Von Murnau bis Besson: Die ewige Metamorphose des Vampirs im Kino

Schauer und Romantik

d'Lëtzebuerger Land du 15.08.2025

Vampir-Fiktionen gehören zu den langlebigsten und vielschichtigen Erzähltraditionen der westlichen Kultur. Seit Bram Stokers literarischer Fixierung des Vampirs mit Dracula im Jahr 1897 hat sich diese Figur zu einer ikonischen Verkörperung des Dunklen und Verbotenen entwickelt, die unser kulturelles Imaginäres nachhaltig prägt. Kaum ein anderes mythisches Wesen ist so wandelbar und zugleich beständig wie der Vampir. Er ist ein Chamäleon, dessen Gestalt und Bedeutung sich über Zeit und Medien immer wieder verändern, dabei aber stets die zeitlosen Widersprüche menschlicher Existenz widerspiegeln.

Die erste große filmische Metamorphose des Vampirs fand bereits im expressionistischen Stummfilm statt. Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu (1922) gilt als archetypischer Ausdruck dieser Phase. Der Vampir erscheint hier als unheimliches, schemenhaftes Wesen, das als Todesbote in einer Schattenwelt wandelt. Dieser wandelnde Untote ist ein archaisches Monster, ein Sinnbild des Todes und der Krankheit. Murnau entwarf eine Vision des Vampirs als unentrinnbare dunkle Naturgewalt, die den Menschen an seine eigene Vergänglichkeit erinnert. Seine Gestalt – gekrümmt, fast pestartig – ist das genaue Gegenteil der Verklärung, die später folgen sollte.

In den 1930er-Jahren setzte sich der Vampir in Hollywood fest, vor allem durch die Universal Studios, die mit Dracula (1931) einen filmischen Klassiker schufen. Bela Lugosi prägte mit seinem hypnotischen Blick und eleganten Auftreten die Urform des Vampirs als aristokratischem Verführer und geheimnisvollem Fremden. Hier beginnt die Metamorphose, die den Vampir zu einem Symbol erotischer Verführung und zugleich gesellschaftlicher Bedrohung macht. Lugosi legt die Figur charmant und gefährlich an – die Faszination des Verbotenen und die Angst vor dem Fremden verkörpernd. Diese Interpretation wurde zur Inspirationsquelle unzähliger weiterer Vampire, die zwischen Anziehung und Schrecken pendeln – noch 1979 unter der Regie von John Badham entstand ein Remake, das dem Geist dieser Vorlage sehr nahe stand.

In den 1980er-Jahren setzte Tony Scott mit The Hunger (1983) eine weitere bedeutende Variation des Vampir-Mythos um. David Bowie und Catherine Deneuve verkörpern ein unsterbliches Paar, das die Kälte und Einsamkeit der Ewigkeit durchlebt. Der Vampir wird hier zum Symbol für existenzielle Erschöpfung, zum Spiegel der Identitätskrise einer entfremdeten Moderne. Scott verleiht der Vampirfigur eine neue Dimension: die der postmodernen Melancholie. Die ästhetische Kälte des Films, die kühle Farbpalette und die subtile Ambiguität lassen das Übernatürliche zur Metapher für das Verlorensein in einer Welt ohne Halt werden. Die ewige Jugend des Vampirs ist zugleich Fluch und Qual, eine endlose Suche nach Sinn in einer entfesselten Zeit.

Francis Ford Coppolas Bram Stoker’s Dracula (1992) markiert einen Höhepunkt in der filmischen Inszenierung des Vampirs als leidenschaftlichem, tragischem Liebenden. Coppola entfesselt ein barock-opulentes Spektakel, in dem der Vampir als Verkörperung erotischer Verführung, Schuld und Erlösung erscheint. Die filmische Gestaltung ist prunkvoll und detailverliebt, ein Fest der Sinne mit opulenten Farbspielen und dramatischer Musik. Gary Oldman verkörpert Dracula nicht nur als blutrünstigen Untoten, sondern als zutiefst gebrochene Figur, deren ewige Verdammnis durch verlorene Liebe geprägt ist. Coppolas Interpretation vereint Horror und Romantik zu einer cineastischen Allegorie, die den Vampir als vielschichtigen Charakter zwischen Grauen und Leidenschaft zeigt. Etwas versetzt zu diesen Tendenzen entwickelte sich eine weitere Facette des Vampir-Mythos. Tim Burtons Dark Shadows (2012) lässt das Vampir-Motiv in einem bunten, oft ironischen Gothic-Kaleidoskop pulsieren. Der Vampir wird hier als Teil eines düsteren, aber zugleich verspielten Familienerbes inszeniert. Burton spielt mit den Codes des Genres, verbindet Horror mit Komödie und Romantik, und zeigt damit die Wandelbarkeit der Vampir-Figur als kulturelles Phänomen, das sich mühelos an verschiedene Stile und Stimmungen anpassen kann. Deutlicher noch zeigt sich das in der Anverwandlung der Figur als Teenager-Schwarm in Twilight (2008-2012) oder in der lakonischen Melancholie bei Jim Jarmush in Only Lovers Left Alive (2013) – kein Raubtier, kein romantisierter Jäger, sondern ein müder, kultivierter Überlebender, der im Halbdunkel der Nacht durch Detroit streift.

Im radikalen Gegensatz dazu steht Robert Eggers’ Nosferatu (2024), der eine Rückkehr zu den expressionistischen Wurzeln wagt. Eggers entkleidet den Mythos sämtlicher moderner Romantisierungen und legt eine archaische, fast urschreckliche Gestalt frei: den Vampir als Naturgewalt, als urtümlicher Schatten des Todes. Die kargen, entsättigten Bilder erzeugen eine beklemmende Atmosphäre, die den Zuschauer mit der fundamentalen Fremdheit und Brutalität des Vampirs konfrontiert. Eggers’ Nosferatu ist ein Alptraum, der die Figur als Symbol des Unaussprechlichen und Ursprünglichen begreift, fernab aller glitzernden Popkultur-Mythen. Ganz anders wiederum inszeniert Luc Besson in dem neuen Film Dracula: A Love Tale den Vampir – als barocke Sinnlichkeit, manieristischer Überschwang und poetisches Melodram. Caleb Landry Jones verkörpert einen Aristokraten, dessen ewige Verdammnis zugleich die Qual der unstillbaren Sehnsucht nach verlorener Liebe bedeutet. Bessons Inszenierung lebt von der balancierten Suche nach Pathos, Camp und bittersüßer Romantik. Im Gegensatz zu Eggers’ archaischem Horror ist Bessons Dracula ein sensibler Gefangener seiner eigenen Existenz, der in seiner Melancholie eine neue Form der Identität sucht.

Diese vielfältigen filmischen Interpretationen illustrieren eindrucksvoll die ungebrochene Vielschichtigkeit des Vampir-Mythos. Der Vampir ist stets ein Spiegelbild gesellschaftlicher Ängste, Sehnsüchte und moralischer Konflikte. Er ist Projektionsfläche für das Ringen um Identität, für die Sehnsucht nach Unsterblichkeit ebenso wie für die Angst vor sozialer Isolation und moralischem Verfall. In einer Welt, die von existenzieller Unsicherheit geprägt ist, reflektiert die Figur den Umgang mit Grenzerfahrungen – sei es der Tod, das Verlangen, die Außenseiterrolle oder das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Bindung. Die ewige Wiederkehr des Vampirs auf der Leinwand ist ein Beleg für die Kraft mythischer Figuren, sich ständig an veränderte gesellschaftliche Kontexte anzupassen und relevante Narrative anzubieten. Dabei bleibt die Figur in ihrer grundsätzlichen Ambivalenz erhalten: Er lebt, indem er tötet; er liebt, indem er vernichtet; er sucht Erlösung in einem unendlichen Kreislauf von Verlust und Wiederkehr. Der Vampir ist ein kulturelles Chamäleon, das die zeitlosen Widersprüche menschlicher Existenz in sich trägt und in seiner dunklen Eleganz eine zutiefst poetische Paradoxie offenbart. Ob als unheimliches Todeswesen in expressionistischen Schattenwelten, als aristokratischer Verführer der klassischen Horrorkultur, als Symbol existenzieller Melancholie der Moderne oder als barocker Liebender und archaische Naturgewalt – der Vampir ist weit mehr als nur eine Horrorfigur. Er ist ein Spiegel unserer tiefsten Fragen nach Leben, Tod und Sinn. Seine Gestalt wandelt sich mit den gesellschaftlichen Herausforderungen jeder Epoche, bleibt dabei aber stets ein kulturelles Echo unserer Sehnsüchte und Ängste. Die ewige Metamorphose des Vampirs im Kino zeigt uns, wie mythische Figuren die Kraft besitzen, sich immer wieder neu zu erfinden – und damit auch uns selbst im Spiegel ihrer dunklen Schönheit zu begegnen.

Marc Trappendreher
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