ABCs of War

d'Lëtzebuerger Land du 11.10.2024

Wie bereitet man eine Bevölkerung auf Krieg vor? Mit Hass, Angst, Druck und öfters auch mit Lügen. Das zeigt die Ausstellung War and the Mind im Londoner Imperial War Museum, die die psychologischen Hintergründe von Kriegen erkundet. In Zeiten aufflammender Konflikte könnte die Ausstellung nicht relevanter sein.

Wenn sich sogar der Autor der Winnie-the-Pooh Bücher für Krieg einsetzt, kann man annehmen, dass die Bevölkerung nachzieht. „Ich glaube, dass der Hitlerismus vernichtet werden muss, bevor Krieg abgeschafft wird. Ich bin ein praktischer Pazifist,“ so schrieb A. A. Milne kurz nach Beginn des zweiten Weltkrieges. Es ist ein aussagekräftiges Statement, die Ausstellung mit Kriegsgegnern zu eröffnen, die ihre Meinung so drastisch änderten. Auf europäischem Boden wird heute wieder gekämpft, und viele Pazifisten haben ihre Stellung in den letzten paar Jahren in Frage gestellt (vor Russlands Angriffskrieg hatte man es relativ einfach, als Europäischer Pazifist). Doch wenn Bomben fallen, herrscht auch bald Ausnahmezustand in den Köpfen: Kinder werden getötet, Nachbarn verraten, Frauen vergewaltigt, rasiert und bespuckt. Dieser höllische Absturz gesellschaftlicher Normen ist ohne Propaganda schwer denkbar.

Das Imperial War Museum zeigt mit mehr als 150 Ausstellungsstücken aus eigener Sammlung, wie Menschen zum Krieg mobilisiert wurden, wie Soldaten und Zivilbevölkerungen während der Konflikte nach Sinn suchen, und wie viele von ihnen schwere psychische Schäden davontragen. Es geht hier hauptsächlich um Kriege, in denen Großbritannien und die USA als Alliierte wichtige Rollen spielten. Ein „German Crimes Calendar“ erinnerte Briten im Jahr 1918 monatlich an die Brutalität der deutschen Truppen im Ersten Weltkrieg. Jedes Kalenderblatt illustrierte jeweils eine deutsche Aggression: Das Blatt vom Mai ist dem Untergang des Passagierschiffs Lusitania gewidmet, das ein deutsches U-Boot im Jahr 1915 torpedierte. Der Kalender beschreibt dies als „Meisterwerk des Grauens.“ Der Feind habe diesen Angriff sogar mit einem Orden gefeiert. „Es kann keinen Frieden geben, mit einer Rasse, die stolz auf ein solches Datum ist,“ liest man weiter.

Eine der wichtigsten Propaganda-Bemühungen eines Staates, der zum Krieg aufruft, ist die Mobilisierung von Soldaten. Das Museum beschreibt hier verschiedene Ansätze. „Komm und schließ dich dieser fröhlichen Schar an,“ fordert ein Poster auf, das eine Gruppe von lächelnden Rekruten des Ersten Weltkrieges zeigt und gezielt junge Menschen anspricht, die nach Angehörigkeit suchen. Auch wurde von männlichen Stereotypen Gebrauch gemacht. „Tatkräftige wählen die Navy,“ beteuert ein Poster.

Zuhause bereitete die Regierung britische Familien während des Kalten Krieges mit Broschüren und TV-Clips auf einen möglichen Nuklear-Angriff vor. Akribisch wird beschrieben, wie man Dosen-Nahrung vor Bestrahlung schützt. Wäre es wirklich zum russischen Atomangriff gekommen, wäre wohl ein großer Teil der britischen Bevölkerung ausgelöscht worden - mitsamt Broschüren und Konservendosen. Doch die Anleitungen gaben den Menschen ein wenig Kontrollgefühl. Panik kann sich eine Regierung im Krieg nicht leisten.

Britischen Kindern gab man im ersten Weltkrieg ein Buch mit dem Titel The Child’s ABC of the War, das den Kleinen in Reimen und farbigen Illustrationen Konzepte wie Opfergabe, Loyalität und Tyrannei erklärte, und sie so für den Krieg begeisterte.

Um die Stimmung auch auf der Front aufrechtzuerhalten, gab man Soldaten Amphetamin Pillen, die gegen Ermüdung helfen sollten. Auch hatten sie im Ersten Weltkrieg kleine Erste-Hilfe-Ausrüstungen dabei, die oft mit Chlorodyne ausgestattet waren, ein schlagkräftiges, britisches Schmerzmittel, das Kokain, Cannabis und Opium enthielt. Diese Ausrüstungen haben wohl kaum Leben gerettet in einem Krieg, in dem es Millionen Tote gab und Überlebende oft brutale Verstümmelungen erlitten. Doch sie gaben Rekruten das Gefühl, gegen die unvermeidlichen Schmerzen gewappnet zu sein.

Soldaten, die lange Stunden in matschigen Graben verharren mussten, vertrieben ihre Zeit mit kleinen Kunstwerken, die sie aus Trümmerstücken schafften. Auch fertigten sie Ortsschilder an, die an den Graben an zuhause erinnerten. Ein Holzstück mit der Anschrift „Suicide Corner“ warnte Rekruten Kameraden vor einem Abschnitt eines Grabens, der oft angeschossen wurde. Schwarzer Humor war auch hier ein Bewältigungsmechanismus.

Ein dicker schwarzer Schutzhandschuh gehört zu den modernen Objekten der Ausstellung. Dieser war Teil der Ausrüstung der Soldaten, die für die US-Invasion im Irak von 2003 mobilisiert wurden. Der Krieg basierte bekanntlich auf der Lüge der Massenvernichtungswaffen, und der Gummihandschuh ist in einer dünnen Plastikfolie ausgestellt. „Er kam nie zum Einsatz,“ steht auf dem Beschriftungsschild, genau wie die nicht vorhandenen chemischen Waffen.

Natürlich gibt es auch Propaganda, die sich gegen Krieg richtet. Das Imperial War Museum zeigt Flugblätter, die Tony Blair verspotten - „Make Tea, not War!“ Sie stammen von der Stop The War Coalition, die auch heute noch aktiv ist. Anfang des Monats rief sie zum Beispiel in London zum Protest gegen Israel’s Krieg im Gazastreifen und im Libanon auf.

Und so findet sich in der Ausstellung schnell eine Verknüpfung zu aktuellen Konflikten. Interessant wird es werden, wenn Museen digitale Informationskriege thematisieren, die gerade in sozialen Medien geführt werden. Es gibt wohl noch nicht genug zeitliche Distanz für solch eine Ausstellung - War and the Mind bietet jedenfalls einen hilfreichen historischen Kontext.

Claire Barthelemy
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