der Zeit im Deleuzianischen Sinne, wo die Narration zum Stillstand kommt, die Zeit in Bilder, nahezu gemäldehaft, gefasst wird. Das ist auch in Copenhagen Cowboy das künstlerische Prinzip. Erst wenn man sich auf dieses wirklich eingelassen hat, beginnt die Serie ihre Wirkung zu entfalten. Da schälen sich allmählich die gequälten seelischen Innenleben der Figuren im Neonlicht nach außen, ohne dass es dafür plakativer Ausstattungsdetails oder längerer Voice-Over-Kommentare aus konfektionierten Serienproduktionen bedürfe. Die psychologische Tiefe der Figuren, ja vielleicht ihre Seele wird nach außen gekehrt und bleibt auf dieser Oberfläche verhaftet. Style is substance. Und dann die Gewalt: Sie ist eines der wichtigsten Kernmerkmale im Schaffen des Dänen. Ja, man möchte fragen: Jemand, der Quentin Tarantinos Gewaltexzesse zu einem opernhaften Spektakel hochzelebriert, hat der eigentlich jemals einen Film oder nur eine Folge von Copenhagen Cowboy von Nicolas Winding Refn gesehen?

Es gibt auch die stilistische Gewalt: Refn penetriert Auge und Ohr, grelle Neonlichter und tiefe Bassschläge stehen dafür musterhaft, mit einer ästhetischen Kraft, die zum Hinsehen herausfordert, auffordert, das Sehen immer wieder neu zu erlernen; ein Prozess, der nur auf Oberflächen fixiert ist. Dann wieder diese abrupt einbrechende Stille, die ganze Szenen untergräbt. Es ist vor allem die Tonspur, mit der Refn ein beständiges Unbehagen aufrechterhält und die für sich allein zu erzählen weiß, dass hier gar nichts in Ordnung ist. In ihrer perfekt durchchoreografierten Dysfunktionalität gleicht die Welt von Copenhagen Cowboy den gepeinigt-desolat entfremdeten Mikrokosmen, die Nicolas Winding Refn in Only God Forgives (2013) oder Too Old To Die Young (2019) etablierte: Welten, in denen der Mensch nur als Einzelgänger existieren kann, oder ansonsten zum Scheitern verdammt ist.

Nur so lässt sich das künstlerische Projekt von Nicolas Winding Refn überhaupt erschließen: Diese Oberflächen zu zelebrieren und gleichzeitig zu unterlaufen, das unvereinbare Gegensatzpaar zusammenzuführen, die Oberfläche zur Tiefe zu machen – Nicolas Winding Refn ist zweifelsohne einer der wenigen Epigonen Michael Manns.

Marc Trappendreher
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