Monarchie

Ein Staatschef über den politischen Parteien

d'Lëtzebuerger Land vom 08.01.2009

Der liberale Abgeordnete Brasseur hatte einen Antrag zur Tagesordnung eingebracht. Darin hieß es knapp: „La Chambre exprime la volonté que la dynastie renonce, dans l’intérêt du pays, au trône du Grand-Duché, et charge le bureau de la Chambre de porter la présente résolution à la connaissance de la Souveraine.“Als das Parlament am 13. November 1918 darüber entschied, wäre die Abstimmung um ein Haar ausgegangen wie das Votum über das Euthanasiegesetz im Februar 2008. Denn 19 liberale und linke Abgeordnete waren für die Absetzung der Monarchie, 21 rechte Abgeordnete dagegen.

Der großherzogliche Hof hatte mit seiner deutsch-freundlichen Gesinnung während des Ersten Weltkriegs das Land außenpolitisch isoliert und so die Eigenstaatlichkeit in Gefahr gebracht. Das war riskant. Doch Großherzogin Maria-Adelheid hatte sich mit ihrer konservativen Haltung in Schul- und Personalfragen auch innenpolitisch isoliert: Mit ihrer Parteinahme erschien sie, so wie heute ihr Großneffe Henri in seiner Ablehnung des Euthanasiegesetzes, bloß noch als Großherzogin der Rechtspartei. Das war politischer Selbstmord. Welchen Grund sollten schließlich Liberale und Linke haben, für eine Großherzogin der Rechtspartei zu stimmen? 

Die Monarchie überlebte 1918 die Abstimmung nur, weil Abgeordnete der Freien Volkspartei im letzen Augenblick ihre Meinung geändert hatten. Um Zeit zu gewinnen und so den Thron vielleicht doch noch zu retten, hatte die Rechtspartei überraschend ein Referendum über die Monarchie vorgeschlagen. Auch wenn damals die Verfassung kein Referendum, ja, noch nicht einmal das allgemeine Wahlrecht vorsah.

Doch in den ersten Januartagen 1919 – vor genau 90 Jahren – kam es zu großen Kundgebungen gegen die politisch sehr autoritäre und wirtschaftlich sehr liberale Staatsform aus dem 19. Jahrhundert. Mit einem Referendum ließen sich die Demonstranten nicht mehr vertrösten. Am 10. Januar 1919 forderten, gegen den Widerstand der am Ende des Ersten Weltkriegs eingerückten französischen Soldaten, Tausende in der Hauptstadt die Republik. „Bis“, so die liberale Luxemburger Zeitung, „gegen halb fünf plötzlich alles vor dem Kammergebäude zusammenlief. Dort erschienen auf der Freitreppe des Kammergebäudes die bekannten Linkspolitiker mit Mitgliedern des Comité républicain, Feldwebel Eiffes, Soldaten u.a., denen von der tausendköpfigen Menge lebhaft zugerufen wurde. Herr Mark erklärte, man habe die Absetzung der Dynastie und die Proklamation einer unabhängigen Republik beschlossen.“ 

Noch am selben Tag ließ der republikanische Wohlfahrtsausschuss Flugblätter mit einer „Proclama­tion“ drucken: „Das Luxemburger Volk hat die Absetzung der Dynastie Nassau-Braganza erklärt und die selbständige Republik Luxemburg ausgerufen. [...] Die Beamten, Angestellten und Arbeiter sind gebeten, dem Vaterlande, in seiner neuen Form, ihre Dienste weiter zu leisten. [...] Die Ordnung wird aufrecht erhalten, das Privateigentum geachtet, Schutz jedermann gewährt werden. Unsere bewaffnete Macht sympathisiert mit uns. [...] Hoch das freie, unabhängige Luxemburger Volk! Es lebe die Republik!“

Anders als der linksradikale Arbeiter- und Bauernrat, der am 10. November 1918 die Ausrufung einer Volksrepublik gefordert hatte, bestand der Wohlfahrtsausschuss aus Notabeln des liberalen und linken Bürgertums, darunter der sozialistische Abgeordnete und Anwalt René Blum, der liberale Abgeordnete und Anwalt Gaston Diderich, der sozialistische Abgeordnete und Eisenbahner Aloyse Kayser, der linksliberale Abgeordnete und Tierarzt Emile Mark, der liberale Abgeordnete und Eisenbahninspektor Joseph Palgen, der sozialistische Abgeordnete und Parteipräsident Joseph Thorn und der Arzt und ehemalige sozialistische Minister Michel Welter. Als die Macht kurze Zeit auf der Straße lag, sollte der 72-jährige Unternehmer Emile Servais, Sohn von Staatsminister Emmanuel Servais, für einen Tag Präsident der Republik Luxemburg werden. Doch die republikanische Bewegung scheiterte rasch an den französischen Truppen, welche die Straße kontrollierten, und an der Rechtspartei, welche daraufhin wieder die Kammer kontrollierte. „La dynastie était extrêment menacée“, schrieb rückblickend der konservative Historiker Christian Calmes über L’étrange referendum du 28 septembre.

Bei dem Referendum im September 1919 über die Monarchie und den Wirtschaftsanschluss sprachen sich dann 80 Prozent der Wähler für Großherzogin Charlotte, eine andere Großherzogin oder eine andere Dynastie und 20 Prozent für eine Republik aus. In jenen Arbeiterstädten des Südens, wo am meisten für die Republik gestimmt wurde, wurde beim Referendum 1937 am meisten gegen das Maulkorbgesetz und beim Referendum 2005 am meisten gegen den Europäischen Verfassungsvertrag gestimmt.

Die Monarchie ist bis heute ein wesentliches Element nicht nur nationaler und damit sozialer Kohärenz, sondern auch des CSV-Staats. Trotzdem konnte Premier Jean-Claude Juncker am 31. Dezember im Luxemburger Wort das ausdrücken, was bisher die offizielle Position aller Parteien ist: „dass die Monarchie die ideale Staatsform für ein Land wie Luxemburg ist, das auf einen Staatschef nicht verzichten kann, der über politischen Parteien und gesellschaftlichen Strömungen steht.“ Vielleicht  meinte der Premier damit aber auch, dass auf einen Staatschef verzichtet werden kann, der nicht mehr über den politischen Parteien un Strömungen steht.Doch wie vor 90 Jahren zeigt sich wieder, dass der einzige, der hierzulande die nicht gerade demokratische Staatsform in Frage stellen kann, ungewollt der Monarch selbst ist. Laut einer daraufhin Anfang Dezember von der Wochenzeitung Le Jeudi in Auftrag gegebenen Meinungsumfrage bei 505 Personen waren 36 Prozent der Befragten für die Republik und 58 Prozent für die Monarchie. Der Anteil der Republikaner ist heute fast doppelt so hoch wie beim Referendum von 1919.

Romain Hilgert
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