Films made in Luxembourg

Hoffnungsschimmer

d'Lëtzebuerger Land vom 15.04.2022

„Sind wir noch zu retten?“ - so könnte man die Grundfrage am Ende der ersten Season der luxemburgischen Krimiserie Capitani benennen. Da ermittelte ein Polizist in einer ganz verschlagenen Dorfgemeinschaft, die allmählich ihre Abgründe auftat. Dass da ein Mord aufgedeckt wurde, erschien plötzlich beiläufig. Das dürfte kaum verwundern, immerhin zeichnet das Krimigenre ein äußerst düsteres und pessimistisches Gesellschafts- und Weltbild. Der Kommissar hat da ein Misstrauen ausgelöst und ein Netz gegenseitiger Anschuldigungen und Verdächtigungen zu Tage gefördert; ein Unbehagen wurde da spürbar, auch und besonders nach Abschluss des Falles, zumal die dunkle Vergangenheit des Ermittlers selbst ans Licht kam und eine tiefe Verunsicherung bestehen bleiben musste.

Serienschöpfer Thierry Faber knüpft mit der zweiten Ausgabe von Capitani ebendort an. Im Zentrum der Handlung steht nun ganz der ehemalige Ermittler Luc Capitani (Luc Schiltz), um den nicht alle Fragen geklärt sind und sich demnach immer noch Bezugspunkte zu der ersten Ausgabe ergeben. Er ist nun seit zwei Jahren wieder auf freiem Fuß. Nach seiner frühzeitigen Haftentlassung hat es ihn ins Bahnhofsviertel von Luxemburg-Stadt verschlagen. Hier arbeitet er für die Zuhälterin Valentina Draga (Edita Malovčić). Er soll für Ruhe und Ordnung sorgen, aber die nigerianische Drogenmafia scheint das Viertel in Aufruhr zu bringen. Ebenso der einflussreiche Zuhälter Gibbes König (André Jung) und sein Sohn Arthur (Tommy Schlesser) sehen sich da auf einmal in ihrer Existenz bedroht. Auch die Polizei, insbesondere die idealistische Ermittlerin Elsa Ley (Sophie Mousel) und ihr raubeiniger Partner Toni (Philippe Thelen), überwachen die Vorgänge minutiös. Dann gibt es noch den unscheinbaren Lucky (Edson Anibal), der auf der Suche nach seiner Schwester Grace (Jennifer Heylen) ist, sie ist eine von Valentina Dragas Prostituierten, die auf mysteriöse Weise verschwunden ist...

Was sich in Capitani – Season 2 zuvorderst und vor allem zeigt, ist eine Stadt, die mit den freundlichen Klischees, die man sich von Luxemburg gemacht hat, nichts gemein hat. Das war schon in Doudege Wénkel (2012) und Péi-truss (2019) dementsprechend angelegt. Wie in der Vorgängerausgabe ist es der Ort selber, von dem das Unbehagen auszugehen scheint. Der bedrohliche Schauplatz selber verweigert den Menschen ihre wahre Identität. Luc Capitani arbeitet Undercover, der eingereiste Lucky muss auf der Suche nach seiner Schwester eher widerwillig Aufgaben annehmen, die nicht seinem Wesen entsprechen, dann gibt es Söhne, die unter der Autorität der Eltern stehen und nicht die sein dürfen, die sie sein wollen. Daraus ergibt sich ein Geflecht von Schein- und Falschidentitäten, die so gesehen in einer Linie mit der ersten Ausgabe stehen: Die Grenze der eigenen Person zum einen überschreiten zu müssen und zum anderen nicht übertreten zu dürfen, führt in diesem Drogen- und Prostitutionsmilieu in tödliche Gefahren. So dominieren in Capitani – Season 2 stärker als beim Vorgänger die Muster des psychologischen Thrillers mit vertauschten oder vorgetäuschten Identitäten und die Staffel zielt auf ein subjektives Spiel mit dem Wissen des Publikums. Zur gleichen Zeit fällt es immer schwerer, die Geschichte noch zu fassen, denn am Ende traut keiner dem anderen mehr über den Weg, bis man sich schließlich selber gegenseitig zur „gerechten“ Strafe geworden ist.

In diesem Genre, das unter der Oberfläche eines Kriminalfalles doch auch vor allem von den Widersprüchlichkeiten der Gesellschaft, der Rassen, Klassen und Geschlechter erzählt, kommt die Kritik an der sozialen Ungleichheit immer wieder auf. Die Diskussion um die soziologisch-realistische Darstellung des kriminellen Milieus ist indes ohnehin eine problematische. Das ist auch in dieser Fortsetzung der Koproduktion von Samsa und RTL unter der Regie von Christophe Wagner und Thierry Faber freilich nicht anders: Der Realitätseindruck, den die Serie schafft, ist ein filmisch konstruierter: Er wird gestiftet durch Originalschauplätze und Abwesenheit von Studiobedingungen einerseits, andererseits durch eine Vorstellung einer dem Milieu entsprechenden Sprache und Praktiken der Gewaltausübung. Die Milieubeschreibung mag in ihren Grundzügen authentisch sein, dennoch ist das Hauptanliegen von Capitani nicht die Zeichnung eines Bildes der Stadt Luxemburg, das im Besonderen soziologisch-dokumentarischen Impulsen verpflichtet wäre; vielmehr überwiegt da der Umstand, dass eine Geschichte im Wesentlichen genrespezifischer Konflikte bedarf. Die Figuren erscheinen, sprechen und handeln so, weil sie dem Genre entsprechend so aussehen, sprechen und handeln „müssen“. Der internationale Zuspruch der ersten Ausgabe der Serie durch die Diffusion auf Netflix mag daher auch mehr auf der globalen Lesbarkeit von Genrecodes und -konventionen liegen, als an einer spezifisch luxemburgischen Beschaffenheit. Was sich den kundigen Zuschauern und Zuschauerinnen aber ins Bewusstsein heben dürfte, ist die Anknüpfung an ein ganz junges nationales filmisches Bildgedächtnis. Handlungsstränge und Stadtbilder erinnern an zwei andere luxemburgische Vorbilder, ja sie muten wie eine Zusammenführung zweier früherer luxemburgischen Filme unter der Regie von Pol Cruchten an: Hochzäitsnuecht (1992) und Black Dju (1996).

Da wo sich die erste Ausgabe noch ganz auf die Dekonstruktion des Ermittlers und seinen Werteverfall, die Schuldaufladung, konzentrierte, da geht die Fortsetzung nun den umgekehrten Weg: Es geht um die Rehabilitation. Diese Rehabilitation soll sich auf zwei Ebenen vollziehen: Im Privaten und im Öffentlichen. Zum einen steht da die Beziehung zwischen Luc Capitani und seiner Schwester Jeanne (Marie Jung), die sich nach langjährigen Kommunikationsschwierigkeiten auf dem Weg der Besserung befindet, zum anderen soll der Ermittler bei erfolgreichem Anschluss seiner Undercover-Arbeit sein Leben zurückbekommen und die schuldbeladene Vergangenheit hinter sich lassen dürfen. Dafür geht die Staatsanwaltschaft aber ganz eigene und mitunter fragwürdige Wege und schreckt auch vor unlauteren Methoden wie Erpressung nicht zurück. Der Ermittler wirkt immer verzweifelter und unstabiler, aber man lässt ihm keine Ruhe, und zum Schluss bleibt ihm nur die Erkenntnis, dass die eigene, staatstragende Organisation um keinen Deut besser ist als die kriminellen Formierungen der Unterwelt. Einzig auf die Menschlichkeit im menschlichen Wesen kommt es da an. „Sind wir noch zu retten?“ Die Antwort die Thierry Faber mit der zweiten Ausgabe von Capitani nahelegt, mag da etwa lauten: „Es gibt Hoffnung.“

Die zwölf Episoden von Capitani – Season 2 sind integral auf rtl.lu bis zum 12. Juni abrufbar

Marc Trappendreher
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