Binge Watching

Widerstreit

d'Lëtzebuerger Land vom 01.12.2023

Das Continental ist der sichere Hafen für die New Yorker Unterwelt. Als fester Bestandteil der John Wick-Filmreihe wurde es unter der Synthesizer-Abwandlung von Antonio Vivaldis Winter-Jahreszeit zu einem Schauplatz spektakulärer Action und brach als reiner Fantasieort in seiner absoluten Zeichenhaftigkeit die Gepflogenheiten des Hotelwesens mit ungemein brutaler, aber überaus stilisierter Gewalt auf ironische Weise. Nun ist dieser Schauplatz in der Peacock-Serienproduktion The Continental auf Amazon-Prime erschienen und so selbst zu einer Marke des Franchise geworden. Die Serie versteht sich als Spin-Off der Filmreihe mit Keanu Reeves, möchte einerseits das John Wick-Universum erweitern, andererseits aber auch die Ursprünge einzelner Charaktere der Filmreihe beleuchten. Darin begleiten wir einen jungen Winston Scott (Colin Woodell), der in den 1970er Jahren zum Manager der Hotelkette The Continental aufsteigt. Er hat einen Bruder, der einer Unterweltorganisation ein wichtiges Objekt entwendet hat. Der finstere Cormac O’Connor (Mel Gibson) muss es zurückerlangen, wenn er nicht den Zorn der Hohen Kammer auf sich laden will.

Die Serie spielt hauptsächlich in den Siebzigern. Daran lässt die eingeblendete Zeittafel keinen Zweifel, und mehr noch steht dafür die Musik: Mit einschlägigen Popsongs, wie Donna Summers I Feel Love oder Daddy Cool von Boney M. und Yes Sir, I Can Boogie von Baccara, wird auf die Siebziger angespielt. Doch so sehr die Serie auf diesen Zeitverweis erpicht ist und sich sehr um ein Stimmungsbild kümmert, so ist das grundlegende Design der Serie äußerst futuristisch aufgeladen. Lichtsetzung und Straßen-Ambiente haben an diesem Effekt erheblichen Anteil. Assoziationen zu Blade Runner (1981) sind zulässig. Doch die reine Ästhetik kann der Serie im Gegensatz zu John Wick nicht genügen – zu sehr sucht sie nach Plastizität, verfolgt beständig die Ansätze einer Tiefe, die angestrebt, aber nicht erreicht werden kann. Eine kurze Inhaltsskizze mag bereits Auskunft geben, wohin die Handlung führen wird: The Continental ist eine serientypische Origin-Story, die über die gängigen Muster einer Gangstergeschichte in ihrem Ansatz nur scheitern konnte: Emotionalität versucht sie dort zu generieren, wo die John Wick-Reihe nur das Spektakel setzte. Sie bemüht sich, Charaktere und deren Beziehungen ernsthaft dramaturgisch zu psychologisieren, wo in John Wick lediglich leere Hüllen auftraten. Sie versucht Anfänge zu etablieren, Charakterentwicklungen nachvollziehbar zu machen, wo in John Wick bezeichnenderweise die Undefiniertheit stand. Die Stoffentwicklung ist einem Prinzip verpflichtet, das The Continental in Widerstreit zu der Filmreihe stellt, auf welche die Serie Bezug nimmt. Sie ist die konsequente Negation des reinen Kunstcharakters der Filmreihe, die Form und Inhalt kurzschloss und die Form gleichsam zum Inhalt machte. Den Geist der Vorlage atmet The Continental lediglich noch über die Choreografie der Action, ohne dabei aber die ausschweifende Virtuosität seiner Bezugsquelle zu erreichen. Spätestens, wenn sich der Anspruch abzeichnet, den Aufstieg der Mafia und des organisierten Verbrechens in New York plausibel zu dokumentieren, hat die Serie sich auf ein Terrain begeben, wo dem filmischen Universum sein rein avantgardistischer Kunstcharakter entrissen wurde. Diese zwangsläufigen Brüche und Reibungen zwischen realen Gegebenheiten, der Entwicklung krimineller Organisationen, und der Fiktion des etablierten Universums hätte man mit nur einem Element beseitigen können, das sich die Serie aber so gut wie gar nicht gestattet: Ironie. Eine Serie, die auf genretypischer Unterhaltung aufgebaut ist, mit einigen Schauwerten, aber keinerlei schauspielerischen Höhepunkten; ein Serienprodukt, das keine Spuren hinterlässt. Das ist bemerkenswert, denn wenn der Spin-Off-Serie somit etwas gelingt, dann ist es, den Ausnahmestatus dieser einzigartigen Filmreihe des Actionkinos zu bestätigen.

Marc Trappendreher
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