Binge Watching

Müder Agent

d'Lëtzebuerger Land vom 27.05.2022

James Bond – der Name steht für Eleganz. In ihm kumuliert all das, was den Spion faszinierend und aufregend macht: Die freie Ausübung all seiner Macht, er entscheidet über Leben und Tod, die Frauen liegen ihm zu Füßen; ein Genussmensch, der auf seinen Missionen exotische Schauplätze bereist und seinen Wodka Martini dabei gerne geschüttelt, nicht gerührt trinkt. Mit den faszinierenden und aufregenden Welten, die James Bond-Filme abbilden, hat die neue Spionagethriller-Serie Slow Horses unter der Regie von James Hawes kaum etwas gemein: Im Zentrum von Slow Horses steht Jackson Lamb – allein der Name hat bis in seine Klangfarbe hinein sämtlichen Glanz verloren. Lamb (Gary Oldman) ist der Leiter des Slough House, ein ganz versumpftes Haus, das zum britischen Inlandsgeheimdienst MI5 gehört und Spione aufnimmt, die aus unterschiedlichsten Gründen ausgemustert und zu Schreibtischarbeiten verdonnert wurden. Sie sind jene „Slow Horses“, die der Serie den Titel geben, verzweifelte Agenten, die ihre Zeit totschlagen und auf den großen Einsatz hoffen.

Dieser scheint sich plötzlich anzubieten, als sich Verbindungen zwischen hohen Regierungskreisen und rechten Gruppierungen immer deutlicher abzeichnen und kein gutes Licht auf MI5-Chefin Diana Taverner (Kristin Scott Thomas) werfen. Nun ist die Chance für die Abgehalfterten rund um Lamb gekommen, etwa den hitzköpfigen River Cartwright (Jack Lowden) oder die unscheinbare Sid Barker (Olivia Cooke), ihre wahren Fähigkeiten unter Beweis zu stellen und das Netz aus Intrigen und Täuschungen zu entwirren.

Slow Horses, nach der Buchvorlage von Mick Herron, Morwenna Banks und Will Smith, lebt mehr von seinem Schauspieleraufgebot als von der Konstruktion des Plots, der nach sehr konventionellen Mustern bearbeitet ist. Gary Oldman gibt diesen Jackson Lamb mit einer herrischen Autorität, Herablassung, aber auch einem Hauch Fürsorge: Es sind Idioten, die er da beaufsichtigt, aber es seien immerhin seine Idioten, meint er. In seinem Jackson Lamb zeigt sich, was aus Smiley (ebenfalls Gary Oldman) aus der John LeCarré Verfilmung Tinker Tailor Soldier Spy (2011) geworden sein muss, nachdem er – noch zu Zeiten des Kalten Krieges – die eigene Organisation enttarnt hatte. In Tinker Tailor Soldier Spy hatte der Spionagefilm vielleicht so etwas wie die Apotheose eines neuen Typs gefunden: den heroischen Verlierer. Am Ende blieb Smiley da nur die Erkenntnis, dass die Autoritäten der eigenen Geheimdienstorganisation nur sich selbst verpflichtet sind; die Täuschung lag im menschlichen Verhalten selbst, was blieb, war ein enttäuschter, ganz desillusionierter und vereinsamter Agent, der, poetisch überhöht ins Bild gesetzt, nur noch Müdigkeit und Desillusion ausstrahlte.

Dort setzt Slow Horses gewissermaßen an und führt mit Jackson Lamb diesen Typus fort, unterfüttert ihn indes mit gehörig viel Zynismus. Lamb ist bereits in seinem äußeren Erscheinungsbild ein Wrack, die Zeichen seiner Verwahrlosung stellt er offen aus: ungewaschen, unfrisiert, heruntergekommene Kleidung. Was bei James Bond in eins fallen musste, die erfolgreiche Mission und die perfekte äußere Oberfläche, das klafft bei Jackson Lamb auseinander: Sein Äußeres scheint er so zu vernachlässigen, wie er auf seinen Alkoholkonsum achtet. Spionage heißt bei Lamb Büroakten bearbeiten und darauf achten, dass keiner seiner „Slow Horses“ großen Schaden anrichtet. Als das Geregelte dann aus den Fugen gerät und das Aufregende in den Alltag bricht, bleibt dieser Jackson Lamb sichtlich unbeeindruckt, im Gegensatz zu der Euphorie seiner Kolleginnen und Kollegen. Da wartet ein Fall, der große Kreise zieht, doch eigentlich hat Lamb einfach keine Lust mehr. Der Kalte Krieg liegt weit in der Vergangenheit, doch das Agentenspiel ist irgendwo doch immer noch das gleiche: Da wird nach Moskauer Regeln und nach britischen Regeln gespielt, es ist freilich ein „Strange Game“, wie Mick Jagger uns im Abspann lauthals kundtut.

Marc Trappendreher
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