LSAP-Kongress

Talkshow

d'Lëtzebuerger Land vom 29.03.2007

„Wir brauchen uns wegen keines Kapitels unserer langen Geschichtezu schämen“, meinteLSAP-Präsident AlexBodry am Sonntagmorgen,während dezent lila Diskoscheinwerfer über die theatralischen Vorhänge in seinem Rücken kreisten. Die Plastikrolllade des Ausschanks am anderen Ende der Junglinster Mehrzweckhalle war pünktlich zu Beginn der Rede heruntergelassen worden. Die über 300 Delegierten mit dunkelroten Rosen im Knopfloch hörten noch andächtig zu, dass ihre Partei zwar mehrfach den Namen geändert, aber immer auf der richtigen Seite gestanden habe. 

Die beruhigenden Worte schienen nötig, weil die Partei unentwegt versucht, sich auf ihre Tradition zu berufen und gleichzeitig vor ihr davonzulaufen. Deshalb erhebt sie alle fünf Jahre Anspruch auf die Stimmen von OGB-L- und FNCTTFELMitgliedern und will endlich nichts mehr mit der organisierten Arbeiterbewegung zu tun haben. Schließlich herrscht Dienstleistungsgesellschaft.

Der von Aly Schroeder geleitete Kongress am Sonntag war ein weiterer kleiner Schritt in dieser Absetzbewegung. Aly Schroeder hatte schon vor 35 Jahren den sagenumrankten Wormeldinger Kongress geleitet, der den Weg in die Koalition mit der DP ebenen sollte. Der Junglinster Kongress war kein Stück Abkehr von der Tradition, weil eine Handvoll Delegierter handstreichartig die Partei in „Sozialistische Partei Luxemburgs (SPL)“ umbenennenwollten – schließlich ist der Name schon seit 1979 als Vereinigung ohne Gewinnzwecke reserviert. Sondern weil am Nachmittag über die „soziale Kohäsion“ diskutiert wurde.

Ein Jahrhundert lang versprach die Partei „sozialen Fortschritt“; so lange war die Diskussion über die soziale Kohäsion überflüssig. Undwährend die Delegierten früher mit Resolutionen und Änderungsanträgen darüber verhandelten, wie weit der soziale Fortschritt gehen sollte, bekamen sie diesmal eine Talkshowgeboten.Wie am selben Abend Jean-Claude Juncker im deutschen Fernsehen über Europa, plauderten vier Sozialisten mit den verbliebenen Delegierten als Zuschauer über die soziale Kohäsion, nämlich eine geschlossene Gesellschaft von einem Minister, einer Abgeordneten und zwei Parteifunktionären. War der Kongress einst das Parlament der Partei, das den politischen Kurs festlegte, so dient er nun dazu, den leicht misstrauischen Mitgliedern die Regierungspolitik schmackhaft zu machen – etwa in der Sozial- undAsylpolitik. 

Zumindest einige LSAP-Mitglieder in Luxemburg und Esch schienen dem von der Tripartite beschlossenen Einheitsstatut für Arbeiter und Angestellte einen ganz besonderen Vorzug abzugewinnen. Sie interessierten sich weder für Lohnfortzahlung, noch Überstundenvergütung, sondern erwarteten sich, dass durch das Einheitsstatut die Arbeiter mit einem Federstrich aus dem öffentlichen Bewusstein und der Politik verschwinden. Wodurch für eine zur „neuen Mitte“ strebende LSAP endgültig das, was seit dem 19. Jahrhundert die „Arbeiterfrage“ genannt wird, nicht gelöst,sondern beseitigt wäre. 

Deshalb konnten Patrizia Luchetta, Robert Goebbels und René Kollwelter die Einführung des Einheitsstatuts samt seiner jahrelangen Übergangszeit gar nicht abwarten, um das „A“ aus dem Parteinamen zu streichen. Die Ungeduld ist um so gewagter, als derzeit nicht einmal sicher ist, ob LSAP und CSV das Einheitsstatutüberhaupt durchsetzen können. Aber 1999 hatte sich die Partei schon einmal lächerlich gemacht, als sie einen Wahlkampf langaus dem Arbeiter im Namen einen Klammeraffen machte. Der glücklose Spitzenkandidat von 1999, der ehemalige Wirtschaftsminister Robert Goebbels, benannte dagegen die geheimen Beweggründe jener Delegierten, die am „A“ festhaltenwollten: Der proletarische Buchstabe solle der Partei ein „beinahemarxistisches“ Image verleihen, um guten Gewissens „sozialdemokratische Politik“ machen zu können. Er fand es ungerecht, dass sich niemand aufgeregt habe, als der LAV sein „A“aufgab, um sich OGB-L zu nennen. 

Aber das Gros der stumm zuhörenden Delegierten schien die Debatte über den Antrag zur Namensänderung bloß zu nerven, und so winkten sie bereitwillig mit ihren roten Delegiertenkarten den Vorschlag durch, die Angelegenheit an die Parteileitung und Sektionen weiterzureichen. Dafür interessierte es aber auch niemandsonderlich, dass Alex Bodry sich nicht festlegen wollte, ob dieWiedereinführung der automatischen Indexanpassung übernächstesJahr ins Wahlprogramm kommen soll. Gehe es der Wirtschaftweiterhin so gut wie heute, „drängt sich die Notwendigkeit einer Fortführung der Indexmodulation nicht auf. Eine endgültige Meinung kann man sich erst in zwei Jahren machen“, meinte er. Aber bei der endgültigen Meinung in zwei Jahren dürfte auch die Erinnerung mitspielen, dass die Partei mit dem Versprechen,die automatische Indexanpassung wieder einzuführen, 1984 dieWahlen gewann. Es ist eben schwer, von Traditionen los zu kommen. Deshalbwurde auch der Antrag der Sektion Schüttringenverworfen, den nicht mehr ganz zeitgemäßen Artikel 10.2 der Statuten zu streichen, der besagt: „ Jedem Parteimitglied wird empfohlen, sich im Tageblatt zu informieren.“

 

Romain Hilgert
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