70 Jahre nach seiner Gründung hat sich am Grundkonsens der parteipolitischen Unabhängigkeit des Land nichts geändert. Der aufklärerische Ansatz wurde in den letzten 20 Jahren konsolidiert

Unabhängig und aufklärerisch

d'Lëtzebuerger Land vom 22.12.2023

Als Carlo Hemmer vor 70 Jahren die erste Ausgabe der von ihm gegründeten Wochenzeitung herausbrachte, war die Redaktion ein Zwei-Mann-Betrieb. Heute hat das Land elf Mitarbeiter/innen: acht Journalist/innen, unter ihnen ein Fotojournalist, einen Grafiker, eine für die Verwaltung zuständige Kollegin und einen Geschäftsführer.

Ein beachtlicher Wandel. Aber verändert und neu erfunden hat das Land sich in den sieben Jahrzehnten seines Bestehens immer wieder. Seine Gründung in den Fünfzigerjahren richtete sich gegen das Meinungsmonopol der Parteizeitungen. Die liberale Presse war nach dem Zweiten Weltkrieg auf das Lëtzebuerger Journal geschrumpft, dessen gesellschaftlicher Einfluss jedoch nicht mit dem der liberalen Zeitungen im 19. Jahrhundert und in der Vorkriegszeit zu vergleichen war (d’Land, 9.1.2004) und das sich als Zeitung der DP in den Kreis der Parteiblätter einreihte. d’Letzeburger Land, wie sein Titel in der damaligen Schreibweise hieß, sollte nicht bloß über ihnen stehen. Kulturell eher de gauche, sollte es Intellektuellen ein Forum zur Debatte bieten. Als Beitrag zur gesellschaftlichen Modernisierung und liberal, wenn es um die Wirtschaft ging, diente die Gründung des Land den Interessen der Industrie. Carlo Hemmer war Generalsekretär der Industriellenföderation Fedil. Bei der Finanzierung der Zeitungsgründung halfen die Stahlbarone Felix Chomé und Tony Neumann. In seinen Artikeln vertrat Hemmer die „Konkurrenzfähigkeit“ als eine „Grundwahrheit“ (d’Land, 20.12.2013).

Inwieweit das Land dabei half, in den Siebzigerjahren der sozialliberalen Koalition den Weg zu bereiten, ist nicht sicher. Dass es dabei half, ist vielleicht ein Mythos, aber dann ein bis in die Neunzigerjahre gern erzählter. Auf jeden Fall aber versuchte Léo Kinsch, der 1958 neuer Besitzer, Herausgeber und Chefredakteur des Land geworden war, mit der Zeitung Einfluss auf die Politik zu nehmen und sie nicht nur zu analysieren. Nach seinem Ableben 1983 entwickelte sich das Land nach und nach zu einem journal d’auteur. Nicht nur in dem für die Debatte offenen Forum, dessen Rubrik auch so hieß, sondern in seinem redaktionellen Teil ebenfalls; vor allem in den Neunzigerjahren. Nach dem Ende des Kalten Kriegs, aus dem das westliche Modell von parlamentarischer Demokratie und Marktwirtschaft als Sieger hervorgegangen zu sein schien, war für Auseinandersetzungen zwischen den Luxemburger Parteiblättern weniger Anlass. Nachrichten lieferten Radio und Fernsehen immer mehr. Und was es jahrzehntelang nicht gegeben hatte, fand nun statt: Neugründungen von Zeitungen und Zeitschriften, auch vor dem Hintergrund der sozial, kulturell und sprachlich diverser gewordenen Luxemburger Gesellschaft. Die Wochenpresse wuchs um die Titel Télécran, Den neie Feierkrop, Contacto, Correio, GréngeSpoun (später Woxx) und Le Jeudi, die Tagespresse um La Voix du Luxembourg und Le Quotidien.

Die Motivation, mit dem Land Politik machen zu wollen, hatte dem Beschreiben und der Analyse von Politik Platz gemacht. Auf den Seiten des Land herrschte ein auffälliger Binnenpluralismus: Die Analysen und Kommentare zu Politik und Wirtschaft reichten von marxistisch bis ordoliberal. Der Kulturteil war de gauche wie schon zur Gründerzeit. Bis über die Jahrtausendwende ließ die redaktionelle Linie des Land sich so verstehen, der Vielfalt der Einstellungen, Meinungen und Ansichten der Redakteur/innen Raum zu geben. CSV-Premier Jean-Claude Juncker meinte in einem Interview zum 50. Gründungsjubiläum des Land, die Redaktion vertrete manchmal „innerhalb einer einzigen Ausgabe zwei gegensätzliche Standpunkte“. Was eine „kluge Art“ sei, den Leser/innen zu einer eigenen Meinung zu verhelfen (d’Land, 9.1.2004).

Grundlage für die Vielfalt im Blatt waren die Unabhängigkeit der Redaktion und die Tradition, den Journalist/innen zu vertrauen. Um die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit des Land langfristig zu sichern, war Anfang der Neunzigerjahre das Kapital der Verlagsgesellschaft Éditions d’Letzeburger Land s.à r.l. in die gemeinnützige Fondation d’Letzeburger Land überführt worden. Die Stiftung hielt zunächst 85 Prozent, später hundert Prozent der Anteile am Land-Verlag.

Hatten die Veränderungen am Inhalt allmählich und auch als Reaktion auf Veränderungen in der Gesellschaft, der Presselandschaft und in den politischen Diskursen stattgefunden, fielen drei Neuerungen, welche die Leser/innen unmittelbar bemerkten, ebenfalls in die Neunzigerjahre.

1997 begann die Redaktion mit dem Fotografen Martin Linster zusammenzuarbeiten, einem Autorenfotografen mit eigenem Stil, der die Fotografie im Land nicht nur bis 2010 prägen, sondern eine Tradition begründen sollte, die nach ihm von Patrick Galbats und heute von Sven Becker weitergeführt wird. 1999 verhalf sie Verlag und Redaktion auch zu der Einsicht, das Erscheinungsbild der Zeitung vernachlässigt zu haben. Das führte Mitte 1999 zur ersten großen Layout-Reform seit der Gründung der Zeitung 1954. Die von dem Grafikdesigner Tom Gloesener konzipierte neue maquette enthielt ein „luftigeres“ Layout, welches das Land eleganter machte und den Fotos zu einem größeren Stellenwert verhalf. Wenn die Land-Redaktion heute den Anspruch hat, ihren Leserinnen und Lesern jeden Freitag eine „intelligente und elegante“ Zeitung anzubieten, dann hat dieser in der Layout-Reform von 1999 seinen Ursprung.

Zeitgleich mit dem neuen Layout ging das Land online. Seine Webseite land.lu bot zunächst vor allem einen Überblick über den Inhalt der jeweils aktuellen Ausgabe und einzelne Artikel in voller Länge. Die seither in der Datenbank von land.lu archivierten Artikel bilden die Grundlage für einen Archivfundus, der bis heute von Woche zu Woche immer größer wird. Beim aktuellen Stand umfasst er 17 469 Artikel.

Den aufklärerischen Ansatz, mit ihrem Journalismus die Dinge zu zeigen, wie sie sind, und sie zu kommentieren, verstärkte und konsolidierte die Land-Redaktion ab der zweiten Hälfte der 2000-er Jahre. Auch hatte sie sich verjüngt und war weiblicher geworden. Die Einzigartigkeit des Land zu betonen und journalistische Qualität liefern zu wollen, war auch eine gezielte Reaktion auf die Probleme, mit denen die gedruckte Presse in Luxemburg generell konfrontiert war: Mit dem ab 2008 schrumpfenden Anzeigenmarkt. Mit dem Aufkommen von Online-Journalismus, der in seinen Anfangsjahren die Erwartung weckte, er werde kostenfrei sein, journalistische Arbeit also viel schlechter entgolten. Gleichzeitig löste die Parteipresse sich immer mehr auf, der Journalistenbruf wurde professioneller, die Medien insgesamt wurden kompetitiver. Titel wie Le Jeudi und La Voix du Luxembourg stellten ihr Erscheinen ein.

Der Übergang auf das große Norddeutsche Format Ende Juni 2012 war eine weitere Neuerfindung. Konzipiert wurde sie wie die von 1999 vom Grafikdesigner Tom Gloesener.Genau genommen, handelte es sich um den dritten Formatwechsel seit der Gründung des Land 1954. Bei jeder Änderung der Druckerei gab es einen. Die jeweiligen Rotationsdruckmaschinen gaben das Format vor. Das von 1954 (49 x 35 Zentimeter) wurde Mitte der Sechzigerjahre auf 55 x 36 Zentimeter vergrößert. In den Siebzigerjahren wurde es mit einem weitere Wechsel der Druckerei auf 44 x 30 Zentimeter verkleinert. Broadsheet ab 2012 maß 56,5 x 40,5 Zentimeter. Das Berliner Format, in dem das Land seit vergangener Woche erscheint, hat die Abmessungen 47 x 31,5 Zentimeter.

Dass damit ein Qualitätsversprechen verbunden ist, ein Bekenntnis zu einem hochwertigen Journalismus in einer gedruckten Zeitung mit einem anspruchsvollen Erscheinungsbild, wurde in den letzten Wochen schon erwähnt. In einem für die gesamte Presse wirtschaftlich schwierigen Umfeld soll das Land sich weiter behaupten und eine Referenz sein. Ein Massenblatt ist das Land nicht. Aber nach der letzten Reichweitenerhebung, die TNS-Ilres im Herbst 2022 veröffentlichte, hatte es unter den ab 15-Jährigen an der Bevölkerung eine Leserschaft von mehr als 16 200. Vor zwanzig Jahren, zum Vergleich, waren es 12 000. Wenn gleichzeitig die Abonnements und Kioskverkäufe in etwa stabil geblieben sind, schrumpft die Leserschaft des Land offenbar nicht.

In den letzten beiden Jahren finanzierte das Land sich zu ungefähr jeweils einem Drittel aus Abos und Kioskverkäufen, dem Verkauf von Anzeigen und Bekanntmachungen sowie der staatlichen Pressehilfe. Die 2021 vom Parlament verabschiedete Reform der Pressehilfe stellte das Land finanziell leicht besser als zuvor und erlaubte es, in der Redaktion eine zusätzliche Vollzeitstelle zu schaffen. Anfang 2022 wurden zwei junge Kolleginnen eingestellt, Stéphanie Majerus und Sarah Pepin. Damit war auch der Wunsch verbunden, die Besetzung der Redaktion in Richtung Parität zu bringen. Es hatte sie in der Vergangenheit schon gegeben, doch mehrere Abgänge in den Jahren 2019 und 2020 hatten das Verhältnis verändert.

Unbedingt erwähnenswert ist, dass die Fondation d’Letzeburger Land (ihr Name entspricht dem der Schreibweise der Zeitung bei ihrer Gründung) eine wachsende Rolle in der Förderung des Nachwuchs-Journalismus spielt. Das entspricht ihrem gesellschaftlichen Zweck. In den Neunzigerjahren hatte die Stiftung das Förderstipendium Bourse Léo Kinsch vergeben. 2010 und 2013 hatte sie den Studentenwettbewerb Next Generation ausgerichtet. Seit 2020 fördert sie Praktikant/innen im Studienfach Journalistik, beziehungsweise Student/innen anderer Fachrichtungen mit Interesse am Journalismus. Fünf Praktikant/innen hat die Land-Redaktion bisher betreut. In den letzten beiden Jahren gab es stets mehr Bewerbungen als offene Plätze, denn ein Praktikum beim Land dauert mindestens einen Monat, besser zwei, weil sich dann mehr davon lernen lässt, wie beim Land unabhängiger und aufklärerischer Journalismus verstanden wird.

Peter Feist
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