Nach dem Gipfel von Katowice müsse das „Narrativ” der Klima-politik weiterentwickelt werden, findet Umweltministerin Carole Dieschbourg (Grüne). Daheim in Luxemburg ist das auch nötig

Konfliktfeld Klimaschutz

d'Lëtzebuerger Land vom 21.12.2018

Weil Carole Dieschbourg es vorzieht, Verbündete zu suchen und Konsens zu schmieden, hört man von der grünen Umweltministerin nur selten Klagen über politische Hindernisse oder dass etwas einfach nicht gehe. So meinte sie am Montag im RTL Radio, der Weltklimagipfel von Katowice habe ein „gutes und klares Regelwerk“ angenommen. Damit soll sich umsetzen lassen, was 2015 der legendäre „COP21“ in Paris als Weltklimavertrag beschlossen hatte.

Dabei funktionierte in Katowice vieles nicht. Nicht nur die unter Präsident Trump anders als unter Obama eingestellten USA, sondern auch Russland, Saudi-Arabien und Kuwait stellten sich gegen eine ambitioniertere CO2-Politik. Daran scheiterte der Versuch, verbindlichere Vorgaben zu erlassen, an denen „national festgelegte Beiträge“ ausgerichtet würden. Verschoben auf nächstes Jahr wurde die Entscheidung, ob schon bestehende Märkte für den Emissionshandel, wie das Emission Trading der EU, international verknüpft werden sollen. Unter anderem Brasilien spielte dabei auf Zeit. Aber immerhin: Das Regelwerk von Katowice wurde am Ende einstimmig angenommen. Darin steht zum Beispiel, dass die fast 200 Unterzeichnerstaaten des Pariser Abkommens ab 2020 alle zwei Jahre berichten, welche Maßnahmen sie ergreifen, um die Treibhausgasemissionen zu senken. Wie ihre Emissionen sich entwickeln, müssen sie offenlegen; die Messmethoden müssen anerkannt sein, das soll für Vergleichbarkeit sorgen. Ab 2023 soll alle fünf Jahre ermittelt werden, ob die Maßnahmen der einzelnen Staaten ausreichend sind, um die Erwärmung zu begrenzen. Die Finanzhilfen für die Anpassung an den Klimawandel sollen aufgestockt werden. Druck, diese Regeln einzuhalten, soll dadurch entstehen, dass öffentlich gemacht wird, wer welche Anstrengungen unternimmt. Wer nicht genug tut, würde angeprangert. So soll eine Dynamik entstehen, der niemand sich entziehen kann. Deshalb sprach Carole Dieschbourg dieser Tage in Presseinterviews und in einer Aktuellen Stunde in der Abgeordnetenkammer am Dienstag vom „Narrativ“ zum Klimaschutz, das „weiterentwickelt“ werden müsse.

Daheim in Luxemburg scheint die Klimaschutz-Erzählung nicht weiter entwicklungsbedürftig zu sein. Jedenfalls auf den ersten Blick nicht: Premier Xavier Bettel (DP) nannte vergangene Woche in seiner Erklärung zum Amtsantritt der zweiten DP-LSAP-Grüne-Regierung den Klimawandel „eine der großen, wenn nicht die größte Herausforderung der Menschheit in diesem Jahrhundert“, und in der kurzen Parlamentsdebatte am Dienstag zog die ADR, die sich in der Rolle von „Klimaskeptikern“ gefällt, es vor, nichts zu sagen. Doch wie die Regierung sich ihre Klimaschutzpolitik vorstellt, ist noch ziemlich unklar. So unklar, dass der Mouvement écologique am Montag erklärte, es sei „verstörend“, dass für die Neuauflage der Koalition „ganz augenscheinlich Konfliktfelder umschifft wurden, Beispiel Tanktourismus“. Auch René Winkin, Direktor der Fedil und über die Unternehmerverbände hinaus ein Kenner ökologisch-ökonomischer Zusammenhänge, hält das Koalitionsprogramm für „zu vage, um ihm entnehmen zu können, worauf genau es abzielt“.

Dabei erhielt Luxemburg im Rahmen der „Lastenteilung“ der EU aufgetragen, zur Erfüllung der Gipfelbeschlüsse von Paris seine nationale Treibhausgasbilanz bis 2030 um 40 Prozent gegenüber dem Stand von 2005 zu verbessern. Wegen seines hohen Bruttoinlandsprodukts sei das dem Großherzogtum zuzumuten, fanden EU-Kommission und Ministerrat. Nur Schweden erhielt ebenfalls ein so hohes Reduktionsziel. Auf den zweiten Blick scheint die Klimaschutz-Erzählung gerade in Luxemburg entwicklungsbedürftig: Laut Koalitionsprogramm bietet der Klimaschutz „großartige soziökonomische Opportunitäten“. Von einer „Energiewende“ ist die Rede und davon, Luxemburg zum „internationalen Leader“ beim Energiesparen zu machen. Bis zu 40 Prozent mehr Energieeffizienz könnten bis 2030 erreichbar sein. Ein Narrativ, was genau das bedeuten soll in der kleinen und offenen Luxemburger Volkswirtschaft, fehlt aber.

Die Entwicklung der Elektromobilität sei ein Ansatz, um Vorreiter zu werden, lässt die Umweltministerin über ihren Sprecher Olaf Münichsdorfer mitteilen. Das Koalitionsprogramm enthalte aber noch „viele“ andere, auch der Wohnungsbau sei einer. Sinke der Wärmebedarf im Gebäudebestand, könne die Bevölkerung wachsen, ohne dass die CO2-Emissionen im selben Maß zunehmen. Die „Entkopplung“ von Wachstum und Emissionen sei in diesem Bereich schon jetzt geglückt.

Dass das Umweltministerium dazu nicht mehr erzählt, dürfte unter anderem daran liegen, dass ein konkreterer Plan in den nächsten Wochen vom Regierungsrat diskutiert und im Januar an die EU-Kommission geschickt werden soll. Genauer gesagt ist das der Entwurf für den nächsten nationalen Klimaschutz-Aktionsplan für den Zeitraum bis 2030, der diesmal Plan national en matière d’énergie et de climat (PNEC) heißt und zur „Europäischen Energieunion“ passen muss. Die ist ein Instrument, mit dem die EU den Mitgliedstaaten Teile ihrer Klima- und Energiepolitik abnimmt, sie unter eine europäische „Governance“ stellt und am Binnenmarkt ausrichtet. National festschreiben soll das ein „Klimaschutzgesetz“, das der Koalitionsvertrag ankündigt.

Was aus all dem folgen soll für die Treibhausgasreduktion, wird damit erst nächstes Jahr klarer. Bis Ende 2019 müssen die endgültigen PNEC feststehen. Im Luxemburger PNEC sollen Maßnahmen zur Emissionssenkung in den Bereichen Gebäude, Transport, Industrie und Landwirtschaft festgeschrieben werden, mit quantitativen Zielen und Budgets zur Erfüllung. „Die Regierung hat sich ein ganzes Paket gegeben“, teilt das Umweltministerium mit, „hohe Investitionen für den öffentlichen Transport, zur Gebäuderenovierung, Ansätze zur Entwicklung von Klimafinanzen und so weiter.“

Ginge es nach dem Mouvement écologique, dann müssten die Reduktionsziele pro Sektor ins Gesetz geschrieben werden. „Das wäre dann ein echter Climate Act“, meint Méco-Vizepräsident Paul Polfer, der auch Koordinator des Klimabündnis Lëtzebuerg ist, des Luxemburger Ablegers des internationalen Klimabündnisses, das Gemeinden auf der ganzen Welt, in reichen und in armen Ländern in Kooperation bringen will. „Leider“, sagt Polfer, „scheint das nicht vorgesehen zu sein.“ Der Sprecher des Umweltministeriums erklärt dazu, das Gesetz werde „einen verbindlichen und kohärenten Rahmen“ zur Umsetzung der Klimaziele bilden. Ob die Ziele selber zum Gesetz werden sollen, erörtert er nicht.

Vielleicht war der Verzicht auf solche Rigorosität ein Zugeständnis der Grünen an ihre Koalitionspartner. Rigoros zu sein, hätte allerdings schon im Koalitionsvertrag ein Narrativ über das erfordert, was genau man will. Aus Sicht der Industrie müsse die Regierung verschiedene „Realitäten anerkennen, mit denen wir konfrontiert sind“, sagt der Fedil-Direktor. Nur die größten Emittenden fallen unter den EU-Emissionshandel und haben damit nichts zu tun mit nationalen CO2-Reduktionszielen. Ganz allgemein gebe es „auch nach dem Gipfel von Katowice kein internationales level playing field“ für die Industrie. Schon meinten manche Industriebranchen in der EU, sie müssten „geschützt“ werden vor CO2-Dumping internationaler Konkurrenten.

„Kühn“ findet René Winkin in dem Zusammenhang „längerfristige“ Aussagen im Koalitionsprogramm. Etwa die, den Energieverbrauch insgesamt „forciert“ auf Elektrizität umzustellen: Für die Industrie sei das „delikat“. Zement- und Glashersteller würden noch Gas und Kohle nutzen, die Stahlindustrie zum Teil auch. „Da müssten ganze Prozesse dramatisch umgebaut werden. Das kann nicht jede Industrie sich vorstellen, und es würde wahrscheinlich finanzielle Hilfen erfordern.“ Rein national sei das nicht zu regeln.

Doch der mit Abstand relevanteste Sektor für die Treibhausgasbilanz ist der Verkehr. 55 Prozent der Emissionen kommen aus dem Straßentransport und der größte Teil davon mit 40 Prozent aus dem Spritverkauf an Nicht-Ansässige. Nach vorsichtigen Simulationen, die die Regierung im Februar an das Uno-Klimaschutzgremium UNFCC meldete, könnten die Verkehrsemissionen sich um rund die Hälfte drücken lassen, falls ab 2019 der Spritexport Jahr für Jahr um zwei Prozent sänke. Doch das, so der Bericht, würde unter anderem voraussetzen, dass Luxemburg sich mit den Nachbarländern permanent über die Akzisen auf Benzin und Diesel abstimmt – politisch ein sehr theoretisches Szenario, weil dann „Beschränkungen nationaler Optionen zur Ausgestaltung von Besteuerungen hingenommen“ werden müssten.

Im Koalitionsprogramm stellt die Regierung höhere Spritakzisen ab nächstem Jahr in Aussicht. In welcher Höhe ist noch nicht klar, und wie es nach 2019 weitergeht, soll eine interministerielle Arbeitsgruppe klären. In der Zwischenzeit geht die Regierung von wachsenden Einnahmen für die Staatskasse aus dem Tankstellengeschäft aus: Im vorläufigen Haushalt für die ersten vier Monate kommenden Jahres wird mit Akziseneinnahmen gerechnet, die zehn Prozent höher sind als ein Drittel der für dieses Jahr geplanten Einnahmen. Eine erhöhte Spritakzise steckt darin nicht, denn sie hätte in dem Haushaltsentwurf erwähnt werden müssen. Zudem sind die Einnahmenzuwächse aus dem Zigarettenverkauf von Januar bis April mit zwölf Prozent auf ein Drittel Jahr noch höher angesetzt als die auf Benzin und Diesel mit plus neun Prozent.

Beschnitten werden könnte das „Paket“ Tankstellenverkauf damit frühestens ab Mai. In welches Narrativ die steuerliche Änderung eingebettet wird, bleibt abzuwarten. Dass höhere Treibstoffakzisen auch hierzulande Gilets jaunes auf die Straße bringen könnten, glaubt das Umweltministerium nicht. „Unsere Situation ist nicht vergleichbar mit der in Frankreich.“ Der Liter Diesel ist im Endpreis in Frankreich diesen Monat 40 Cent teurer als hier. „Klimaschutz muss immer sozial eingebettet sein“, betont Carole Dieschbourgs Sprecher. Das geschehe zum Beispiel mit dem öffentlichen Gratistransport ab 2020.

Peter Feist
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