Die kleine Zeitzeugin

Im Banne des Tyrannen

d'Lëtzebuerger Land vom 28.08.2020

Er ist immer noch da, zäh wie Trump, jäh wie Trump. Der wird auch andauernd totgesagt, und dann leuchtet sein vergoldeter Schopf auf und sein Weib preist ihn und kassiert dafür ein gönnerhaftes Küsschen. Eine Hydra, die hundert Häupter hebt, die Tyrannin lebt, munkelt es von allenthalben, von überall hebt sie ihr hustendes Haupt und spuckt uns ins Gesicht. Die Luft ist nicht mehr rein, schon wieder nicht.

Die Tyrannin schläft, hieß es im Frühsommer, ein großes Lachen hob an, alle strömten ins Freie, wo sie frei waren, die Zecher hoben die Becher, die Zecherinnen selbstverständlich auch. Das Blaue vom Himmel war das schönste blaue Wunder, sogar der schüttere Park wurde grün gefunden, und blaue Meere lagen denen, die sie sich kaufen konnten, wieder zu Füßen. Wie es sich gehört. Und alles war wieder ein bisschen gut. Zwar wurde gemahnt, doch auf Sparflamme zu leben und nicht zu sehr zu entflammen, nicht zu laut und zu maßlos zu werden. Nicht zu jung. Weil die Tyrannin könnte wieder aufwachen, und wir würden wieder ins Gefängnis kommen.

Aber wie wir Menschenkinder so sind, immer können wir nicht auf Zehenspitzen gehen, manchmal müssen wir auf die Pauke hauen. Die Sehnsucht trieb uns an Gestade oder auf Marktplätze, in der Sonne baden, ja, schön, aber auch ein bisschen in der Menge baden, das ist so live. Endlich wieder jemand riechen, mit dem man nicht seit fünfzig Jahren Bett oder Büro teilt!

Die, denen der Tyrann keine Angst einjagt, weil sie ihn für eine kollektive Wahnvorstellung halten, sind schwer damit beschäftigt, den Tyrannen hinter dem Tyrannen zu entlarven. Sie sind auch nicht zu beneiden. Dann gibt es die, die sich mit dem Tyrannen arrangieren, sie meiden ihn diplomatisch. Sie haben ihr Schutzschild, ihre unantastbare Aura immer dabei, es ist eine käufliche und derzeit unbezahlbare Aura. Aus ihrem Auto steigen sie in ihre Yacht um, sie bleiben unter sich und prosten sich autark zu. Sie brauchen nichts und niemand, denn sie haben alles. Leider ist alles sehr unfair, regen sie sich dann sehr auf. Weil obschon sie von einer nun wirklich garantiert partyproletariatfreien Insel kommen, müssen sie in einem stinkenden Stau darauf warten, dass jemand in ihrer Nasenhöhle stochert.

Kaum hat man ein bisschen aufgelebt, ein bisschen gelebt, kaum ist man ein bisschen gereist, reisen schon wieder Hiobsbotschaften um die Welt. Die Bayern wollen wieder weniger feiern. In Marseille ziehen sie wieder mit Masken um die Häuser. Das Gebrabbel hinter den Masken macht aber so menschenmüde, man zieht sich wieder zurück und verzieht sich. Der schönste Traum, die größte Utopie, scheint wieder zu entrücken, in eine bald schon fremde Ferne. Die des Alltags, des Alltags davor.

Wow, der war so mega, entsinnt ihr euch? Wie wir im Morgengrauen in die Busse krabbelten, wie wir in die Aufzüge drängten und allen unser Antlitz zeigten. Verquollen, aber menschlich. Wie wir überhaupt so menschlich unterwegs waren, uns menschlich die Ellbogen ins Fleisch rammten, uns nicht in die Ellbogen husteten wie Sklav/innen. Gib uns unsern Alltag back, lass uns wieder normal Bus fahren.

Das waren Zeiten, als wir noch nach Männern mit eckigen Bärten Ausschau hielten. Das waren handfeste Ängste. So was oder wen konnte man dingfest machen, theoretisch. Aber jetzt … wir fürchten uns vor der Luft, die wir einatmen, und vor einem Haltegriff. Bald werden wir jahrelang auf der Couch liegen, aber da liegt auch schon ein Virus. Der Therapeut kommt übers Telefon wie die Seelsorge zu Weihnachten.

Bald sind wir lauter Kollateralschäden, zumindest haben wir einen Monster-Kollateraldachschaden. Aber daran stirbt man wenigstens nicht, denken wir und schauen ins Poesiealbum.

Wo wir der besten Freundin die Wahrheit ins Gesicht sagten, die Fetzen und Tröpfchen flogen, nachher war man erleichtert. Jetzt ist man nie erleichtert. Alles soll nur noch light sein, Leben light ist aber das Schwerste. Immer mit Spaßbremse unterwegs. Kleine Kinder lustig maskieren. Den Menschen zurückstoßen, der freudig auf uns zukommt, möglichst zuvorkommend.

Es ist alles so ermüdend.

Michèle Thoma
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