Luc Frieden mag keine Tripartite. Doch die Dramaturgie des Treffens von acht Minister/innen mit dem Unternehmerdachverband UEL und den drei großen Gewerkschaften OGBL, LCGB und CGFP war die einer Tripartite. Mit der zeremoniellen Ankunft der Teilnehmer. Mit der großen schwarzen Tür zum Staatsministerium, die für elf Stunden zu blieb. Mit dem kurzen Pressetermin am Donnerstag um zwei Uhr morgens und der Vertraulichkeit, die über Details des Treffens vereinbart wurde.
Tripartite-Sitzungen aber müssen vorbereitet sein. Das elfstündige Treffen am Mittwoch war es nicht. Es diente vor allem dazu, den Premier vor Schaden zu bewahren. Hätten Gewerkschaften oder UEL die Sitzung verlassen oder die Regierung sie abgebrochen, wäre nicht auszuschließen gewesen, dass OGBL und LCGB für den Herbst einen Generalstreik vorbereitet hätten. Luc Frieden, der gern von sich behauptet, zu besonderem Leadership fähig zu sein, könnte dann aussehen wie ein Chef, der nichts mehr kontrolliert.
Den Eindruck, dass er die Kontrolle hat, versuchte er am Ende des Treffens zu verbreiten. Die Gewerkschaften bekamen zugesichert, dass die Regierung nicht daran denke, ihnen das Exklusivrecht zum Abschluss von Kollektivverträgen und innerbetrieblichen Konventionen zu nehmen. Auch die Inhalte der Konventionen und Verträge sollen nicht aufgeweicht werden. Man braucht nicht besonders viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass diese Zusage die Regierung eine Menge gekostet hat. Im Koalitionsvertrag steht immerhin, die Mitbestimmung in den Betrieben werde modernisiert, sodass Gewerkschaften dabei künftig nicht mehr unbedingt eine Rolle spielen müssten. Mit „neutralen“ Personaldelegierten zu verhandeln, ist eine sehr alte Forderung der Unternehmerverbände. 1935 hielt das Écho de l’industrie, Organ der Fedil, fest, die in den Unternehmen gewählten Arbeitervertreter verstünden besser als Gewerkschaftsfunktionäre den Markt, auf dem ein Betrieb agiert, seine Möglichkeiten und Schwierigkeiten. Das Tageblatt berichtete 1939, wie Handwerksfirmen sich weigerten, mit Gewerkschaftern zu verhandeln: Das komme einer „Einmischung betriebsfremder und betriebsunkundiger Elemente“ gleich.
OGBL und LCGB hatten die Forderung nach Beibehaltung des Exklusivrechts zu Verhandlungen zu einer „roten Linie“ erklärt. Gebe die Regierung in diesem Punkt nicht nach, „gehen wir“, drohte OGBL-Präsidentin Nora Back vor dem Treffen am Mittwoch. Dass die Regierung zugesagt habe, am „Status quo“ tatsächlich nichts zu ändern, sickerte relativ früh an die Journalisten durch, die im Pressesaal der Kooperations-Direktion warteten. Land-Informationen nach, stand diese Zusage an die Gewerkschaften aber bis weit in die Nacht nicht fest. Dazu passt, dass UEL-Präsident Michel Reckinger darin am Ende des Treffens nur eine „Meinung“ der Regierung erkennen wollte. Und betonte, „unsere Meinung“ sei das nicht. Der Unternehmerdachverband sehe diesen Punkt als Teil des „Pakets“, über das am Montag weiterverhandelt werden soll.
Doch auf Luc Frieden war der Druck immer größer geworden. Dass er in seiner Erklärung zur Lage der Nation am 13. Mai herausposaunte, die Beitragsjahre für eine vorgezogene Rente würden verlängert, ließ ihn nicht nur auf den achten Platz in der Beliebtheits-Skala des „Politmonitors“ abstürzen. Es lieferte den Gewerkschaften aus dem Privatsektor auch das mobilisierende Thema für ihre Kundgebung am 28. Juni. Hätte er im état de la nation zu den Renten seinen Mund gehalten, hätte er mit einiger Wahrscheinlichkeit gegen OGBL und LCGB durchregieren können. Doch angewsichts der 14 000 bis 22 000 Teilnehmer an der Maniff geriet er in die Defensive. Koalitionspartner DP riet öffentlich zum „Sozialdialog op Aenhéicht“. Am Montag bei der parlamentarischen Bilanzpressekonferenz der DP nannte Fraktionspräsident Gilles Baum den Sozialdialog „ee vun de wichtegsten Atoute fir déi wirtschaftlech Entwicklung an e gutt Zesummeliewen“. Beim Treffen am Mittwoch spielten DP-Minister, Land-Informationen zufolge, eine entscheidende Rolle, dass die „rote Linie“ der Gewerkschaften am Ende tatsächlich nicht überschritten wurde. Dass Xavier Bettel um zwei Uhr morgens munter zu Protokoll gab, es herrschten „keine Flitterwochen“ zwischen CSV und DP, aber die Ehe sei gut, Luc Frieden danebenstand und einwarf, „do kann ech dem Vizepremier nëmme recht ginn“, war bezeichnend. Frieden reagierte auf Bettel. Als sei dieser der Chef. Jedenfalls einen Moment lang.
Dabei hatten CSV und DP natürlich gemeinsam abgemacht, Luxemburg zu „modernisieren“. Sie standen zusammen für einen Politikansatz, der business friendly sein soll, und Luc Frieden sprach nicht für sich allein in seiner Regierungserklärung zum Amtsantritt am 23. November 2023, als er das Credo verkündete, wenn es einem Unternehmen gut gehe, gehe es dessen Besitzer gut, den Angestellten und dem ganzen Land. Der Modernisierungsansatz im Koalitionsvertrag, von den Änderungen bei den Kollektivverträgen bis hin zur Sonntagsarbeit im Einzelhandel, soll hierzulande nachholen, was in anderen EU-Ländern längst geschehen ist. Anderswo endete die Ära von Sozialdemokratie und Sozialpartnerschaft in den Achtzigern und Neunzigern. Dass Luxemburg den Eindruck erwecken kann, sie dauere an, ist hohen Steuereinnahmen aus den Gewinnen von Banken und Soparfi und der Abonnementtaxe aus der Fongenindustrie zu verdanken. CSV und DP vereinbarten, die Sozialdemokratie abzutragen, so weit das durchsetzebar wäre. Was die UEL sich schon lange wünscht und mit dem Präsidenten der Handelkammer als Premier zum Greifen nah glaubte. Zu welchen Spannungen das geführt hat, sah man am Mittwoch beim Handschlag von UEL-Präsident Michel Reckinger und LCGB-Präsident Patrick Dury.
„Keen Dossier ass zou!“, insistierte Reckinger am Donnerstagmorgen. Die UEL sieht die Repräsentativität der Gewerkschaften als Teil eines „Pakets“. Dass die Regierung einen Rückzieher macht, wenn am Montag Runde zwei der Gespräche stattfindet, ist nicht zu erwarten. Doch die Unternehmervertreter werden alles daran setzen, sich von ihr teuer bezahlen zu lassen, was sie den Gewerkschaften zugesagt hat. Einen Preis werden sie bei den Renten verlangen, über die der Austausch am Mittwoch noch nicht weit reichte. Wahrscheinlich auch zur Arbeitszeitorganisation, die ins Ständige Beschäftigungskomitee CPTE ausgelagert wurde, in dem OGBL und LCGB ihre Politik des leeren Stuhls beendet haben. Vielleicht auch zu den Öffnungszeiten im Einzelhandel.
Am Donnerstag in der Abgeordnetenkammer hatte Luc Frieden einige argumentative Not, das Zugeständnis an die Gewerkschaften als Teil seines Modernisierungsansatzes zu verkaufen. „Wir brauchen eine Wirtschaft, die läuft, die Reichtum und Arbeitsplätze schafft.“ Nicht alles, was die Wirtschaft moderner mache, sei in der Runde am Mittwoch diskutiert worden, doch für jeden Aspekt davon brauche man „den Sozialdialog“. Dass am Ende die Regierung entscheide, proklamiert der Premier schon lange nicht mehr. Stattdessen verschrieb er sich in seiner Regierungerklärung nach der Tripartite, die nicht so heißen sollte, dem „Geescht vum Kompromëss a vum Nolauschderen“. Er habe vernommen, was „auf der Straße“ und im Parlament gesagt wurde.
Luc Friedens Position ist geschwächt. Dass die Opposition die Gelegenheit ergreifen würde, mit dem Premier rhetorisch abzurechnen, konnte man erwarten. Doch aus den Mehrheitsfraktionen kam ebenfalls kaum verhüllte Kritik. CSV-Fraktionspräsident Marc Spautz beglückwünschte Frieden für seine Zusagen an die Gewerkschaften. Die seien „eine gute Basis für weitere Diskussionen“. Sozialen Frieden könne man nicht „von oben her dekretieren“. Es könne nicht nur „darum gehen, seinen Punkt durchzubringen“, fügte er, vielleicht vorsichtshalber, „persönlich“ an.
DP-Faktionspräsident Gilles Baum schmierte Luc Frieden ungerührt aufs Brot, dass „die vorige Regierung“ das Land durch „ganz große Krisen geführt“ habe, und nannte den Sozialdialog „das As in unserem Kartenspiel, wenn es um die Attraktivität des Landes geht“.
Da war sie, die Frage: Kann Luc Frieden Tripartite? Auch, weil Marc Spautz das Treffen vom Mittwoch zweimal Tripartite nannte, vielleicht weil der Begriff ihm näher ist als dem Premier. Die Opposition ist sich nicht sicher. Der LSAP-Abgeordnete Georges Engel hielt Frieden vor, unfähig zu sein, Fehler einzugestehen, wie im RTL-Fernsehen am Abend des 28. Juni. Sam Tanson von den Grünen dozierte: „Sie haben nun bis Montag Zeit, das Terrain vorzubereiten.“ Die Kuh sei noch nicht vom Eis, zu Renten und Sonntagsarbeit sei alles noch unklar. Es gehe auch um die Glaubwürdigkeit der Regierung. Wer hätte gedacht, dass Luc Frieden sich so etwas würde sagen lassen müssen? Wo er doch im Wahlkampf behauptet hatte, am besten zu wissen, was „Leadership“ ist.