Die kleine Zeitzeugin

Im Herzen von Khan Younis

d'Lëtzebuerger Land du 08.12.2023

Die Hälfte aller Bataillonskommandeure getötet, verkündet Benjamin Netanjahu Anfang Dezember. Die K.I., so heißt es, hilft der israelischen Armee dabei, gezielt vorzugehen. 16 000 Tote und 7 000 Verschwundene meldet die Gesundheitsbehörde des von der Hamas kontrollierten Gebiets. 70 Prozent sind Frauen und Kinder, die Zahlen sind ohne Gewähr.

Wir sind alle Israel. Sagt Baerbock. Sagte Baerbock. Zumindest in meinem Bläschen sagen das nur wenige. Je suis Palestine will schon gar keine sein. Keine will nichts sein, in meinem Bläschen. Ich auch, ich auch nicht. Wir stecken den Kopf in den Wüstensand, eine Legoschachtel mit grauen Legobausteinen geht viral auf Facebook, darauf steht GAZA. Serge Tonnar dichtet ein Lied dazu, ich muss weinen, bei Serge Tonnar muss ich oft, zwar nicht nur, weinen, und das ist gut so. Für mich.

Unsere Tränen löschen Gaza nicht, löschen das brennende Gaza nicht, Gaza wird nur ausgelöscht. So schaut das auf manchen Fernsehsendern aus, vielleicht ist es die falsche Perspektive. Die meisten Fernsehsender sind diskreter. Oder sie warnen vor verstörenden Inhalten, damit keine getriggert wird. Den Menschen fliegt ja alles um die Ohren, auch die Körperteile ihrer Angehörigen. Ich stecke den Kopf in den Wüstensand, wo die Scheichs die Klima-Party organisieren. Dr. Scheich lächelt zynisch-lässig. Greta Thunberg ist nicht auf der Party.

Kämpfen bis zum totalen Sieg. Netanyahus Gesichtszüge entgleiten, in den totalen Hass, entgleisen, der Zug entgleist nicht, die Panzer schauen wendig aus, nicht so dinosauriermäßig schwerfällig wie die in der Ukraine. Sie fahren zielgerichtet gegen die Wand, die nicht mehr steht. Kein Stein auf dem anderen. Auge um Auge, die Blindheit greift um sich. Gaza fällt um, Gaza fällt. Es ist so viel Staub da. Überall liegen die Grabsteine, neben denen die Menschen etwas unbeholfen herumstehen.

Irgendwo müssen die Menschen ja hin, grübelt das Weltteilchen, das mich mit Info-Brosamen versorgt. Nur wohin mit ihnen? In was für einen Süden denn jetzt? Aus dem einen Süden in einen anderen Süden, einen noch tieferen, heißt es. Sie müssten einfach nur den Anweisungen folgen. Alles würde klar kommuniziert. Es gibt eben so viele Menschen. Und immer an der falschen Stelle. Immer stehen sie im Weg. Hocken in Häusern, machen Sachen. Immer sind sie fehl am Platz und machen keinen Platz. Obschon schon so viele weg sind, 16 000 und 7 000, alle zehn Minuten stirbt ein Kind, Zahlen ohne Gewähr, und der EU-Außenbeauftragte meint, es wären sicher noch mehr. Weg. Unter den Lego-Steinen lägen sicher noch mehr. Unter den Lego-Steinen lägen sicher noch mehr Kinder. Trotz all der Zahlen, von denen die weg sind und die immerzu nach oben korrigiert werden sind aber noch immer so viele da. Dabei geht es gar nicht um sie. Es sind die Bösen unter ihnen um die es geht. Tief unter ihnen sind die Bösen.

Wohin mit ihnen? Sie sollen an die Küste. Sie sollen ans Meer. Die Menschen sind Figuren auf einem Schachbrett, schreibt Tagesschau/ARD online. Sie nennt sie nicht menschliche Tiere wie der israelische Verteidigungsminister. Zwischen den Bomben fallen Flugblätter aus dem Himmel, auf denen Routen eingezeichnet sind wie bei einer Schatzsuche. Sie müssen nur orangenen Evakuierungspfeilen nachgehen. Sie können sogar den Tod finden. Oder auch nur ein paar Brachflächen, vielleicht sogar ein paar Bürgersteige. Leider ohne Infrastruktur. Also ohne alles.

Der UNO-Generalsekretär schreibt dem Weltsicherheitsrat einen Brief, was sehr außergewöhnlich ist. Und alle nicken wohlwollend, jaja UNO, du mit deinem Menschenrechtsfimmel bist zwar nett, aber nur symbolisch. Außerdem bist du unterwandert, von der Hamas.

Ein paar Verrückte, die es nicht lassen können, glotzen Gaza und rügen sich, weil sie zuschauen, dann schauen sie weg und rügen sich, weil sie wegschauen. Aber sie bekamen Magenschmerzen. Israel spricht vom intensivsten Tag seit Kriegsbeginn.

Michèle Thoma
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