Der Schulminister will die Elternmitbestimmung in der Schule fördern. Ein Problem: wie ausländische und ärmere Eltern einbinden?

Eltern mit Wirkung

d'Lëtzebuerger Land vom 08.02.2019

„Diplomatisch muss man sein“, sagt Simone Frank energisch, „und konstruktiv reden können. Denn oft sind wir Vermittler zwischen Schule und Elternhaus.“ Die Mutter von drei Kindern sitzt in ihrer Küche in Mamer und erzählt von ihrem Ehrenamt: Sie ist Mitglied im Elternkomitee des Mamer Lycée Josy Barthel und das seit sechs Jahren. Angefangen hat sie als Sekretärin, inzwischen ist sie die Präsidentin und kennt ihre Rechte und Pflichten gut. „Die Arbeit macht Spaß, weil wir oft vermitteln können“, erzählt sie. Die Anliegen, die an sie herangetragen werden, reichen von Schulfeste zu organisieren, Sorgen über Lernprobleme, Stundenausfall, Verdachtsfällen von Mobbing nachzugehen bis hin zu pädagogischen Projekten oder dem Schulentwicklungsplan.

Begrenzter Einfluss

Ihr Komitee sei verwöhnt, findet sie: Die Zusammenarbeit mit der Schulleitung sei „sehr gut“, die Elternvertretung kein Feigenblatt, mit dem sich die Schule nach außen schmücke. Im Mamer Lyzeum sitzen Eltern Seite an Seite mit Lehrern und Schulleitung in Arbeitsgruppen und Kommissionen und reden gleichberechtigt mit. „Unser Schuldirektor legt viel Wert auf unsere Präsenz.“ Sogar im Disziplinarrat ist Simone Frank als ständiges Mitglied vertreten – in anderen Schulen ist dies Direktion und Lehrerschaft vorbehalten. Der Einfluss steht und fällt mit dem Kontakt zur Schulleitung, betont die Mutter. Das heißt aber nicht, dass sie alles unhinterfragt mitträgt: „Ich sage, wenn ich etwas kritisch sehe“, so die resolut wirkende Frank. Das Engagement möglich macht ihr Teilzeitjob bei der Superdreckskëscht, mindestens eine Stunde wöchentlich braucht sie für die Elternarbeit; ihr Beruf ist auch der Grund, warum Müllvermeidung in der Schule ein weiteres „Herzthema“ ist.

Bisher beschränkt sich die Mitwirkung der Elternvertretungen lokal auf die jeweilige Schule. Einfluss nehmen auf bildungspolitische Rahmenbedingungen können Eltern im Luxemburger Bildungssystem nur bedingt, wenn Schulen Position zu Reformprojekte beziehen und Elternvertretungen um ihre Meinung bitten. Und im Hohen Bildungsrat, wo Elternvertreter mit anderen Schulakteuren, wie Lehrern und Schülern, Reformen debattieren und gegebenenfalls Gutachten oder Empfehlungen schreiben. Die Möglichkeiten der schulischen Mitbestimmung will Erziehungsminister Claude Meisch (DP) nach dem Vorbild der Kindertagesstätten erweitern: Dort können Eltern sich über die Entwicklung ihres Kindes informieren, sich bei Aktivitäten einbringen und (zumindest teilweise) bei pädagogischen Fragen mitreden.

Mitreden bei der Orientierung

Claude Meisch änderte die umstrittene Orientierungsprozedur von der Grundschule auf die Sekundarstufe: Eltern geben weiterhin ihre Einschätzung zur Orientierung ihres Kindes ab. Weicht ihre Einschätzung von der der Lehrer respektive des Klassenrats ab, entscheidet im Zweifelsfall eine Kommission aus Lehrern und Psychologen, welche Schule der Sohn oder die Tochter besuchen soll, an deren Sitzung die Eltern teilnehmen. Damit baute Meisch das elterliche Mitspracherecht aus, nach Meinung der Fapel aber genügt das nicht: Die Elterndachorganisation wollte Müttern und Vätern das letzte Wort überlassen mit dem Argument, sie wüssten am besten, welcher Schultyp für das eigene Kind geeignet sei.

Das Orientierungsverfahren betrifft den einzelnen Schüler. Was weiter fehlt, ist eine demokratisch legimitierte überrepräsentative Elternschaft auf nationaler Ebene, die sich auf Augenhöhe mit der Regierung mit bildungspolitischen Fragen befasst. „Das Gesetz füllt eine Lücke“, lobte die grüne Abgeordnete Josée Lorsché im Juli 2017 im Parlament. Damals verabschiedete eine große Mehrheit, 57 Abgeordnete aus allen Parteien, mit drei Enthaltungen seitens der ADR, den Text zur nationalen Elternvertretung: Künftig werden landesweit zwölf Eltern gewählt. Unter den zwölf Elternvertretern sollen vier für das Grundschulwesen, sechs für die Sekundarstufe und zwei für sonderpädagogische Einrichtungen zuständig sein. Um ihre Aufgaben als Elternvertreter wahrnehmen zu können, werden sie zudem acht Tage beruflich freigestellt – und weiter bezahlt.

Obwohl das Echo überwiegend positiv ausfiel, gab es auch Misstöne. Der Elterndachverband Fapel, bislang einziges Sprachrohr für unzufriedene Eltern, begrüßte zwar die Richtung, äußerte sich dennoch skeptisch: Er fürchtete um die Unabhängigkeit der Elternvertreter, ohne näher zu begründen, warum. Auf Land-Nachfrage standen weder die Präsidentin (aus Krankheitsgründen) noch andere Vorstandsmitglieder bis Redaktionsschluss für nähere Erläuterungen zur Verfügung.

Auch die Vorgehensweise des Schulministeriums stieß sauer auf: Ausgerechnet beim Gesetz zur elterlichen Mitwirkung sei die Fapel nicht konsultiert worden. Plötzlich habe es vom Ministerium geheißen, der Verband solle das Büro im Haus der Orientierung am hauptstädtischen Stäereplaz räumen, klagte Präsidentin Romy Courturier in Interviews. Seitdem DP, LSAP und Grüne die Regierung stellten, erhalte ihr Verband weniger Informationen als zuvor und müsse sie selbst im Internet suchen. Das Ministerium will Pläne zur nationalen Vertretung schon vor 2017 gegenüber der Fapel thematisiert haben.

Demokratiedefizit

Die Fapel vereint Elterninitiativen aus dem ganzen Land. Der Verband funktioniert bis auf ein Sekretariat ehrenamtlich und hat im Lauf der Jahre zahlreiche Gutachten zu bildungspolitischen Themen verfasst. Ein Defizit, das den Dachverband allerdings seit seiner Gründung begleitet: Die Mitglieder sind nicht demokratisch gewählt und selten repräsentativ für die immer internationaler werdende Elternschaft. Die meisten sind gebürtige Luxemburger, weiß und gehören der Mittelschicht an. Ausländische Mütter und Väter, einfache Angestellte oder Arbeiter sind deutlich unterrepräsentiert.

Weil das Ministerium das System von unten aufbauen will und um soeben gewählten Vertretern in den Grundschulen zu ermöglichen, ihr Mandat von zwei (künftig dann drei) Jahren zu erfüllen, wird die erste Wahl einer nationalen Elternvertretung erstmals Winter 2019/2020 stattfinden. Derzeit arbeitet der Service de coordination de la recherche et de l᾽innovation pédagogqies et technologiques (Script) an einer Informationskampagne für Schulen, Direktionen und Regionaldirektionen. In einem zweiten Schritt würden die Eltern angesprochen. „Das Problem der Repräsentativität werden wir so schnell nicht in den Griff bekommen“, räumt die zuständige Koordinatorin im Script, Melanie Troian, ein. Um ausländische Eltern für die Wahl zu gewinnen, empfiehlt sie Übersetzungen zu organisieren, Betreuungsmöglichkeiten vorzusehen sowie Zeiten, zu denen auch Berufstätige können. Auch die Grüne Josée Lorsché hatte vor zu hohen Erwartungen gewarnt: Die Vertretung werde „die Unterrepräsentation von sozial schwachen Schichten nicht lösen“; man solle sich ein Beispiel an Initiativen im Ausland nehmen, wie diese Eltern besser erreicht werden könnten.

Gelingt das, ist noch nicht alles gewonnen. Demokratie und Mitbestimmung will gelernt sein. Die Fapel hält Schulungen, bei denen interessierte Eltern lernen, nicht nur die Interessen ihres Kindes, sondern die Interessen aller Kinder (und ihrer Eltern) zu vertreten. Die partizipative Kultur etabliert sich langsam. Mit dem Grundschulgesetz 2009 entstanden zwar Elternkomitees im ganzen Land, oftmals funktionieren sie jedoch mehr schlecht als recht. Weil die Fluktuation hoch ist und Eltern aufhören, sobald das Kind die Schule wechselt. Weil neben dem Beruf wenig Zeit bleibt. Und weil Skepsis, Ignoranz, bisweilen gar Widerstand von Schulen kommt: Wenn Lehrer die Zusamenarbeit meiden, weil sie Helikoptermütter und -väter befürchten, die nicht loslassen können und bei jeder Kleinigkeit intervenieren. Für ihr Kind, nicht für die gemeinsame Sache.

Früh übt sich

Oft bekommen Eltern recht problemlos Räume zur Verfügung gestellt. Wie in einer Schule in Bonneweg. Trotzdem trifft sich das Komitee dort nur zwei Mal im Trimester. Da die Eltern nicht systematisch in Entscheidungen, die die Schule betreffen, eingebunden werden, reagieren sie mehr, als zu agieren. Als wegen Platzmangel ältere Schulkinder und Vorschulkinder sich zur selben Zeit den Schulhof teilen mussten, griff das Elternkomitee ein und sorgte dafür, dass die Pausenzeiten altersgerecht gestaltet wurden. Den Schulentwicklungsplan bekommen die Eltern nur zur Stellungnahme. Von vornherein in die Debatte um die pädagogische Ausrichtung eingebunden sind sie nicht. Obwohl jede Schule einen Entwicklungsplan haben muss und er unter Mitwirkung der Eltern alle drei Jahre erneuert werden soll, stammt die letzte Version auf der schuleigenen Webseite aus dem Jahr 2011.

Apropos Kommunikation und Transparenz: Für Außenstehende ist es oftmals schwierig, überhaupt mitzubekommen, wie sie sich einbringen können. Viele Webseiten von Grundschulen sind veraltet und unübersichtlich; systematische Updates fehlen, obwohl die Schulen der Hauptstadt über einen eigenen IT-Dienst verfügen. Veröffentlichte Termine, Tagesordnungen, Themen oder Sitzungsprotokolle der Elternkomitees sind die Ausnahme, obwohl nach dem Transparenzgesetz seit Januar diesen Jahres auch Schulverwaltungen verpflichtet sind, Schlüsseldokumente zu veröffentlichen. Schickt man eine Anfrage per E-Mail, bleibt die Antwort oft noch Tage später aus.

In der Grundschule ist die Zusammensetzung der Elternkomitees ähnlich problematisch wie in den Sekundarschulen: Weil die Umgangssprache meist Luxemburgisch und das Schulsystem komplex ist, bleiben viele ausländische Eltern den Komitees fern. Mit dem Ergebnis, dass dort ein ähnliches Demokratiedefizit herrscht wie in der Politik und anderen Gesellschaftsbereichen auch. „Ich weiß nicht, wie das in Zukunft gehen soll“, fragt Simone Frank angesichts der zunehmenden Internationalisierung von Schülern und Eltern ratlos. In Mamer gibt es eine große skandinavische Gemeinschaft, in den Schulgremien spiegele sich das indes kaum wider. „Vorrangig die, die Deutsch können, engagieren sich auf der Ebene der Grundschule“. Wer dagegen Englisch spricht, hat das Nachsehen. „Vielleicht braucht es eines Tages zwei gewählte Vertretungen: eine auf Französisch und eine auf Englisch“, überlegt die Präsidentin laut. Bei 18 aktiven Mitgliedern in ihrem Elternkomitee wäre das machbar. Aber anderswo?

Ines Kurschat
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