Van-Thuan-Preis für den Großherzog

Glaubensmärtyrer

d'Lëtzebuerger Land vom 17.09.2009

Am Mittwoch abend übereichte Kardinal Renato Martino Großherzog Henri im Palazzo Colonna in Rom den Van-Thuan-Menschenrechtspreis des Vatikans. Die kleine Matthäus-Statue und die zwei Medaillen werden an Personen vergeben, die sich „bei der Förderung und Verteidigung der Menschenrechte ausgezeichnet“ haben, hatte Kardinal Martino, der Präsident des Pontifikalrats Justitia et pax, am Dienstag erklärt. An seiner Seite war der Chorleiter der Diözese von Rom, Monsignore Marco Frisina, der eine Hymne mit dem Titel „Sentieri della speranza“ komponiert hat, dem Titel einer Sammlung erbaulicher Sprüche von François Xavier Nguyen Van Thuan.

Am Mittwoch war der siebte Todestag von Kardinal François Xavier Nguyen Van Thuan, nach dem der Menschenrechtspreis des Vatikans benannt ist. Der 1928 geborene François Xavier Nguyen Van Thuan war ein Neffe des südvietnamesischen Diktators Jean Baptiste Ngô Đình Diem. Er wurde 1975 von den auf Saigon vorrückenden Vietkong festgenommen, als er in die südvietnamesische Hauptstadt reiste, um Coadjutor des Erzbischofs zu werden. Statt dessen wurde er zu einem katholischen Märtyrer des Kalten Kriegs, blieb 13 Jahre in Haft, und die Legende will, dass er während seiner Gefangenschaft fromme Sprüche auf Papierfetzen notierte und mit Holzspänen ein Kruzifix bastelte. Er starb 2002 als Kardinal Diakon von Santa Maria della Scala in Rom. Vor zwei Jahren begann die Prozedur zur Seligsprechung François Xavier Nguyen Van Thuans unter Papst Benedikt XVI., der ihn als Vorbild in seiner Enzyklika Spe Salvi erwähnt.

Für den Papst sind die Menschenrechte offenbar auch in Luxemburg bedroht. Denn der Großherzog wurde „für sein Wirken zur Verteidigung des Rechts auf Leben und der Religionsfreiheit“ ausgezeichnet, wie es in einer Mitteilung des Vatikans heißt. Also für die Weigerung Ende vergangenen Jahres, mit seiner Unterschrift das von CSV und Erzbistum bekämpfte Euthanasiegesetz zu „bestätigen und zu verkündigen“, wie es die Verfassung verlangte.Der Katholische Nachrichtendienst hatte damals triumphiert: „Großherzog Henri, der neue Held aus Luxemburg“, und das interimistische Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Metropolit Kyrill, schrieb, die Weigerung sei „ein Beispiel für Mut und Loyalität zum Glauben“. Dass die Kammer dann in der von ihm ausgelösten Verfassungskrise die Befugnisse des Großherzogs beschnitt, machte ihn für  religiöse Eiferer zu einem Glaubensmärtyrer wie Kardinal François Xavier Nguyen Van Thuan.

Wohl aus innenpolitischen Überlegungen verzichtete das Luxemburger Wort eine Woche lang darauf, den Grund für die Preisverleihung an den Großherzog zu erwähnen. Doch Radio Vatikan titelte am Mittwoch knapp: „Ein Preis für das Wörtchen ‚Nein‘“, als er über den „Vatikanischen Van-Thuan-Menschenrechtspreis an Groß­herzog Henri von Luxemburg“ berichtete, „der seine Unterschrift unter ein Euthanasie-Gesetz verweigerte und dafür vom Parlament entmachtet wurde.“ Der Großherzog nannte das bei der Preisverleihung stolz einen “Gewissenskonflikt“, in dem er „seiner eigenen Wahrheit treu blieb, ohne über andere zu urteilen“.

Am Tag, als die Kammer in zweiter Lesung über die Legalisierung der Euthanasie debattieren sollte, hatte der Papst den Luxemburger Gesandten beim Vatikan zu sich bestellt und ihm seine „très vive préoccupation“ über den Gesetzesvorschlag ausgedrückt: „Les respon­sables politiques, dont le devoir grave est de servir le bien de l’homme, tout comme les médecins et les familles, doivent se rappeler que ‚la décision délibérée de priver un être humain innocent de sa vie est toujours mauvaise du point de vue moral et ne peut jamais être licite’.“ Auf diese Weise wollte das Kirchenoberhaupt die katholischen Abgeordneten unter Druck setzen und dem Großherzog bei der Missachtung der demokratischen Entscheidung des Parlaments den Rücken stärken.

Worauf Premier Jean-Claude Juncker am 18. Dezember im Namen der Regierung vor dem Parlament klargestellt hatte: „Ech akzeptéieren net, dass de Vatikan sech hei amëscht. Je ne l’accepte pas […] Ech akzeptéieren dat net, well d’Staatlechkeet vum Vatikan och eng moralesch Dimen­sioun huet an eng Beaflossbarkeets­méig­lechkeet op d’Denke vu Mënschen huet, déi den Distinguo tëscht Stat a moralescher Kraaft schwéier mécht.“Nicht jedem im Parlament war damals klar, dass der Premier damit nicht nur den Papst, sondern auch den Großherzog desavouiert hatte. Denn das Staatsoberhaupt war kurz zuvor ohne Vorwarnung nach Rom geflogen, um sich beim Staatsoberhaupt des Vatikans geistlichen Beistand für die Missachtung der Parlamentsentscheidung einzuholen.

Das Euthanasiegesetz wurde trotzdem rechtskräftig, die Verfassung geändert. Dem Großherzog nun für die von ihm ausgelöste Verfassungskrise demonstrativ den Van-Thuan-Menschenrechtspreis zu verleihen, sieht wie eine späte Rache des Vatikans aus und macht den katholischen Fürsten zum Märtyrer eines angeblich die Menschenrechte missachtenden Regimes. Den Preis als Staatsoberhaupt unter diesen Bedingungen anzunehmen, grenzt folglich ebenfalls an eine Provoka­tion gegen die eigene Regierung. Bei der feierlichen Eröffnung der Kammersession durch den Großherzog am 13. Oktober könnte die Stimmung etwas frostig sein.

Romain Hilgert
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