Das Gespräch mit vier Fotograf/innen sollte sich nur um den Bildjournalismus drehen. Aber schnell ging es um mehr

Texte, Bilder und die Demokratie

d'Lëtzebuerger Land vom 22.12.2023

Christian Aschman (57) ist seit 1993 freischaffender Fotograf. Er arbeitete zehn Jahre als Modefotograf in Paris und Brüssel. War anderthalb Jahre Fotoredakteur beim Luxemburger Wort, dort näher am Fotojournalismus. Nach seinem Weggang vom Wort konzentrierte er sich auf Urbanismus- und Stadtfotografie.

Sven Becker (44) ist angestellter Fotojournalist beim Land. Studierte in Brüssel und Köln Multimedia-Kommunikation und Werbung. Betrieb mit Kollegen eine Agentur für Werbefotografie. Stellte für RTL Télé eine Zeitlang Videos zu Kulturthemen her, arbeitete anschließend als Fotograf an Kulturthemen, unter anderem für das Tageblatt und verschiedene Titel von Maison Moderne. Seit 2017 beim Land.

Anouk Flesch (26) studierte 2017 bis 2020 Fotografie in Frankreich. War schon während des Studiums Freelancerin für die Luxemburger Presse. Hat sich auf Sportfotografie bei Wettkämpfen spezialisiert, zum Beispiel auf Radrennen wie den Tour de France.

Christophe Olinger (51) war nach Abschluss seines Studiums zunächst Werbefotograf, später Reportagen. Begann 1996 für Tageblatt, Le Jeudi und Le Républicain Lorrain zu arbeiten. Wurde nach Gründung von Le Quotidien dessen Cheffotograf. Drei Jahre später wieder selbstständig. Qualifizierte sich zum Videojournalisten weiter, arbeitete freischaffend auf diesem Gebiet. Seit fünf Jahren bei wort.lu angestellt. Zunächst als Videojournalist, dann als Mitglied einer Gruppe, die sich mit neuen Multimedia-Formaten beschäftigt.

d’Land: Diese Frage interessiert bestimmt auch viele Leser: Fotografieren Sie als Profis auch mit dem Handy?

Christian Aschman (CA): Ja, um damit Notizen zu machen. So halte ich Dinge oder Lichtverhältnisse fest, die mir auffallen oder mich interessieren, und kann auf sie später zurückkommen. Für Fotos, die publiziert werden, benutze ich das Handy nicht.

Anouk Flesch (AF): Ich mache ganz viele Fotos mit dem Handy! Aber nur private.

Christophe Olinger (CO): Bei mir ist das anders. Vielleicht 70 Prozent meiner veröffentlichten Bilder sind vom Handy. Sowohl Fotos als auch Videos. Da reden wir aber von News, nicht von Reportagen. Für News arbeite ich unter Zeitdruck. Es besteht ein starker Trend zur, ich nenne das mal so: Immediatisierung. Es muss sofort sein. Die Qualität der heutigen Handys ist gut, ihr Handling auch. Für News ist das Handy das beste Instrument. Ich kann damit nicht nur Fotos und Videos aufnehmen, sondern auch Audio, kann Notizen machen, Texte schreiben und Live-Blogs speisen. Für mich steckt im Handy ein ganzes Büro. Und ein gutes Bild ist ein gutes Bild, egal mit welchem Apparat es aufgenommen wurde.

CA: Mit dem Handy kann man Positionen einnehmen, die mit einer großen Kamera Probleme bereiten würden. Man kann auch viel diskreter sein.

Sven Becker (SB): Ich war im Oktober auf einer Wahlversammlung und stellte mit Schrecken fest: In meiner Kamera waren keine Speicherkarten! Es war schon nach 19 Uhr, keine Chance, in der Nähe eine Karte zu kaufen. Also habe ich mit dem Handy fotografiert, die Fotos kamen auch ins Land. Sie waren okay. Ich verstehe, was Christophe sagt: Im tagesak-
tuellen Geschäft musst du Informationen schnell weitergeben.

AF: Es gibt nur noch ein paar Bereiche, für die das Handy sich nicht eignet. Architekturfotografie und Sportfotografie zum Beispiel.

SB: Mit dem Handy musst du mehr probieren. Von meinen großen Kameras weiß ich ungefähr, welche Bilder sie mir bei welchen Einstellungen liefern. Vom Handy nicht. Aber das ist für Fotografen auch eine Gelegenheit, sich neu zu erfinden.

CO: Du bist damit viel weniger aufdringlich und bekommst andere Bilder. Die Leute sind ziemlich dran gewöhnt, per Handy fotografiert zu werden. Also mischst du dich als Fotograf in die Masse, und die Leute nehmen dich weniger wahr, als wenn du eine große Kamera rausholst. Wenn ich an den Gemeindewahlabend in der Stadt im Großen Theater denke: Lydie Polfer hatte gewonnen, lief draußen umher und begann, Leute anzurufen. Ich meine, Fotos mit dem Handy konnte man von ihr machen, ohne dass sie geniert war. Eigentlich ist fotografieren heute ja schwierig: Jeder denkt an seine Persönlichkeitsrechte. Aber selber fotografieren die Leute natürlich auch und stellen das ins Internet. Alles mit dem Handy.

Das war mir bei meiner Frage durch den Kopf gegangen: Die digitale Fotografie und die Handys haben für eine enorme Demokratisierung gesorgt. Jeder kann so viele Fotos machen, wie er will, und sie mit der ganzen Welt teilen. Wie wirkt sich das auf den Fotojournalismus aus?

CA: Für gedruckte Publikationen sind Handy-Fotos eher nicht gut. Bei genauerem Hinschauen kann man zum Beispiel feststellen, dass bei Gruppenaufnahmen nicht alle Gesichter gut wiedergegeben sind.

AF: Aber auf der anderen Seite wird immer wieder auch auf Fotos von früher zurückgegriffen und wenn die Qualität nicht die beste ist, stört das nicht. Sie werden sogar groß gedruckt. So dass man heutzutage eigentlich auch Handy-Fotos ausdrucken kann. Es muss nicht immer alles perfekt sein.

CO: Die Diskussion mit dem reinen Print kannst du gar nicht mehr führen, weil die reinen Printprodukte nach und nach wegfallen. 80 Prozent der Leser beziehen ihre Informationen vom Smartphone. Fotos von hoher Qualität sind nur noch in Ausnahmefällen nötig. Auch die Lebensdauer der Bilder nimmt ab. Sie liegt vielleicht noch bei zwei Stunden, mehr nicht. Ständig werden Bilder nachgeschüttet.

SB: So entstehen Bilder von Situationen, die sonst nicht gezeigt würden. Ohne Handys würden sie nicht existieren. Aber dadurch, dass sie gezeigt werden, werden vielleicht Journalisten aufmerksam, gehen dorthin und vertiefen das Thema. Die Visualität, die heute existiert, führt uns dorthin. Wir würden ohne sie anders funktionieren. Es werden Dinge entdeckt, die sonst unentdeckt bleiben würden.

CO: Was gut für den Fotojournalismus sein kann! Oder gut sein müsste. Gerade weil heute jeder Fotos und Videos machen kann, kann der richtige Fotojournalist einen gehobenen Platz bekommen.

Was für einer wäre das? Sie sagen, hohe Qualität sei nur noch selten nötig und alles müsse schnell gehen.

CO: Fotojournalisten haben ihre Berufsethik. Sie stehen für die Glaubwürdigkeit der Information, aber liefern auch eine Analyse der Information. Und sie reichen nicht jedes Foto zur Veröffentlichung ein. Für unseren Beruf kann die digitale Demokratisierung eine Chance sein.

Beim Land versuchen wir, den Fotografen als Autor zu verstehen. Seit 1997 hat das Bild einen hohen Stellenwert und soll eine eigene Geschichte erzählen. Ich meine, das klappt auch unter den Bedingungen der digitalen Demokratisierung.

CA: In Printmedien gehört dazu auch ein Layout, das dafür sorgt, dass das Bild seinen richtigen Platz hat. Dass es richtig positioniert ist. Eine Doppelseite mit einem einzigen Bild zum Beispiel löst Emotionen aus.

Wie wurde das zu Ihrer Zeit im Wort gehandhabt?

CA: Es gab dieses Gleichgewicht zwischen Text und Bild und so viel Interesse am Bild leider nur selten. Das war durch das Layout bestimmt, aber auch von redaktionellen Entscheidungen.

Wie funktioniert der Fotojournalismus für Sie, Anouk? Sie haben sich auf Sportfotografie spezialisiert, für die, wie Sie sagen, das Handy sich nicht eignet. Sie sind demnach in einer Nische.

AF: Gewissermaßen. Wobei das eigentlich nicht mein Plan war. Zunächst machte ich alles Mögliche, Reportagen, Porträts. Dann begann ich, Sportwettkämpfe zu fotografieren. Das wurde immer mehr. Ich bin in die Sportfotografie hineingeraten, fühle mich aber sehr wohl darin und versuche auch international Fuß zu fassen.

Arbeiten Sie vorwiegend im Ausland?

AF: In den letzten Jahren zunehmend. Mittlerweile arbeite ich vielleicht zur Hälfte im Ausland und zur Hälfte in Luxemburg. Meiner Kreativität tut das gut.

Verstehen Sie sich als Autorin?

AF: Ja, ich möchte weitergehen, als nur zu dokumentieren. Möchte meinen eigenen Blick und meine eigene Kreativität einbringen, so dass ich in den Bildern als Fotografin mit einem Stil erkennbar werde.

CO: Wenn man in Luxemburg für Mainstream-Medien arbeitet, ist es ganz schwer, als Autor erkennbar zu werden. Du hast nicht das letzte Wort bei der Auswahl der Bilder. Du bist ja draußen, schickst deine Bilder so schnell wie möglich ein, und dann ist da ein Desk, das alles online setzt oder das Layout der Zeitung herstellt und nicht unbedingt das Auge dafür hat, gute Fotos auszusuchen. Der Fotograf aber muss etwas liefern. Er kann nicht sagen, das hat jetzt nicht geklappt. Oder: Das Bild passt nicht. Du musst eine Grundinformation rüberbringen. Also schickst du das am wenigsten komplexe Bild ein, um dich abzusichern. Anschließend hast du Zeit, dich als Autor zu betätigen. Doch das ist zweischneidig: Hast du das erste Bild eingeschickt, geht es online. Man könnte das natürlich später ändern, könnte ein anderes Foto hochladen oder mehrere. Das wird aber nicht gemacht, oder viel zu selten. Sich als Autor zu beweisen, ist ein permanenter Streit mit den Redakteuren, dem Publishing-Team, dem Online-Desk… Die wenigsten sind Leute vom Bild, mit Bildkultur. Das macht es in Luxemburg so schwer, zu sagen: Ich bin Autor, das ist mein Bild, ich steh dazu, und – um bei dem Beispiel von eben zu bleiben –, das erste Bild war nur mein Informations-Foto.

CA: Autorenfotografie gibt es eigentlich nur beim Land. Und in der Tendenz auch bei Maison Moderne, weil dieser Verlag mit einem Fotografen zusammenarbeitet, der eine Handschrift hat und daran wiedererkannt wird. Meiner Erfahrung nach ist die Zusammenarbeit zwischen Textjournalist und Fotograf sehr wichtig. Sie sollten schon im Vorfeld gemeinsam an einem Thema arbeiten und klären: Worum geht es eigentlich? Wie packen wir das an? Gehen wir gemeinsam auf Recherche oder geht jeder für sich?

AF: Am besten ist ein Fotoredakteur als Bindeglied. Viele Journalisten verstehen von Fotos nicht viel, dann ist es für sie schwer, auszudrücken, welche Bilder sie wollen.

SB: Noch ein wichtiger Faktor ist die Zeit. Beim Land auch. Kann sein, es sind Personen zu fotografieren, aber sie sind nicht so schnell verfügbar oder nur kurz, und die komplexen Ideen, die ich für Fotos hatte, lassen sich nur schwer umsetzen oder gar nicht.

CO: Das war einer der Gründe, weshalb wir, als ich vor fünf Jahren zum Wort kam, mit ein paar Kollegen entschieden haben, Multimedia zu machen: Text, Video, Audio, Daten, vielleicht noch Zeichnungen setzen wir zusammen. Stellen als Team Projekte auf. Technik und Internet ermöglichen heute ganz neue Formate. Wir versuchen, den Gewohnheiten gerecht zu werden, die die Leser mit Facebook und Instagram entwickelt haben, um sie in ein Thema reinzuholen. Mit Qualitätsjournalismus und Qualitätsinformationen. Da hatten wir das Problem eines Redakteurs, der sich vielleicht nicht so gut mit Bildern auskennt, gelöst. Und der Begriff „Fotojournalist“ kommt gar nicht auf. Es setzen alle sich zusammen, die einen journalistischen Ansatz haben, und dann versuchen wir einen Artikel zu produzieren, der kein traditioneller Text-Artikel ist, kein Foto-Artikel, kein Video-Artikel. Für Fotografen ist es eine große Herausforderung, nicht mehr in Standbildern zu denken, sondern in Bewegtbildern. Und: Auch mit den Ohren zu fotografieren. Er hört, was die Leute sagen. Text, Video, Audio und Daten kommen zusammen. Nicht nur ein Text, ein Bild, sondern alles Wesentliche, um die Leute zu informieren.

Führt das nicht dazu, dass ein Journalist alles Mögliche macht, aber nichts richtig gut?

CO: Eine sinnvolle Arbeitsteilung muss es geben, sonst kommt kein Qualitätsjournalismus heraus. Die Entwicklung an sich begann schon vor 20 Jahren. In Frankreich zum Beispiel wurde sie von den chaînes d’info en continu ausgelöst: BFMTV, C+, I-Télé. Sie begannen, journalistes-reporteurs d’images einzustellen, Fotojournalisten, aber für Video. Die hatten einen Lieferwagen mit einer Satellitenschüssel drauf und fuhren raus. Der Journalist war Kameramann, machte den Schnitt und besorgte sogar die Live-Sendung. Also, das ist kein Risiko, dass es so kommt, es ist schon Realität.

AF: Da ist schon was dran. Ich zum Beispiel publiziere auch online. Instagram pusht diese Entwicklung. Für mich heißt das, dass mehr Leute meine Arbeit sehen können. Das ist eine Chance für mich. Daraus können sich später Aufträge für Zeitungen ergeben.

SB: Es ist ja heute immer seltener der Fall, dass eine Zeitung zu dir kommt, dich irgendwo hinschickt und dir ein Budget dafür gibt. Es sei denn, du gehörst zu den happy few.

AF: Das gibt es noch, aber selten. Oder du wirst schlecht bezahlt.

Wie finden junge Fotografen heute zum Beruf?

AF: Es studieren viele Fotografie. Extrem viele, würde ich sagen. In großen Städten sieht man bei wichtigen Ereignissen sehr viele Fotografen. Aber ich glaube nicht, dass viele wirklich Fuß fassen, denn die Konkurrenz ist groß. Wenn du dich nicht irgendwie von der Masse absetzt und dich gut zu verkaufen verstehst, ist es schwierig.

Ich würde gerne fragen, ob die Reform der Pressehilfe etwas an der Situation der Luxemburger Fotografen geändert hat. In den letzten Jahren war sie eine markante Änderung, weil sie nicht mehr nach bedruckten Seiten, sondern pro Vollzeit-Einheit Journalist gezahlt wird. Aber vielleicht kann nur Christophe etwas dazu sagen.

CO: Ich weiß nicht, ob die Reform großen Einfluss hatte. Beobachten kann man, dass Wert darauf gelegt wird, Redakteure einzustellen, die digital natives sind. Die Kenntnisse vom Schreiben haben, aber auch von Foto und Video, e bëssen hei, e bëssen do. Wenn ich bedenke, wie die Handys sich entwickelt haben und wie intuitiv Videoschnittprogramme sich bedienen lassen, dann ist es nicht so schwierig, online zu produzieren. Das ist nicht unbedingt zum Vorteil der reinen Bildjournalisten. Aber es tun sich neue Nischen auf. Datenjournalist zum Beispiel ist eine. Oder der Information Designer, der weiß, wie man eine komplexe Information grafisch in einer weniger formellen Art rüberbringt. Vielleicht hat die Pressehilfe-Reform dazu beigetragen, dass solche Berufe auftauchen. Aber letztlich ist es eine strategische Frage für einen Verlag und eine Redaktion, ob sie in diese Richtung gehen wollen.

Die wirklich einzigartigen Formen von Online-Journalismus machen große Zeitungen. Die New York Times, der Guardian, die Neue Zürcher Zeitung. Es wird vielleicht eine Konvergenz geben…

CO: … und so man kann viel mehr Leser erreichen! Auch mit Cross Media. Die New York Times macht das super. Sie macht ein großes und ein kleines Storytelling: In dem kleinen verweist sie auf ihre großen Artikel. Leser, die stark an Instagram gewöhnt sind oder an Tiktok, die jungen, erreicht man damit. Ich verstehe natürlich, dass schreibende Journalisten ein Problem damit haben, in solchen Formaten nicht mehr so eindeutig als Autor wahrgenommen zu werden. Aber für sie ändert der Beruf sich auch, nicht nur für die Fotografen. Es wird vielleicht ein fifty-fifty geben: Du machst den Text, ich das Foto.

Das Ergebnis muss natürlich gut sein und nicht nur Infotainment. Der Verlag der New York Times macht pro Jahr eine Milliarde Dollar Umsatz und kann sich guten Online-Journalismus leisten. Die meisten anderen können das nicht.

CO: Stimmt, das ist eine schwierige Übergangsphase. Für Qualitätsjournalismus überhaupt. Schnelligkeit ist nicht unbedingt kompatibel mit Qualität.

CA: Man braucht auch außenstehende Personen, Bildredakteure, Textredakteure, die eingreifen. Als Autor kannst du dich von deinen Sachen nicht unbedingt lösen. Du weißt nicht unbedingt, was funktioniert wirklich gut von dem Text, den du geschrieben hast, dem Foto, das du gemacht hast. Es braucht einen Koordinator mit einem neutralen Blick. Und es fragt sich, wieviel Zeit man zur Verfügung hat.

CO: Für Journalisten, die digital natives sind, ist es einfacher. Es ist die ältere Journalisten-Generation, die umdenken muss. Die etwas ganz loslassen muss.

SB: Für einen guten Artikel spielt es keine Rolle, ob er auf Papier oder online erscheint. Er ist und bleibt ein guter Artikel. Beim Bild ist das auch so. Wenn es dein Interesse weckt, bleibst du beim Scrollen vielleicht zwei Sekunden länger stehen. Anschließend liest du ein bisschen Text und denkst dir, okay, ich möchte mehr lesen. Aber dann musst du bezahlen oder hast vielleicht keinen Zugang auf den Artikel. Was nicht unverständlich ist, die Verlage müssen ja ihr Geld kriegen...

AF: … aber es ist umständlich, wenn du deine Kartendaten eingeben musst. Dann ist es besser, du hast ein Abonnement und liest damit weiter, statt einen Artikel auf Insta zu sehen und von dort aus für mehr zu bezahlen.

CO: Aber gerade auf Instagram gibt es interessante neue Formate. Die sind auch demokratisch interessant, wenn sie mit Qualität gemacht sind, wie bei der New York Times zum Beispiel. Sie bietet in den kleinen Storys schon die Basisinformation. Willst du mehr wissen, kaufst du den Artikel, aber was in den kleinen Geschichten geboten wird, reicht schon, damit du als Bürger deine Rolle in der Demokratie spielen kannst. Es ist nicht nur geteast, es ist klug geteast, mit Infos. Ich denke, dass die Rolle des Journalismus eine ganz wichtige ist. Wenn die Leute gut informiert werden sollen, kann das auch so gehen.

Ein Gratis-Häppchenjournalismus, der reicht? Da braucht man viele Journalisten nicht mehr.

CO: Ich glaube, doch. Es kann klappen, auf diese Weise Leser für den größeren Journalismus zu interessieren.

Was meinen Sie, Anouk, welcher Journalismus interessiert junge Menschen? Wie groß ist ihre Online-Affinität?

AF: Sie besteht, aber viele haben es satt, ständig aufs Handy zu schauen. Der Bildschirm ist ja ultra-klein. Und man muss bezahlen. Wenn man schon bezahlen muss, ist es besser, man bekommt zum Beispiel einmal die Woche ein wirklich gutes Produkt, statt jeden Tag immer wieder zehn Sekunden lang etwas zu lesen zu beginnen, weil man eine Push-Meldung empfangen hat, aber den Artikel dennoch nicht wirklich zu lesen. Ich meine auch nicht, dass das Papier ganz verloren ist. Es gibt zum Beispiel viele neue Magazine, die von sehr kreativen jungen Leuten gemacht werden. Wenn sie gut sind, finden sie auch ihre Leserschaft und ihren Platz. Ein Problem haben wohl eher traditionelle Zeitungen, die sich keine Mühe gemacht haben, sich neu zu erfinden. Die vielleicht früher ein Fernsehprogramm enthielten, das heute niemand mehr braucht.

SB: Kann ein Artikel durch ein Foto gelesen werden? Ich meine, wir Fotografen wünschen uns ja, dass jemand, der unser Foto gesehen hat, auch den Artikel liest. Zunächst siehst du ja das Foto…

CA: ... das Foto zieht dich an. Foto und Text müssen miteinander funktionieren. Das finde ich bei der Süddeutschen Zeitung auf Instagram interessant: Meist stehen dort nur drei Elemente, ein Foto, ein Titel und ein wenig Text. Sie geben Informationen, aber nicht alles. So locken sie zu ihrer Webseite, um die Zeitung zu kaufen.

AF: Manchmal versteht man in solchen kurzen Teasern aber das Thema nicht wirklich. Du hast die Hintergrundinformationen nicht und verstehst den Teaser falsch. Ich bin mir nicht sicher, ob das reicht als Beitrag von Journalismus zur Demokratie.

CO: Bei der New York Times oder dem Guardian ist es klar. Die Information ist kondensiert, aber sie ist da.

CA: Aber da kommen noch andere Elemente ins Spiel. Die selektive Auswahl durch einen Redakteur und dann noch durch einen Algorithmus. Ich merke das bei der Süddeutschen Zeitung, ich bekomme immer dieselben Themen angeboten. Es ist formatiert.

CO: Ich bin aber fest davon überzeugt, dass Menschen, die sich sonst nicht informieren würden, durch solche Formate informiert werden können.

CA: Aber das ist dann eine einseitige Information, sie wurde für mich schon aufbereitet.

CO: Das stimmt natürlich. Hinzu kommt, was die Bilder angeht, dass ihre Sprache sich geändert hat. Durch Instagram, Facebook, Public Relations: Immer mehr Kommunikations-Agenturen übernehmen Codes, die Fotojournalisten benutzen. Die wiederum übernehmen zum Teil Codes der PR-Leute. Für den Leser ist es schwieriger geworden, einzuschätzen, ob ein Foto von einem Journalisten kommt oder von einer PR-Agentur. Auf Instagram auf jeden Fall, aber auch in den Zeitungen. Da werden immer mehr Stock-Bilder genutzt, weil man kein Geld für Journalisten ausgeben will.

AF: Das fällt den Lesern aber auf und wird oft kritisiert. Es ist nicht so, dass das einfach hingenommen wird. Und es gibt genug Zeitungen, die keine Stock-Fotos nutzen. Entweder weil sie nicht zu den Artikeln passen oder zu perfekt, zu geleckt sind.

Und Künstliche Intelligenz? Vielleicht werden Bilder demnächst von KI generiert oder das ist sogar schon der Fall.

CO: Bis das kommt, sind wir aber Gottseidank noch…

Die anderen: Ooohh…

CO: Wir haben doch aber immer noch unsere Ethik und unsere Deontologie! Wer sowas nutzt, hat in unserem Beruf nichts verloren.

AF: Das muss gar niemand aus unserem Beruf sein. Es gibt KI-Bilder aus Gaza, die so realistisch aussehen, dass man meinen könnte, sie wurden dort aufgenommen.

CO: Das heißt nicht, dass sie publiziert werden.

AF: In den Medien noch nicht, aber in den sozialen Medien überall. Also sind sie da und es macht vielleicht gar keinen großen Unterschied, ob sie in einer Zeitung stehen oder nicht.

CA: Da braucht man eine Medienerziehung…

CO: … und die Redaktionen müssen Verantwortung übernehmen. Die Agenturen tun das schon, lassen Fotos durch Programme laufen, um zu prüfen, ob sie genuin sind. KI ist potenziell gefährlich. Wenn ich bedenke, wie Journalisten während Covid systematisch vorgeworfen wurde, manipuliert zu sein und die Unwahrheit zu schreiben, dann ist es gerade heute wichtig, eine Deontologie, eine Ethik zu haben. Bildjournalisten haben eine wichtige Rolle. Selbst wenn sie nur ein einziges Foto abliefern, ist es eine kontextualisierte Information.

CA: Und dann kommt die Präsentation. Die halte ich für ganz wichtig. Wie stehen die Fotos im Layout? Wie verhalten sie sich zum Text? Denn das Bild sieht man als erstes.

CO: Online ist es ähnlich. Viele Bildreporter im Einsatz zu haben, heißt auch, zu überprüfen, was sie liefern. Das kostet Zeit und spricht gegen den Trend zum Sensationalismus. Ich glaube auch, dass Redaktionen einen Fehler machen, wenn sie annehmen, die Leute würden den ganzen Tag am Handy sitzen und warten, dass etwas geschieht. Redaktionen meinen das und Journalisten meinen das, weil sie drin sind in dem Informations-Kontinuum. Ich glaube aber nicht, dass die Leute alle zehn Minuten eine Push-Nachricht erwarten.

SB: Aber vielleicht doch. Zumindest jemand, der so süchtig ist, schaut auf sein Handy, dreht sich um und ruft: Habt ihr davon schon gehört? – Er will der Erste sein, der davon erfahren hat.

CO: Trotzdem, wir sind keine sozialen Medien.

Dann ist Multimedia-Journalismus kein Low-Cost-Journalismus. Er braucht Koordination, er braucht Einordnung. Er kann nicht billig sein, wenn er unseren ethischen Ansprüchen genügen soll.

SB: Vielleicht wird es einerseits die schnelle Variante geben und andererseits die, die nicht so oft erscheint, sondern vielleicht einmal im Monat oder einmal pro Quartal. Es gibt im Ausland tolle Beispiele dafür. Die setzen sich mit einem großen Thema auseinander, sie machen das fantastisch, mit einem Riesenaufwand. Mit ein paar Leuten, die fest daran arbeiten, und vielen Freelance-Journalisten.

CO: Das ist heute das einzige Modell, das sich mit Abonnenten tragen kann, ohne Online-Anzeigen. Wenn du Abonnenten haben willst, musst du Qualitätsjournalismus bieten. Der Mehrwert besteht dann darin, etwas ganz anderes zu machen als die Plattformen, auf denen du alles gratis bekommst.

SB: Aber dann kann sich Qualitätsinformationen nicht jeder leisten. Also: Wie kriegst du das hin? Zumal in einem Land wie Luxemburg, wo es wenig kritische Masse gibt?

CO: Vielleicht müsste man die Pressehilfe ändern. Wenn Journalismus wichtig ist für die Demokratie, könnte man ihn für jeden frei zugänglich machen. Wohlgemerkt: Qualitätsjournalismus. Ich weiß nicht, wie genau das ökonomisch aufgehen kann, aber wenn nur eine Minderheit sich Abonnements leisten kann, müsste man schauen, wie man Journalismus anders unterstützen kann als im Moment.

Eine so stark subventionierte Presse wäre sehr abhängig vom Wohlwollen der jeweils Regierenden und ihrer Auffassung von Qualitätsjournalismus.

CA: Je nachdem, wer dann an der Spitze ist…

AF: Vielleicht hätten viele Leute dann noch weniger Vertrauen in die Presse…

CO: Ich weiß auch nicht. Aber die Frage, wie man die Demokratie mit Qualitätsjournalismus unterstützen kann, ist wichtig. Der Online-Journalismus wird sie noch wichtiger machen.

Peter Feist
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