Vor dem Hintegrund des Ukrainekriegs sollen Außen- und Außenhandelspolitik „kohärenter“ werden

Menschenrechte statt Biznessmeni

d'Lëtzebuerger Land vom 11.03.2022

Am Sonntagabend war Außenminister Jean Asselborn (LSAP) Gast in einer Polit-Talkshow des österreichischen Fernsehens. Ebenfalls zugegen waren Österreichs Europaministerin, eine liberale polnische EU-Abgeordnete und ein hochrangiger Diplomat aus Lettland. Thema war vor allem, ob die EU nicht wesentlich mehr Druck auf Russland ausüben sollte, zum Beispiel mit einem vollständigen Energie-Embargo. Die Politikerin aus Warschau und der Diplomat aus Riga plädierten dafür. Jean Asselborn fand, das könne man tun, wenn absehbar wäre, dass Russland der EU die Energielieferungen kappt, um dem sozusagen zuvorzukommen.

Handlungsreisender Der Krieg in der Ukraine bringt die Luxemburger Außenpolitik und den Diplomatiechef in die schwierige Lage, die Außenpolitik des Großherzogtums in weiten Teilen neu zu denken. Bisher spielte Jean Asselborn die Rolle des Handlungsreisenden in Sachen Menschenrechte und transportierte die Botschaft von dem verantwortungsvollen Finanzplatz. Nun hingegen muss er erklären, wofür das Großherzogtum noch steht und inwiefern seine Außenpolitik mehr ist als Außenhandelspolitik. Wie schwierig das ist, zeigte seine Bemerkung in dem 100,7-Interview vergangene Woche, mit der er Wladimir Putin die „physische Elimierung“ wünschte. Vielleicht war das eine Entgleisung im Überschwang der Emotionen, wie der Außenminister später erklärte. Vielleicht aber wusste er genau, was er sagte, und meinte, gegenüber den Verbündeten und dem großen Allierten in Washington die Luxemburger Position klarmachen zu müssen.

Denn seit rund 20 Jahren agiert Luxemburg geschmeidig zwischen der Verteidigung dessen, was als „westliche Werte“ gilt, und dem, was dem heimischen Wirtschaftsstandort nützt. Russland ist dafür nur ein Beispiel. Nach dem Ende des Kalten Krieges setzten auch andere westeuropäi-
sche Länder Hoffnung in eine „Friedensdividende“ und einen „Wandel durch Handel“. Luxemburg aber war darin, gemessen an seiner Größe, besonders eifrig. Heute erzählen alle, wie „enttäuscht“ sie von Putin sind. 2010 reiste der damalige LSAP-Wirtschaftsminister Jeannot Krecké mit Erbgroßherzog Guillaume und einer hundert Unternehmer umfassenden Wirtschaftsmission nach Russland. Bei der Luxemburg-Roadshow in einem Moskauer Luxushotel und den Kontakten mit russischen Unternehmen herrschte Goldgräberstimmung (d’Land, 15.04.2010). Über seinen Finanzplatz war Luxemburg eine Zeitlang der größte europäische Direktinvestor in Russland. Dass Jeannot Krecké nach seinem Ausscheiden aus der Regierung 2012 Verwaltungsratspräsident der East West United Bank wurde und sein Nachfolger Etienne Schneider in den Board von EWUB-Aktionär Sistema rückte, ist Ausdruck davon. Ein anderer, dass der frühere Luxemburger Botschafter in Russland, Jean-Claude Knebeler, nach Ablauf seines Mandats in Moskau blieb und unter anderem die Gazprombank zu beraten begann.

Diese Doktrin... Verbindungen dieser Art sind jetzt natürlich anrüchig geworden. Krecké und Schneider sind von ihren Posten zurückgetreten. Die Frage aber ist, was genau und strategisch darunter zu verstehen sein soll, wenn, wie Wirtschaftsminister Franz Fayot (LSAP) vergangene Woche dem Luxemburger Wort erklärte, „diese Doktrin im Außenhandel, dass man grundsätzlich mit jedem zusammenarbeiten kann“, nicht mehr gelte. Dass es „gut“ sei, dass „Europa sich besser schützt gegenüber Diktaturen wie Russland und China“ und „man eine gewisse Kohärenz in seiner Politik haben“ sollte.

Denn die Außen- und Wirtschaftspolitik gegenüber China ist kaum weniger opportunitätsgetrieben als die gegenüber Russland es war. Wegen Chinas weltpolitischem Gewicht ist sie noch delikater. Jean Asselborn räumte in seiner jüngsten außenpolitischen Erklärung in der Abgeordnetenkammer ein, die sieben in Luxemburg ansässigen chinesischen Banken seien „einflussreich“ und ein Einsatz der Außenpolitik gegenüber China für Menschenrechte „eines der schwierigeren Themen“.

Wie schwierig, demonstrierte erst vor einem Monat die Reise von Großherzog Henri zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Beijing. Premier Xavier Bettel (DP) und Außenminister Jean Asselborn erklärten, der Großherzog sei als Vorstandsmitglied des Internationalen Olympischen Komitees dorthin gereist und was während eines Treffens mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping besprochen würde, sei mit dem Außenministerium abgestimmt worden. Unter anderem habe Henri dort auf die Wichtigkeit der Menschenrechte hinweisen sollen. Immerhin gehört Luxemburg seit vergangenem Jahr dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen an.

Belt and Road Zumindest laut der anschließend vom chinesischen Außenministerium verbreiteten Mitteilung über dieses Gespräch soll der Großherzog allerdings kein Wort über die Menschenrechte verloren, stattdessen die „stets sehr guten“ Wirtschaftsbeziehungen gelobt und erklärt haben: „The Belt and Road Initiative is a good initiative, and Luxembourg supports and will actively participate in it.“ Luxemburg ist seit 2018 ein Unterzeichnerstaat der „Neuen Seidenstraße“. Was dies genau heißt, ist Verschlusssache der Regierung. Der außenpolitische Sprecher der CSV-Fraktion, Claude Wiseler, beschwert sich darüber anlässlich jeder außenpolitischen Erklärung Jean Asselborns. Ziemlich sicher scheint aber, dass der Luxemburger „Support“ für die Belt and Road Initiative sich nicht so einfach wird aufrechterhalten lassen können, wenn China der Regierung nun als „Diktatur“ gilt wie Russland. Konflikte mit den USA darüber scheinen ebenfalls nicht ausgeschlossen: Tom Barrett, der US-Botschafter in Luxemburg, hatte vergangenen Herbst, als er noch Kandidat war, bei seiner Anhörung im US-Senat erklärt, darauf achten zu wollen, ob Luxemburgs Kooperationen mit China in den Bereichen Weltraumtechnologien und Infrastrukturen „ein Risiko für Geldwäsche bergen“ (d’Land, 5.11.2021).

Wenn es zutrifft, dass die Luxemburger Außenhandelspolitik „kohärenter“ werden muss und mit der Außenpolitik abgeglichen gehört, wie Franz Fayot meint, dann bliebe auch zu klären, welche Rolle der Großherzog dabei zu spielen hätte. Eigentlich keine andere als die des prominenten Repräsentanten des Landes, dem sich zum Beispiel auf Wirtschaftsmissionen die eine oder andere Tür öffnet, weil die Gastgeber gern einen Monarchen empfangen. Könnte es damit Treffen wie das in Beijing Anfang Februar in Zukunft noch geben? Vermutlich nicht. Andererseits sah es vergangenen Sommer so aus, als habe der Hof der offiziellen Außenpolitik aus einer Verlegenheit geholfen: Als im August Kabul fiel, schrieb Großherzogin Maria-Teresa auf Twitter: „mes pensées les plus émues et endolories face au drame que vivent les afghanes et afghans en ces moments terribles. Mon cœur saigne avec vous“. Sie schrieb das als Privatperson. Allerdings gab es bis dahin keinerlei offizielle Erklärung der Regierung über die Wiedererringung der Macht in Afghanistan durch die Taliban, keinen Appell zur Einhaltung von Menschen- und Frauenrechten. Ohne den Tweet Maria-Teresas hätte es nicht mal eine halboffizielle Wortmeldung gegeben; der Außenminister weilte damals im Urlaub. Von dort zurückgekehrt fand er, die EU habe zu Afghanistan kommuniziert – was hätte Luxemburg da noch sagen sollen?

Vielleicht ist die „kohärente“ Außen- und Außenhandelspolitik mit „Human Rights Due Diligence“, wie es genannt wird, der beste Weg, um der Luxemburger Position im EU-Verbund einen Platz zu sichern. Ausgeschlossen ist es immerhin nicht, dass die Stimmen der kleinen Länder künftig weniger Gehör finden: Wenn „der Westen“ näher zusammenrückt, wird die Außenpolitik der EU insgesamt mehr als bisher von Washington beeinflusst..

Peter Feist
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