Haben die Aufsichtsbehörden dazu beigetragen, die Lage einer Bank unnötig zu verschlimmern? Das Gerichtsurteil zur ABLV Luxemburg legt dies nahe

Bad banks… and their supervisors

d'Lëtzebuerger Land vom 16.03.2018

Haben die Finanzbehörden geholfen, eine gesunde Bank mit 25 Angestellten unnötigerweise in die Abwicklung zu treiben? Das muss man sich fragen, nachdem das Luxemburger Bezirksgericht vergangenen Freitag entschied, den Antrag der CSSF zur Abwicklung der Luxemburger Filiale der lettischen ABLV abzulehnen und ihr stattdessen Zahlungsaufschub zu gewähren, damit ein Käufer gefunden werden kann. Denn die Richter machten mit der CSSF sehr kurzen Prozess.

Die Probleme der ABLV begannen am 13. Feb­ruar als das Financial Crimes Enforcement Network (Fincen) des US-Finanzministeriums die lettische Zentrale ABLV AS zum „primary concern“ wegen mutmaßlicher Verstöße gegen Geldwäschebestimmungen und Kontakten zu Nordkorea machten. Die Fincen beschloss, die ABLV vom US-Finanzsystem auszuschließen und somit vom Dollar abzuschneiden. Dieser vorläufige Ausschluss vom US-Finanzsystem wird nach 60 Tagen endgültig. Für die Bank, die die Anschuldigungen bestreitet, aber wegen ähnlicher Vorwürfe in den vergangenen zwei Jahren bereits von ihrer Aufsichtsbehörde abgemahnt wurde, kam das einem Todesurteil gleich. Dass eine kleine baltische Bank kaum Chancen haben würde, sich gegen die US-Behörden durchzusetzen, verstanden auch die Kunden, die begannen, ihre Konten zu räumen. Am 19. Februar verhängte die EZB deswegen ein Moratorium, ABLV in Lettland und in Luxemburg wurden von Refinanzierungsoperationen der Zentralbanken ausgeschlossen, und die Finanzmarktbehörde in Riga schritt ein.

Die CSSF beantragte ihrerseits am 19. Februar Zahlungsaufschub für die Luxemburger Filiale beim Bezirksgericht in Luxemburg; durch die Entscheidung der EZB übernahm die CSSF die Geschäftsleitung als Verwalter. Am 23. Februar gab die EZB dann bekannt, die Bank sei „failed or likely to fail“, also faktisch insolvent, und stellte der Luxemburger Filiale das gleiche Attest aus. Daraufhin aktivierte sich in Brüssel das Entscheidungsgremium des Einheitlichen Abwicklungsfonds (Single resolution board; SRB), der im Rahmen der Bankenunion sicherstellen soll, dass nationale Regierungen keine Steuergelder in die Rettung von Banken stecken, die kein Risiko für die Stabilität des Finanzsystems darstellen, und der einspringen soll, um eine „geordnete Abwicklung“ jener maroden Banken zu organisieren, von denen eine Ansteckungsgefahr ausgeht. Das Single Resolution Board entschied: keine „Resolution“, weder für die Bankzentrale noch für ihre Filiale, ein Einschreiten des Fonds sei nicht im öffentlichen Interesse. Am 26. Februar entschieden die Aktionäre von ABLV in Riga, freiwillig das Insolvenzverfahren einzuleiten. Doch ihre Filiale in Luxemburg hätten sie gerne verkauft. Tagsdarauf beantragte die CSSF beim Bezirksgericht deren Abwicklung und Auflösung. Denn nach einem solchen Beschluss sieht Artikel 18. der EU-Regulierung über die einheitliche Bankenabwicklung vor: „Where the Council objects to the placing of an institution under resolution on the ground that the public interest criterion referred to in paragraph 1(c) is not fulfilled, the relevant entity shall be wound up in an orderly manner in accordance with the applicable national law.“ 

Doch in ihrem Urteil von vergangenem Freitag befinden die Richter, wenn das europäische Abwicklungsgremium keine Entscheidung zur „Resolution“ einer Bank nimmt, gebe es für die nationale Behörde auch keine Entscheidung umzusetzen. „Il est constant en cause que le CRU [das Abwicklungsgremium, Anmerkung der Redaktion] n’a pas pris de résolution de sorte que la CSSF n’est pas tenue de mettre en œuvre une quelconque résolution.“ Und sie fahren fort: „La question si la CSSF, en tant qu’autorité de résolution luxembourgeoise, avait (...), l’obligation ou non de saisir les juridictions luxembourgeoises d’une demande en dissolution et en liquidation d’ABLV ne rentre pas dans le cadre du présent débat et n’est pas pertinente pour la solution du présent litige.“

Die Richter analysierten daraufhin, ob die Bank laut Luxemburger Gesetz, das die europäischen Abwicklungsbestimmungen umsetzt, noch zu retten sei. Die CSSF argumentierte vor Gericht, ein möglicher Käufer, der die Luxemburger Filiale übernehmen und damit retten könnte, müsste erst einmal eine Zulassung von der EZB erhalten und dann die Aufhebung der US-Maßnahmen beantragen. Die Chancen, unter diesen Bedingungen einen Käufer zu finden, fand die CSSF, seien gering. Außerdem hänge die Filiale vom Mutterhaus ab, um Zugang zum Swift-Zahlungssystem zu haben, ein eigenständiges Überleben der Filiale sei aufgrund der prekären Lage des Mutterhauses – das in der Zwischenzeit die freiwillige Abwicklung eingeleitet hatte – wenig wahrscheinlich. Darüber hinaus würden die Anträge der Kunden, Gelder abzuheben, die verfügbaren Barmittel der Bank überschreiten, und sie habe wenig Eigenmittel.

Doch für diese Argumentation legte die CSSF, obwohl die Verhandlung mehrmals vertagt wurde, keine Belege vor. Wörtlich schreiben die Richter: „(...) toujours est-il que la CSSF ne verse pas la moindre pièce pour documenter la situation financière d’ABLV. Elle se borne à verser les constats et évaluations desquels il ne résulte même pas sur quels éléments factuels ils reposent.“

Die Bank legte ihrerseits Gegenargumente vor, mit Belegen, die, wie das Gericht schreibt, „n’ont pas fait l’objet de contestations de la part de la CSSF“. Die Kunden, so die Vertreter von ABLV hätten 21 Millionen Euro und fünf Millionen Dollar zurückverlangt, wobei sie 38 Millionen Euro und 13,4 Millionen Dollar bar auf den Konten verfügbar habe. Aufgrund ihrer Überkapitalisierung – 15,9 Millionen Euro Eigenmittel im Vergleich zu 8,7 Millionen Euro, die gesetzlich erforderlich wären –, könnte sie den Bankbetrieb 24 Monate garantieren – ohne irgendeine Einnahme. Die US-Maßnahmen würden nur das Mutterhaus betreffen und, ginge die Luxemburger Bank an einen neuen Eigentümer, gegen den es keine US-Sperre gibt, wäre sie davon befreit. Schon 2016, fügte die Bank hinzu, habe sie den Swift-Zugang an Clearstream ausgelagert, sie hänge also nicht vom Mutterhaus ab, um am Zahlungssystem teilzunehmen.

Deswegen hält das Gericht in unmissverständlichen Worten fest: „Au stade actuel de la procédure, les affirmations de la CSSF ne sont que des spéculations sur base desquelles le tribunal ne saurait fonder son jugement.“ Darüber hinaus hat die CSSF ihren eigenen Antrag auf Abwicklung torpediert. Denn sie bat darum, den von ihr am 19. Februar eingereichten Antrag auf Zahlungsaufschub für die Bank, sowie den am 27. Februar eingereichten Antrag zur Auflösung und Abwicklung zu einer Rechtssache zusammenzuschlagen, die gleichzeitig verhandelt würden. Das Gericht gab diesem Antrag statt und entschied vergangenen Freitag über beide Anträge. Das war schlecht für die CSSF, da laut Gesetz die Abwicklung nur eingeleitet werden kann, wenn es vorher bereits einen Zahlungsaufschub gegeben hat...

In seiner Analyse, ob die Bank überlebensfähig ist oder nicht, berücksichtigt das Gericht, wie viel Schaden ihr Ruf genommen hat, unter anderem durch offizielle Kommunikationen. Dazu zählt es die Mitteilung der Fincen über die Geldwäsche-Aktivitäten der ABLV in Riga, die Mitteilung des Abwicklungsfonds darüber, dass die Banken abgewickelt werden sollen, sowie die Mitteilung des Luxemburger Einlagensicherungsfonds FGDL unter dem Titel: „La CSSF constate l’indisponibilité des dépôts auprès de ABLV Bank Luxembourg S.A.“ „Ces publications officielles ont manifestement eu un impact négatif sur la réputation tant d’ABLV Bank AS que d’ABLV. Par ailleurs les publications officielles, et notamment celle du CRU (...) à laquelle il est fait référence dans le communiqué de presse du FGDL, a entraîné une perte de confiance en la solvabilité de l’établissement dans le chef de toute personne susceptible d’accorder un crédit.“

Wie ist dieser offenbar katastrophale Auftritt der CSSF-Juristen vor Gericht zu erklären? Legt die CSSF Berufung gegen das Urteil ein? Sah sie in der EU-Abwicklungsregulierung eine Möglichkeit, auf einen Antrag zur Auflösung der Bank zu verzichten? Wie viel hat der FDGL bisher ausgezahlt? Auf alle diese Fragen wollte die CSSF dem Land bis Redaktionsschluss keine Antworten geben. Sie lehnte es sogar ab, den Empfang der Fragen zu bestätigen und „keinen Kommentar“ abzugeben. So bleibt ungeklärt, ob die Aufsichtsbehörde die Abwicklung widerwillig beantragte, weil sie sich durch das europäische Prozedur-Arsenal dazu gezwungen sah, oder ob ihre Juristen schlichtweg unfähig sind, die von ihnen eingereichten Anträge zu belegen.

Dass es so weit kommen konnte, liegt daran, dass die Bankenunion, die nach der Finanzkrise geschaffen wurde, um den Teufelskreis aus Bankenrettungen und Schuldenkrise zu brechen, Lücken aufweist. Das beginnt damit, dass die EZB in der Bankenunion für die Aufsicht zuständig ist, aber nicht alle Kontrollaspekte von den nationalen Behörden übernommen hat. So prüft sie die Einhaltung der Anti-Geldwäsche-Bestimmungen nicht, wie die EZB-Aufsichtsvorsitzende Danièle Nouy unterstrich, nachdem die USA einer von ihr beaufsichtigten Bank Geldwäsche im großen Stil vorwarfen. Und es endet damit, dass es zwar eine gemeinsame Aufsicht und einen gemeinsamen Abwicklungsfonds mit dazu gehörigem Abwicklungsgremium gibt, die Abwicklung an sich aber unter die jeweilige nationalen Gesetzgebungen fällt. So können (Luxemburger) Richter im Rahmen na­tionaler Gesetze eine (Nicht-)Entscheidung des Abwicklungsgremiums kippen.

Der Fall ABLV legt aber möglicherweise noch eine weitere Lücke offen, bzüglich der Aufsicht beziehungsweise der Evaluierung von Auslandsfilialen „systemisch relevanter“ Banken unter der Kontrolle der EZB. In ihrer Einschätzung darüber, wie es um die ABLV stehe, machte die EZB keinen Unterschied zwischen der aussichtslosen Situation der Bankzentrale und der Lage der Filiale. Auch das SRB tat dies nicht. Dies ist in sofern wichtig, als eine der Bedingungen für eine Entscheidung zur „non-resolution“ vom SRB voraussetzt, dass es „no reasonable prospect for effective private sector measures“ gibt, zum Beispiel einen Käufer für die Bank. Das aber bestreiten die Aktionäre der Bank, deren Anwälte vor dem Bezirksgericht Luxemburg sagten, es gebe mehrere Interessenten. Ein Sprecher der Bank bestätigte dem Land dies am Mittwoch; man hoffe in den kommenden Monaten einen Verkauf abschließen zu können. Warum sollten die Aktionäre von ABLV AS, die eingesehen haben, dass die Situation ihrer Bank in Lettland aussichtslos ist, und deren Abwicklung eingeleitet haben, darauf bestehen, wenn sie meinten, ABLV Luxemburg wäre nicht solvent und ein Verkauf keine realistische Option?

Deshalb fragt sich, ob die ABLV Luxemburg nicht auch in einen toten Winkel der europäischen Bankenaufsicht geraten ist. Wer hätte sich in Frankfurt dafür stark machen können, dass das Schicksal der Luxemburger Bank gesondert betrachtet wird? Sie unterliegt nicht der Aufsicht der Luxemburger CSSF, sondern der EZB. Das trifft seit Einführung der Bankenunion auf die Mehrheit der Banken zu.

Michèle Sinner
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