Die kleine Zeitzeugin

Ein nicht willkommener Gast

d'Lëtzebuerger Land vom 02.10.2020

Schon früh im Frühling beschwor der französische Präsident den Krieg. Schwor das Volk damit schon mal ein auf Zeiten, die kein Zuckerschlecken sein würden. Auf Abwehr, Belagerung, Besatzung. Held/innen wurden an die Front geschickt, das Auge der Nation war auf sie gerichtet, auf die Hochgerüsteten und doch jämmerlich mangelhaft Ausgerüsteten. Für diesen Kampf, in dem viele der Kämpfer/innen ihr Leben verloren. Während Alltagsheld/innen dabei halfen, das Leben in den besetzten Gebieten einigermaßen aufrecht zu erhalten.

Abwehrkraft gegen den Invasor mobilisieren, Kampf dem Erreger!, war das Motto weltweit. In den USA wurde Generalmobilmachung ausgerufen, der oberste US-Gesundheitsbeamte sah gar ein Pearl-Harbor-Moment dräuen. Im Sommer war halt Sommer, da wird alles etwas lax, selbst der Feind machte Fronturlaub, so schien es. Aber schon während wir Eis schleckten und die Glücklicheren unter uns sich die Zehen vom Meer abschlecken ließen, wurde dunkel geunkt. Eine Invasion von Infizierten bewege sich nordwestwärts, Grenzkontrollen gingen in Stellung, der Osten und der Süden, traditionell suspekte Gebiete, standen unter Hochverdacht. Der Norden und der Westen rüsteten sich und entrüsteten sich.

Deutschland fühlt sich zunehmend bedroht. Das ZDF meldete vor wenigen Tagen in den Abendnachrichten, Deutschland sei von Risikogebieten umzingelt, früher nannte man das Europa. Die deutsche Kanzlerin, weder für Panik noch Pathos bekannt, malt Ende September einen Haufen Schreckgespenster an die Wand, 19 000 Infizierte auf einen Streich. Und das täglich. Während der Zuchtmeister der Bajuwar/innen, ländlich geprägt, wie er ist, die Zügel anziehen will, die Menschen werden ja zunehmend zügellos. Das erscheint vielen in den vielen deutschen Ländern, puh, gibt wirklich viele davon, superattraktiv. Manche Länderbosse reden ja immer nur so unsexy von Eigenverantwortung und Mündigkeit und Händewaschen.

Schulter an Schulter den Kampf gegen das Virus führen!, diese Losung gibt der österreichische Innenminister aus. Kämpfen wie ein Mann! Bloß nicht herumweicheiern!

Ansonsten werden Durchhalteparolen durchgegeben. Wenn ihr nicht wieder eingelocht und down und out gelockt werden wollt, müsst ihr euch am Riemen reißen! Dann kann auch wieder gelockert werden. Die Strateg/innen tüfteln, die Politiker/innen zücken die Peitsche, aber Zuckerbrot gibt es natürlich auch. Leider keinen Glühwein. Weihnachtsmärkte nur mit Weihnachten. Fußball nur mit Fußball. Es wird alles so wesentlich. Familie nur mit Familie.

Virenbomben in Armenvierteln!, schreit es in Madrid auf. Rund um uns explodieren die Zahlen!, schwärmt der Boss der Bajuwar/innen.

Zwei Forscherinnen an der Universität Lancaster haben herausgefunden, dass Kriegsrhetorik nichts bringt, sie wirkt gar nicht, höchstens abschreckend. Sie mahnen zu friedlichen Formulierungen. Die Europäer/innen wollen nicht in den Krieg, Kampf und Krieg turnen sie überhaupt nicht an.

Wo die Menschheit sowieso schon einen geknickten Eindruck macht, eine Herde Geknickter, die sich, beschallt von Abstandsregeln und Maskenmahnungen, durch die öffentlichen Verkehrsmittel schieben lässt. Sie ist noch immer nicht immun, diese Herde, das hört sie andauernd. Sie muss ausdauern, hört sie. Sich nicht im Fitness Studio auspowern. Dann eben Dampf ablassen in den sozialen Medien. Die hiesigen Couch Potatoes ziehen es vor, beklommen auf Todes-Rankings zu starren und sich, seufz!, eine Pizza zu bestellen.

Dann eben sich totstellen. Dann sich unter der Decke verkriechen, bis die Decke auf den Kopf fällt. Kampfeslust zeigen höchstens Corona-Ketzer/innen und -Kamikazes.

Die Forscher/innen reden schon lange von Marathon, klingt immerhin sportlich. Die Italiener/innen verwenden gern Fußballvokabular. Die dänische Königin formuliert elegant. Sie nennt Corona einen nicht willkommenen Gast. In Deutschland bekommt der berühmte Herr Drosten einen Kommunikationspreis.

Auch in Luxemburg klingt es nicht ganz so kriegerisch. Virologe Muller steht maskiert im Wind und empfiehlt, Omis in Hotels zu schicken.

Michèle Thoma
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