Trauer als Lösung

d'Lëtzebuerger Land vom 03.10.2025

Mein Vater verspricht mir in einer Textnachricht, dass er mir luxemburgischen Kochkäse von seiner Reise im Weltraum mitbringen wird. So sehr ich diesen Käse auch mag, will ich vor allem eins von ihm wissen: „Wann kommst du denn endlich zurück zu uns?“ Die Verbindung zwischen unseren Geräten wird immer wieder unterbrochen. Es kommt keine Antwort mehr.

Natürlich befindet sich mein Vater nicht in einem Raumschiff auf einer intergalaktischen Reise. Er starb im Januar 2023 an den Folgen von Bauchspeicheldrüsenkrebs. Seitdem setzt sich mein Gehirn nächtlich oft mit dieser Tatsache auseinander. Träume, die so skurril sind, dass sie mich manchmal morgens zum Lachen bringen, erlebe ich regelmäßig. Mehr als zwei Jahre nach dem Tod meines Vaters fühlt sich die Trauer immer noch an wie eine Achterbahnfahrt im Nebel – unvorhersehbar, mit etlichen Höhen und Tiefen, jedoch weniger intensiv als zuvor. Dieser Prozess hat mich neugierig gemacht. Wie gehen andere mit Tod und Trauer um? Und welche Erfahrungen machen KrankenpflegerInnen und BetreuerInnen, die sich mit der Trauer anderer beschäftigen?

Caroline Schmit ist oft eine der ersten Personen, die trauernden Menschen entgegenkommt. Denn sie arbeitet seit rund 17 Jahren in der Palliativversorgung. Anfang des Jahres sprach sie im hellen Gemeinschaftsraum der Palliativstation im Centre hospitalier de Luxembourg vor einer Tasse Kaffee über ihre Arbeit.

Hier wird Menschen nach dem Tod einer geliebten Person erst einmal Zeit gelassen. „Auf unserer Station können Patienten 24 Stunden im Zimmer bleiben, so dass sich die Familie dort von der verstorbenen Person verabschieden können,“ so Caroline Schmit. Dieses Zimmer kennen verschiedene Familien bereits länger, und das biete ein wärmeres Umfeld als eine Leichenhalle.

Krankheitssymptome werden durch palliative Pflege so gut gelindert wie möglich, doch auch für das allgemeine Wohlbefinden der PatientInnen und deren Angehörigen wird gesorgt. „Es ist eine Station, wo viel Leben herrscht,“ sagt sie. „Wir organisieren regelmäßig einen Brunch, wir hatten im Herbst ein Oktoberfest, wo Familien kommen konnten und wo die Küche für uns Spezialitäten angefertigt hat. Für Nationalfeiertag gab es für alle Luxringer,“ so die Krankenpflegerin. Einmal organisierte man für eine Patientin, die gerne Bridge spielte, ein Turnier mit ihren Freundinnen. „Das war ein super Nachmittag,“ erinnert sich Caroline Schmit.

Tabus rund um den Tod, rund um die palliative Pflege gibt es jedoch immer noch.

„‘Habt ihr auch Fenster?‘ Das ist eine Frage, die man uns immer wieder stellt,“ sagt Caroline Schmit. Menschen stellten sich oft einen „dunklen, leeren Korridor“ vor. Dass das Gegenteil der Fall ist, darauf deuten Bücher, Spielzeug, Malfarben und das Piano im Gemeinschaftsraum des CHL. Ärzte, Krankenpfleger und Patienten können das Instrument benutzen, wann immer ihnen danach ist. Eine Ärztin der Station setze sich manchmal hin, wenn sie Zeit hat, und spiele ein paar Stücke.

Auch können Patienten auf die Dienste von Benji, einem Labradoodle, zurückgreifen, der einmal die Woche als Therapiehund die Station besucht. Caroline Schmit erzählt, dass man mit Benji im Korridor manchmal Spiele mit Leckerlies veranstaltet. Der Besuch von Haustieren ist ebenfalls erlaubt.

Palliativversorgung wird von vielen als Endstation gesehen, wo Menschen in ihren letzten Tagen oder Stunden gepflegt werden. Doch es gehe um viel mehr als das, sagt Caroline Schmit. Man sorge vor allem um das Wohlbefinden der Patienten, was einen großen Einfluss auf die Behandlung haben kann. Denn wenn Symptome wie Schmerz und Übelkeit gelindert werden und sich Patienten wohler fühlen, können sie öfters Behandlungen länger aushalten. „Sie haben dann eine bessere Lebensqualität und auch den Wunsch, länger zu leben“, sagt sie.

Die Krankenpflegerin hat unzählige Weiterbildungskurse hinter sich und hat über die Jahre gelernt, Abstand zu gewinnen. Trotzdem erinnert sie sich noch gut an ihre Anfänge. „Ich kann Ihnen heute noch den Namen der ersten Person nennen, die ich begleitete, wie sie aussah und über was wir in ihren letzten Stunden redeten,“ so Caroline Schmit. Wenn ein Patient stirbt, ist auch ihr der Abschied wichtig. „Da gehe ich immer selbst noch einmal ins Zimmer, um mich zu verabschieden. Doch man kann das allerdings nicht über eine lange Zeit mit sich tragen,“ sagt sie. Das dies nicht immer leicht fällt, kann man sich vorstellen, denn manche Patienten hat sie über Jahre hinweg begleitet.

Der Umgang mit Tod und Trauer mag in Krankenhäusern und Pflegeheimen selbstverständlich sein, doch im Alltag herrscht oft eine ganz andere Realität. Denn Außenstehende sind oft unbeholfen und ratlos im Umgang mit Menschen, die trauern.

So ging es auch Simone Thill, die Leiterin von Trauerwee, einer Vereinigung, die Familien und vor allem trauernde Kinder und Jugendliche betreut. Nachdem ihr Mann gestorben war, spürte sie das Unbehagen einiger ihrer Mitmenschen. „Als meine Kinder über ihren Vater redeten, sind Menschen erstarrt und wussten nicht was sie sagen sollten,“ erinnert sie sich. „Ich dachte, es kann doch nicht sein, dass meine Kinder erwachsener sein müssen, als die Menschen um sie herum,“ so Simone Thill, die versichert, damals trotzdem sehr gut unterstützt worden zu sein. „Man merkte halt, wie sehr die Leute überfordert waren,“ sagt sie.

Auch Diane Dhur, Präsidentin von Omega 90, der Vereinigung zur Förderung der Palliativversorgung und der Trauerbegleitung, stellt immer wieder fest, dass Leute trauernde Mitmenschen aus dem Weg gehen, weil sie nicht wissen, wie sie sich ihnen gegenüber verhalten sollen. „Wir hören manchmal von Leuten, die in Trauer sind und den Eindruck haben, Menschen vermeiden sie. Das tut dann doppelt weh,“ sagt sie. Zuhören sei sehr wichtig, auch konkrete Unterstützung kann sehr hilfreich sein, wie zum Beispiel für die Person einen Einkauf erledigen, so Diane Dhur.

Sie glaubt, dass die Corona-Pandemie Menschen wieder ein wenig verängstigt hat. In den zwei Jahren nach der Pandemie hätten weniger Menschen an Sensibilisierung-Events und Konferenzen der Vereinigung teilgenommen. Die Nachfrage für die Dienste von Omega 90 steigt jedoch kontinuierlich: Letztes Jahr unterstützte die Vereinigung 1 239 Menschen, ein Anstieg von 5Prozent gegenüber dem Vorjahr (2022 waren es 1 097 Menschen).

Trauer ist ein individueller Prozess. „Man kann nicht falsch trauern, außer man hat keine Möglichkeit, es zu tun,“ sagt sie. Dies sei vor allem bei Kindern wichtig, denen man auf Augenhöhe begegnen soll. „Wörter wie ‘sterben’ und ‘Tod’ müssen benutzt werden,“ sagt sie. Den Tod als ‚Einschlafen‘ zu beschönigen, kann für Kinder problematisch werden, da sie sich dann möglicherweise vor dem Schlaf fürchten. Auch soll man den Kindern seine eigene Trauer klar beschreiben. „Man kann einem Kind sagen, ‘heute geht es mir nicht so gut, ich vermisse die Person sehr und muss viel weinen. Doch morgen wird‘s wieder besser gehen, dann machen wir etwas zusammen’,“ so Simone Thill. Dies gäbe dem Kind in einer sehr ungewissen Zeit etwas Sicherheit zurück.

Gefühle ehrlich beschreiben und geschehen lassen – ein Ratschlag für den Umgang mit Kindern, der eigentlich auch Erwachsenen zugute kommt. Denn auf diese emotionale Achterbahnfahrt sind die Wenigsten vorbereitet. „Trauer hat sehr viele Momente, sie ist nicht linear,“ so Diane Dhur. Auch fühlt sie sich nicht immer wie Traurigkeit an. „Man kann Zeiten haben, wo man mit Liebe an die Person denkt, aber auch Zeiten, wo man unglücklich und sogar wütend ist, dass diese Person von uns gegangen ist.“

Wichtig ist es jedenfalls, Trauer nicht zu verdrängen. „Denn dann kann es einen in einem Moment erwischen, wo man es am Wenigsten gebrauchen kann, und dann ist es umso heftiger,“ sagt sie. Sie selbst verlor letztes Jahr ihren Vater. „Ich trauere manchmal bewusst, weil ich mich dann mehr mit ihm verbunden fühle,“ sagt sie. “Und obwohl ich dann trauere, ist das trotzdem schön.“ Trauern kann also mit Freude verbunden sein, und das bewusste Gedenken an den verlorenen Menschen kann den Schmerz der Hinterbliebenen lindern. Simone Thill benutzt zum Beispiel das Wort Trauerverarbeitung nicht, denn Trauer sei kein Problem, das es zu lösen gilt. „Trauer ist eigentlich die Lösung.“

Ressourcen finden Trauernde und deren Angehörige auf

Claire Barthelemy
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