„Ich habe sowas noch nirgendwo gesehen. Es ist mein erster Pride Run, ich finde es sehr cool!“ sagte ein Läufer, der mit seinem Freund in der Warteschlange stand, um seine Nummer abzuholen. „Sie ist die wahre Läuferin, ich begleite sie nur,“ lacht eine Frau und zeigt auf die Läuferin neben ihr. Ihnen beiden gefällt es, dass es auch ein sportliches Pride-Event gibt.
Das Rainbow Center in der Rue du St Esprit hatte eine beschäftigte Woche. La Queerdom, ein queeres Kollektiv aus Metz, stellte dort Kunst aus und organisierte im Café de Gudde Wëllen nebenan eine ausgelassene Drag Show, wo auch ZuschauerInnen ermutigt wurden, selbst auf die Bühne zu steigen. Das Publikum war sehr jung, die Stimmung ausgelassen. Generell sind generationsübergreifende Veranstaltungen etwas seltener in der LGBTIQ+ Gemeinschaft. Nicht aber im Rainbow Center, wo ‘queere Teens and fabulöse Senioren’ auf einen „fröhlichen Nachmittag“ eingeladen wurden, um zusammen Pride-Banner zu basteln. Nicht nur die Schilder sahen gut aus: Im ‚Pretty for Pride Hair Salon‘ konnten sich trans und nicht-binäre Menschen in einem inklusiven Umfeld die Haare schneiden lassen.
In der Escher Bibliothek las die Drag Queen Séraphine Mirage Kindergeschichten vor, das Cine Cité bot zusammen mit queer loox eine Queer Movie Night und in der Villa Vauban konnten Besucher Kunstwerke aus dem 17.-19. Jahrhundert „aus nicht hetero-normativen Perspektiven” betrachten. Und natürlich wurde auch wieder der Opfer LGBTIQ+-feindlicher Gewalt in einer Zeremonie in Esch-sur Alzette gedacht bevor bunt auf dem Pride Street Fest weiter gefeiert wurde.
Queere Menschen jeden Alters aus der Großregion konnten zusammen auf inklusiven Veranstaltungen Sport, Musik, Kunst und Literatur erleben. So, wie es eigentlich das ganze Jahr möglich sein sollte. Doch der Alltag sieht für queere Menschen in Luxemburg oft anders aus. Denn sie erleben immer noch Diskrimination und Gewalt. In einer rezenten Studie des Luxembourg Institute for LGBTIQ+ Inclusion (LILI) gaben 78% von Schwulen und 71% von Lesben an, in den 12 letzten Monaten wenigstens einmal Opfer von Gewalt oder Diskrimination gewesen zu sein. Bei bisexuellen und pansexuellen Menschen liegt der Prozentsatz bei 64% und 66%. Sehr erschütternd ist die Angabe, dass nur rund 4% der Opfer rechtliche Schritte unternommen haben, ein Prozentsatz, der deutlich unter dem europäischen Durchschnitt liegt und auf einen Vertrauensmangel in rechtliche Institutionen hinweist.
Queere Menschen trauen sich oft nicht, ihre Liebe zum Ausdruck zu bringen: Bis zu 70% der Befragten vermeiden es, im öffentlichen Raum die Hand zu halten, laut der Studie. „Wenn ich mit meinem Freund zusammen bin, achte ich auf jede Bewegung. Selbst den Arm im Bus zu berühren, vermeide ich. Ich scanne die Blicke. Ich suche die Ausgänge. Das ist automatisch geworden, auch wenn nichts passiert,” sagte eine Person, die anonym in der Studie zitiert wurde. Eine andere beschreibt, wie sie sich wie “einen Fehler” spürt.
Hypervigilanz, verinnerlichte Scham, emotionale Dissoziation und Isolation seien Zeichen von komplexem Psychotrauma (CPTSD), so das Institut. Dieser unterscheidet sich vom einfachen Trauma durch seine wiederholte und chronische Natur. Queere Menschen seien besonders gefährdet, “nicht nur durch direkte körperliche oder psychische Gewaltakte, sondern auch durch die tägliche Wiederholung von Mikroaggressionen, stiller Ausgrenzung, symbolischer Ablehnung oder der Infragestellung ihrer Identität.” Vor allem Transfrauen und Transmänner leiden an Symptomen wie Erschöpfung, Angstzustände, Traurigkeit und Schlafstörungen.
Auch in der nationalen Politik werden queere Menschen angegriffen. Man erinnere sich an die berüchtigte Petition Nr 3198, die vor einem Jahr eine Ausschluss von LGBT-Themen aus Lehrplänen für Minderjährige forderte und über 6000 Unterschriften erhielt. Genug, um die nötige Schwelle zu erreichen und in der Chambre debattiert zu werden. Hier geht es um eine alte Hysterie, die man eigentlich nicht dem Jahre 2025 zuschreiben würde: Angst, dass Themen rund um Homosexualität Kinder und Jugendliche mit giftigem Gedankengut anstecken und ihre sexuelle Entwicklung beeinflussen könnten. Genau wie vor Jahrzehnten werden nun queere Menschen wieder auf Sex und Genitalien reduziert und als soziale Bedrohung eingestuft.
Rezenter war die Affäre um den Anti-LGBTQ Aktivisten Tom Weidig, Mitglied der rechtsextremen ADR, der auf Facebook einen Like unter einen Kommentar setzte, der die Vernichtung queerer Menschen forderte. Dies wurde von allen Parteien im Parlament scharf kritisiert und es kam zum parteiinternen Verfahren. Weidig erhielt eine „schriftliche Warnung,“ so die ADR. Die Affäre galt somit als abgeschlossen. Queere Menschen hingegen leben nun erneut mit dem Wissen, dass es in Luxemburg hasserfüllte Mitmenschen gibt, die sich wünschen, sie wären tot.
‘Together against the Backlash’ - Zusammen gegen den Rückschlag, das war das Motto der diesjährigen Pride. Die Trump-Regierung hat Initiativen für Diversität und Inklusion den Krieg erklärt, und auch in Großbritannien werden Rechte von trans-Menschen abgebaut. Dort mussten sogar kleinere Veranstaltungen wie die Plymouth Pride mangels Sponsoren abgesagt werden. In Ungarn wurde die Pride Parade sogar ganz verboten.
Obwohl in Esch/Alzette wieder bunt gefeiert wurde, spürte man jedoch auch hierzulande den Rückschlag. “Wir hatten dieses Jahr definitiv weniger Budget als letztes Jahr,” so Tania Whitehouse, Verwaltungsmitglied von Rosa Lëtzebuerg. “Es gibt einige Sponsoren, die in den vergangenen Jahren dabei waren, die dieses Mal nicht mehr mitgemacht haben. Sie haben zwar nicht ausdrücklich gesagt: ‚Wir wollen die Pride nicht mehr sponsern‘, aber eher ‘ja, dieses Jahr war das einfach nicht im Budget vorgesehen.’”
Sie bedauert die stagnierende rechtliche Situation hier in Luxemburg, die auch wieder durch die Rainbow Map von ILGA (International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association) verdeutlicht wurde. Luxemburg ist von Platz 7 auf Platz 10 abgestiegen. Im Jahr 2021 befand sich Luxemburg noch auf Platz 3. “Andere Länder entwickeln sich weiter, und wir stehen hier und schauen zu. Es passiert nicht so viel wie in anderen Ländern,” so Tania Whitehouse.
Rosa Lëtzebuerg fordert unter anderem, dass Konversionstherapien in Luxemburg gesetzlich verboten werden und intersexuelle Menschen ein Recht auf körperliche Autonomie erhalten. Auch sollen trans Personen nicht länger auf eine psychiatrische Diagnose angewiesen sein, um Zugang zu wichtiger Gesundheitsversorgung zu bekommen. Es gibt also noch viele Baustellen im rechtlichen Rahmen für die queere Gemeinschaft, über die cis-heterosexuelle Menschen wenig oder überhaupt nicht informiert sind.
In Esch/Alzette hatte das Pride Street Fest eine angenehme Atmosphäre vom Volksfest. Auf dem Rathausplatz tummelten sich Drag Queens in Plateau-Stiefeln, Lesben mit Regenbogenflaggen und schwule Paare. Aber auch lokale Familien kamen vorbei und ältere Menschen, die für ein Luxringer aufs Fest kamen und sich dann nebenbei eine Drag Show ansehen.
Menschen der LGBTIQ+ Community “fordern das Recht, zu leben, zu lernen, zu lieben, sich frei zu bewegen und zu existieren – ohne sich rechtfertigen, verstecken oder verteidigen zu müssen,” so das Luxembourg Institute for LGBTIQ+ Inclusion. Dieses Recht muss jedoch das ganze Jahr über garantiert sein und auch unabhängig der Launen von kommerziellen Sponsoren sein, die einem weltweiten politischen Rechtsruck nachgeben. “Luxemburg hat die Mittel dazu. Es bleibt, daraus eine Priorität zu machen,” so das Luxembourg Institute for LGBTIQ+ Inclusion.