Root s.a.

Schiff ahoi!

d'Lëtzebuerger Land vom 11.06.2009

Wenn „Luxemburg“ in Medienberichten  im Zusammenhang mit den Worten „sicher“ und „Hafen“ genannt wird, ist meistens die Rede vom Bankgeheimnis und dem Steuerumfeld. Dass dem nicht immer so sein muss, zeigt die Schlagzeile, die vergangene Woche im Internet die Runde machte: „Illegal Websites taken down in Luxembourg.“ Von einer Polizeirazzia bei der Firma Root eSolutions war die Rede und davon, dass besagte Firma sich schnell zu einem sicheren Hafen für Raubkopierer-Seiten entwickele. Schlagzeilen wie diese, die ursprünglich auf der Website der IFPI (International Federation of the Phonographic Industry) veröffentlicht wurde, sind Beleg für das immer schärfere und auch rücksichtslosere Vorgehen einer Unterhaltungsindustrie, die ihre Einnahmen und Gewinne durch Raubkopiererei und das Austauschen urheberrechtlich geschützter Werke im Internet bedroht sieht.

Der Prozess gegen die Macher der schwedischen Torrent-Website Pirates Bay, die im April wegen Beihilfe zur Urheberrechtsverletzung zu Haft- und Geldstrafen verurteilt wurden, kann in Europa als vorläufiger Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen Musik- und Filmbranche einerseits und den Verfechtern des gemeinsamen Datenzugriffs (file sharing) im Internet andererseits gelten. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig, da die Piraten Berufung eingelegt haben. Sie werfen dem Richter Befangenheit vor, weil er Mitglied einer Urheberrechtsschutzorganisation sein soll, der auch große Namen aus Musik- und Filmbranche angehören. Der Rummel um das Pirates-Bay-Urteil hat aber vergangenen Sonntag nicht nur einem Vertreter der schwedischen Piraten-Partei zu einem Sitz im Europaparlament verholfen; seither geht die Unterhaltungsindustrie – vom vorläufigen Gerichtserfolg bestärkt – sehr viel aggressiver gegen vermeintliche Urheberrechtsverletzun­gen vor. Dass sie dabei sehr weit übers Ziel hinausschießen kann, das spürt eben auch das Start-up-Unternehmen Root eSolutions, das in Steinsel ein Datenzentrum betreibt, Serverkapa­zitä­ten vermietet und andere Internetdienstleistungen anbietet. 

„Seit einigen Monaten erhalten wir zunehmend unbegründete Beschwerden oder auch Drohungen“, sagt Marc Goederich, einer von vier Firmengründern. „Darin stehen dann Adressen von Websites, die angeblich ‚illegal’ sind und wir werden aufgefordert, unverzüglich Server abzuschalten.“ Das geht zu weit, findet Goederich, aus mehrerlei Gründen. Da gibt es einerseits technische Schwierigkeiten. Root selbst vermietet rack space, also Platz in Server-Schränken, wo die Kunden ihre eigenen Server installieren. Die Firma vermietet und verkauft aber auch Server. Die baut sie selbst zusammen, und stehen im Keller des Bürogebäudes, welches das Start-up in der Industriezone von Steinsel mietet. Weil die technischen Sicherheitsvorkehrungen dort begrenzt sind, sind auch die Preise niedrig. Root bedient das low-cost-Segment im Gegensatz beispielsweise zum staatlichen Datenzentrumsbetreiber LuxConnect, der vor wenigen Wochen sein high-end-Datenzentrum in Bettemburg einweihte. 

Niedrige Preise sind vor allem für kleine Unternehmen und Privatpersonen attraktiv, „Wenn man viele kleine Kunden hat, sind die Chancen größer, dass sich tatsächlich illegale Inhalte auf deren Websites befinden, als wenn man nur wenige große Kunden hat“, erklärt Goederich. Was nicht heißt, dass kleine Kunden zwangsläufig illegales Material anbieten. Root steht jetzt vor zwei großen Problemen. Einerseits sind die Vertragskunden nicht zwangsläufig diejenigen, die von den gemieteten Servern aus Websites anbieten. „Sie können sie weitermieten. An wen, entzieht sich allerdings unserer Kenntnis. Außerdem wissen wir nicht, ob von einem Server aus nur eine einzelne Seite ins Netz gestellt wird oder hundert“, führt er aus. „Die Unterhaltungsindustrie verlangt von uns Dinge, die technisch nicht machbar sind.“ Oft sei überhaupt keine Verbindung zu den Servern der Firma etabliert. 

Was würde passieren, wenn Root tatsächlich einen Server abschalten würde, auf dem andere völlig legale Websites beheimatet sind? Würde sich die Firma dem Vorwurf des Vertragsbruchs aussetzen? Oder wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass überhaupt kei­ne illegalen Vorgänge vorlagen? Oder aber gar die vermeintlich illegalen Inhalte nicht von den Website-Besitzern selbst, sondern von Drittpersonen hochgeladen wurden? „Im Zweifelsfall zu entscheiden, was legal ist und was nicht, oder wer schuldig ist, dazu haben wir überhaupt kein Recht. Das kann eigentlich nur ein Gericht“, sagt Goederich. Die Lobby der Unterhaltungsindustrie versuche, kleine Dienstleister wie Root selbst in die Illegalität zu drängen, beispielsweise in dem die Herausgabe von Kundendaten gefordert wird. „Das dürfen wir nur auf Anordnung des Staatsanwaltes. Sonst verstoßen wir gegen das Datenschutzgesetz und machen uns strafbar“, so der Gesellschafter. So hat er schon entsprechende Aufforderungen erhalten, die das Angebot enthielten, für eventuelle Schadensersatzforderungen sei­tens wütender Kunden aufzukommen. „Wer so was schreibt, der weiß doch, dass er etwas fordert, was nicht rechtens ist“, meint er. Goederich ist überzeugt, dass hinter den Aktionen eine gezielte Zermürbungstaktik steckt. Die Aussagen eines Radikalen, der aus geschäftlichen Gründen auf Seiten der file-sharing-Gemeinschaft steht?

Urheberrechtsschutzorganisationen erhalten derzeit in Großbritannien Rückendeckung von Gewerkschaften aus der Kreativindustrie. Sie fordern die Regierung auf, schärfer gegen das illegale Herunterladen und Austauschen von copyright-Material vorzugehen, da ansonsten mit Jobverlusten zu rechnen sei. Weniger Einnahmen für die Indus­trie führten dazu, dass weniger Musik-alben, weniger Filme, weniger TV-Serien produziert würden, dadurch würden Arbeitsplätze bedroht. Britische Urheberrechtsschützer gehen davon aus, dass durch das Austauschen von Dateien mittels peer-to-peer-Technik der Industrie 12 Milliarden Pfund jährlich durch die Lappen gehen. „Sie versuchen, die Provider abzuzocken, anstatt gegen die Leute vorzugehen, die tatsächlich ihre Urheberrechte verletzen“, hält Goederich dagegen und nennt Beispiele. Sogar die Macher von Internetseiten sind nicht für den Schaden haftbar, der durch illegal über sie ins Netz gestellte Inhalte verursacht wird, solange sie davon nichts wissen. Erst wenn dies bemerken oder davon in Kenntnis gesetzt werden, müssen sie etwas unternehmen. So leitet Root eingehende Beschwerden an Kunden weiter, damit diese wiederum die Möglichkeit erhalten, sich mit den eigenen Kunden in Verbindung zu setzen oder aber den Inhalt ihrer Seiten zu prüfen. „Wir verlangen dann von den Kunden, dass sie innerhalb einer angemessenen Frist reagieren. Andererseits stellen wir jedoch fest, dass Urheberrechstschützer auf Webseiten vorgesehene Möglichkeiten, rechtswidrige Inhalte zu melden, gar nicht nutzen und stattdessen uns dafür haftbar machen wollen“, sagt der Mitbegründer von Root. Sein Verdacht: Die Gegenseite sei sich durchaus bewusst, dass bei den privaten Nutzern nicht viel Geld zu holen sei, deswegen gehe man gegen Dienstanbieter wie Root vor. „Wild-West-Taktik“ nennt er das, und die Firmen kostet das Geld. So bezahlt Root derzeit einen Anwalt, um sich gegen die niederländische copyright-Schutzgesellschaft Brein zu wehren, die mit einer Klage in den Niederlanden droht, es aber trotz entsprechenden Hinweisen von Root bislang nicht für notwendig hielt, über eine Klage bei der Luxemburger Polizei auf dem dafür vorgesehenen Rechtsweg die Herausgabe der Kundendaten zu bewirken. 

Dabei wissen manchmal weder Anwälte noch Polizei, was legal ist und was nicht. In einem Fall geht es um eine Seite, die nichts außer Links auf andere Seiten enthält, deren Inhalte den Urheberrechtsschützern zufolge aber rechtswidrig sind. „Ist ein Index von anderen Internetseiten oder deren Inhalten illegal?“, fragt Goederich. „Brein drängt uns dazu, einzugestehen, dass solche Indexseiten per se illegal sind. Außerdem sollen wir uns bereiterklären, Schadensersatz zu leisten, falls in Zukunft solche Seiten in unserem Netz auftauchen sollten, ohne dass wir davon Kenntnis haben.“

Wer präventiv Seiten vom Netz nimmt, riskiert, dass die Kunden abwandern, auch das ist bei Root schon vorgekommen. „Für Kunden, die teilweise nur 50 Euro im Monat für ihren Server zahlen, können wir uns nicht immer einen Anwalt leisten, um die Anschuldigungen zu prüfen und uns zur Wehr zu setzen“, erklärt der Geschäftsführer. „Momentan wandern die meisten Kunden in Europa herum“, allerdings hat er auch schon einige in China, Russland oder Lateinamerika angetroffen. Was ihn an der rezenten Schlagzeile am meisten stört, ist der Verwurf, seine Firma biete Gesetzesbrechern Unterschlupf. Dabei waren von den 40 Websites, deren Deaktivierung die belgische Organisation BAF forderte, fast die Hälfte ohnehin nicht mehr aktiv. Weder habe die Polizei Server beschlagnahmt, noch deren Ausschaltung verlangt.

Dementsprechend drehte Goederich den Spieß diesmal um und drohte seinerseits der IFPI mit rechtlichen Schritten, falls die verleumderische Meldung nicht aus dem Netz entfernt werde. Mit Erfolg, was man als Hinweis darauf werten kann, dass sich die Organisation ihrer Beschuldigungen vielleicht doch nicht so sicher ist, wie der Wortlaut ihrer markigen Mitteilung vermuten ließ.Die rasante Entwicklung von Root haben solche Scharmützel bisher nicht bremsen können. 1 500 Server haben die zwölf Mitarbeiter der Firma, die 2003 als Idee von vier Studenten begann, in Betrieb genommen. „Wir nehmen derzeit 150 neue Server monatlich in Betrieb“, so Goederich, die Nachfrage sei enorm. Der Umsatz der Firma, der 2003 noch keine 50 000 Euro betrug, stieg 2008 auf über 850 000 Euro. So gut läuft das Geschäft, dass jetzt ausgebaut wird.

Diesen Sommer wird Root eine neue Halle in Betrieb nehmen, die 10 000 Servern Platz bieten soll. „Die wollen wir innerhalb von drei Jahren füllen“, lautet die Zielvorgabe Goederichs. Geplanter Umsatz 2011: 1,8 Millionen Euro. Derzeit stammen die Server-Kunden vor allem aus dem Ausland; diejenigen, die vom Website-hosting-Angebot Gebrauch machen, hingegen aus Luxemburg. Das soll sich ändern. „Im hosting-Segment wollen wir auch im Ausland angreifen.“ Zugute kommt ihnen dabei, dass sie die einzigen low-cost-Anbieter im Niedrigmehrwertsteuerland Luxemburg sind. Goederich fürchtet allerdings, dass Schlagzeilen wie die der IFPI in einschlägigen Milieus, als Werbung für die Firma gelten könnte. „Das ist wie an der Tankstelle: Dort sieht man den Kunden auch nicht auf Anhieb an, ob sie nur Erfrischungsgetränke, oder gleich die Kasse mitnehmen wollen.“

Michèle Sinner
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