Die Arbeit von Tageseltern soll finanziell aufgewertet werden. Ob der Beruf dadurch für junge Menschen attraktiver wird, bleibt fraglich

Kein Kinderspiel

Derzeit werden 2 133 Kinder von Tageseltern in einem familiären Setting betreut
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 07.04.2023

Vor Marie-Laure Fischers Wohnung hängt ein Osterhase, in der Küche wird Mittagessen zubereitet. Die gebürtige Französin arbeitet seit dreizehn Jahren als Tagesmutter und darf in ihrer Wohnung in Bettemburg fünf Kinder betreuen. Derzeit sind Renato, Rafael, Robert, Julia und Mélanie von Montag bis Freitag außerhalb der Schulzeiten in „Tatas“ Obhut. Auf Mélanie passt sie auf, seitdem sie ein halbes Jahr alt ist. „Sie gehört zur Familie“, sagt sie. Ihre beiden eigenen Söhne sind mittlerweile fast erwachsen.

Sie freut sich, denn ihre Arbeit soll wie die von allen Tageseltern finanziell aufgewertet werden; der geplante Gesetzentwurf wurde vor zwei Wochen vom Regierungsrat angenommen. Durch die Reform steigt die maximale staatliche Förderung im Rahmen der Chèque Services Accueil (CSA) dann von 3,75 Euro pro Stunde pro Kind auf 5,40 Euro, hinzu kommt ein einmaliger Zuschuss von 3 000 Euro für Material. Die Tageseltern können mehr für ihre Dienste verlangen, um über die Runden zu kommen – zu Lasten der Eltern. Auch Marie-Laure Fischer tut dies – sie stellt zwischen 6,50 und 7 Euro in Rechnung, je nach sozialer Familiensituation. Über einen Mangel an Andrang von interessierten Familien kann sie sich in ihrer Nachbarschaft dennoch nicht beklagen, zwei Familien hätten sich bereits erkundigt, wann ein Platz frei werde.

„Wären Sie vor ein paar Monaten gekommen, hätte ich Ihnen etwas anderes erzählt“, stellt Marie-Laure Fischer klar. Wie eine Reihe anderer Tageseltern war sie in den letzten Jahren oft frustriert über die mangelnde finanzielle Wertschätzung für ihren Beruf, bei zeitgleich steigenden Verpflichtungen. Seit ein paar Jahren ist die Zahl derer, die als Tageseltern arbeiten, stetig gesunken. Lag sie 2016 noch bei 700, gibt es derzeit landesweit knapp 400 Tageseltern, davon exakt zwei Tagesväter. Sie müssen grundsätzlich eine 130-stundige Grundausbildung absolvieren; außer, sie verfügen über eine Ausbildung im pädagogischen oder erzieherischen Bereich. Zeitgleich dürfen sie maximal fünf Kinder betreuen, zweimal im Jahr kommen sogenannte Regionalagenten des SNJ (Service national de la jeunesse) um sich der Qualität zu versichern. Mindestens 20 Stunden Fortbildung im Jahr müssen geleistet, Tätigkeitsberichte geschrieben und ein pädagogisches Konzept vorgelegt werden. Der neuen Reform nach müssten sie eine der Landessprachen auf B2-Niveau beherrschen und eine Mindestausbildung einer Troisième oder Onzième vorweisen können. Die Sprachanforderungen werden dadurch hochgeschraubt – bisher mussten zwei Landessprachen gesprochen und verstanden werden, auf niedrigerem Niveau. Alle, die diese Anforderungen nicht erfüllen, haben drei Jahre Zeit, sich anzupassen. Der Großteil der Tagesmütter bietet seine Dienste in den Südgemeinden an.

Ob diese Aufwertung das Nachwuchsproblem lösen wird, ist fraglich. „Als ich angefangen habe, waren wir eine Truppe von etwa 15 – jetzt gibt es für diese Schule noch vier Kolleginnen“, erzählt Marie-Laure Fischer. Sie macht das unter anderem an den höheren bürokratischen Hürden fest. Sicherlich hat es auch damit zu tun, dass der Beruf gesellschaftlich wenig Wertschätzung genießt, ebenfalls mit der Wohnungskrise und den steigenden Mietkosten. Caroline Ruppert, Direktionsbeauftragte der Arcus asbl., führt es auf höhere Anforderungen und die Covidpandemie zurück. In der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage hatte Bildungsminister Claude Meisch (DP) vergangenes Jahr eingeräumt, der Bildungsauftrag, den die Tageseltern seit 2017 haben und der die Qualität der Betreuung erhöhen soll, habe wahrscheinlich manche dazu bewegt, aufzuhören.

Laut Bildungsministerium werden hier im Land 2 133 Kinder von Tageseltern betreut (Stand Dezember 2022), eine verschwindend geringe Zahl im Vergleich zu den 58 288 (Stand Januar 2023) die landesweit in Crèche, Mini-Crèche und Maison Relais eingeschrieben sind. Im Nachbarland Frankreich sind die assistantes maternelles gesellschaftlich sichtbarer. Der Prozentsatz der Kinder, die dort von einer nounou oder gardienne betreut werden, liegt mit etwa 20 Prozent deutlich höher. Auch in Deutschland ist es gängiger, Kinder einer Tagesmutter anzuvertrauen. In beiden Ländern sinkt die Anzahl an Tagesmüttern, das gleiche Nachwuchsproblem ist absehbar.

An den politischen Reaktionen auf die Maßnahme, den Tarif der Tageseltern zu erhöhen, zeigt sich die Angleichung der Parteien eindrücklich. Die Anpassung wird von allen Parteien außer den Linken begrüßt. Die Abgeordnete Djuna Bernard (Déi Gréng) entgegnet, die Erhöhung sei „bitter nötig“ gewesen. Wichtig sei nun, den Balanceakt hinzukriegen, vor allem was die sprachliche Dimension angeht – Tagesmütter aufgrund von Sprachkenntnissen nicht zu sehr auszuschließen, und gleichzeitig die frühe Sprachförderung bei den Kindern zu sichern. Sie erkennt in der Aufwertung auch eine Art Gegenbewegung gegen die oft großen und lärmpegelintensiven Maison Relais. Francine Closener, Parteipräsidentin der LSAP, findet es richtig, dass „eingegriffen wurde“, um den Rückgang an Tagesmüttern zu stoppen und die Vielfalt an Betreuungsmöglichkeiten zu erhalten.

Die Piraten schreiben in einer Stellungnahme, die Qualität müsse in allen Betreuungsformen öfter und strenger kontrolliert werden, und fordern erneut ein Elterngeld für all jene, die ihre Kinder zuhause selbst betreuen, „um eine Teilzeittätigkeit für mehr Eltern zu ermöglichen“. Die ADR findet die Aufwertung „ok“, wünscht sich auch, dass ein Elterngeld eingeführt wird, und dass die sprachlichen Anforderungen steigen. Tageseltern sollen „idealerweise“ Luxemburgisch und zwei der drei „administrativen Sprachen“ sprechen. Auch soll der Betreuungschlüssel verbessert werden, nicht mehr als zwei Kinder pro Erzieher/in bei unter Zweijährigen, nicht mehr als drei wenn sie zwischen drei und vier Jahre alt sind. Auch Martine Hansen, Ko-Fraktionspräsidentin der CSV, pocht auf eine „Evaluierung der Qualität“ in allen Strukturen. Déi Lénk zeigen sich vom Kurswechsel besorgt und sehen darin „eine konservativere Herangehensweise, da Kinder mehr zuhause betreut werden sollen“. Es sei schade, dass Eltern, die keinen Platz in einer Crèche oder Maison Relais finden, auf eine Dienstleistung zurückgreifen, „die sehr oft von Frauen in prekären finanziellen Situationen ausgeführt wird“. Insgesamt sei es wichtig, dass Kinderbetreuung in öffentlicher Hand liege. Auch wenn Tageseltern nun höhere Sprachkriterien haben müssen, seien sie dennoch weit entfernt von den Anforderungen einer ausgebildeten Erzieherin.

Mittagspause bei Marie-Laure Fischer, Zeit, die Kinder von der Schule abzuholen. Nach einer kurzen Runde auf dem Spielplatz geht es nach Hause, wo Rafael den Tisch deckt und die eingerollten Servietten hinlegt. Die Routine könnte eingespielter nicht sein. Marie-Laure Fischers Mann bringt Salat, geräuchertes Fleisch und Kartoffelpüree ins Wohnzimmer. „Vor dem Krieg, vor Covid und der Inflation war alles einfacher. Jetzt bewege ich mich im Supermarkt direkt auf die Angebote zu“, sagt er. Er bereitet die Mahlzeiten zu und geht einkaufen, unter der Woche kocht er jeden Mittag für sieben. Die Mittagessen werden in Höhe von 4,50 Euro pro Tag pro Kind vom Staat mitgetragen – das sei auch mal knapp, da man nicht wie andere Einrichtungen im Großhandel einkaufe. Die Kinder sind ruhig, fragen höflich, ob sie sich noch Salat nehmen dürfen. Die Autorität von „Tata“ wird nicht in Frage gestellt. Am Tisch geht es um die nächsten Ferien, dann um das nächstbeliebte Thema, Bildschirmzeit. Renato, fast elf, weiß darüber Bescheid, welches Nintendo und andere Spiele es in der Maison relais gibt, wo seine Freunde die Mittagspause und die Zeit nach der Schule verbringen. Derzeit sei das Nintendo kaputt. Bildschirmzeit gibt es bei „Tata“ nicht: „Das haben die schon genug zuhause“. „Manchmal sind unsere Eltern froh, wenn wir am Tablet sind, dann machen wir weniger Lärm“, sagt Rafael verschmitzt.

Auch Béatrice Nemesien arbeitet als Tagesmutter. Seit zwanzig Jahren empfängt die Mutter von drei erwachsenen Söhnen Kinder ab dem Babyalter. In ihrer Küche in Bonneweg sitzen Emil und Louis, zweieinhalb und drei, am Küchentisch und kleben Autosticker auf ein Blatt Papier. Die 18 Monate alte Iri steht auf dem Boden und zieht farbige Stiele aus einer Dose.

Waren die Tagesmütter vor zwanzig Jahren, als Béatrice Nemesien anfing, noch preisgünstiger als eine Crèche und somit oftmals eine Anlaufstelle für sozial schwächere Familien, hat sich der Spieß seit der Einführung der Chèques Service Accueil (CSA) und der gratis Betreuung umgedreht. Béatrice Nemesien sagt, „natürlich“ seien die Eltern, deren Kinder sie derzeit betreut, finanziell gut situiert, da sie mehr für Kinderbetreuung draufzahlen. Derzeit sind es Akademiker, Anwälte, Staatsbeamte, leitende Krankenschwestern. Durch die tarifliche Anpassung kommen die Tageseltern nun wieder für weniger gut situierte Familien in Frage, vorausgesetzt, die Tagesmütter rechnen über das CSA-System ab. „Wir erleben gerade eine Professionalisierung der Tagesmütter. Der Anteil der Kinder, die sie betreuen, ist zwar klein, jedoch sehr wichtig – vor allem für Eltern, die auf eine zeitlich flexible Betreuung angewiesen sind“, sagt Caroline Ruppert.

Die Aufwertung kommt inmitten einer emotional aufgeladenen Diskussion über die Zeit, die Kinder in Betreuungstrukturen verbringen, und über das Outsourcing an Care-Arbeit. Sieht Béatrice Nemesien eine gewisse Absurdität in diesem Kreislauf, in dem gut bezahlte Frauen ihre Kinder in die Obhut weniger gut bezahlter Frauen geben? „Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als das, was ich von den Kindern jeden Tag zurückbekomme“, antwortet sie, und es klingt glaubhaft. Etwas Kantiges sucht man in ihrem Wesen vergeblich, sie scheint mit Leib und Seele Tagesmutter zu sein. „Fürs Geld mache ich diesen Job nicht“, sagt sie. Sondern aus Leidenschaft. Am Ende des Monats haben Marie-Laure Fischer und Béatrice Nemesien in etwa den Mindestlohn auf dem Konto. Um Familie und Beruf zu vereinbaren, haben beide nach Tätigkeiten im Gastronomiebereich angefangen, als Tagesmütter zu arbeiten, als sie selber Kinder bekamen – der Vereinbarkeit wegen. So konnten sie ihre eigenen Kinder zuhause betreuen, und gleichzeitig arbeiten, erzählen sie. Beide sind mittlerweile im Leben etabliert und vielleicht weniger auf das Einkommen angewiesen als Berufsanfänger/innen. Werden die Tagesmütter krank, versuchen sie, die Kinder bei Kolleginnen unterzubringen. Als Gründe, weshalb sich die Eltern für diese Betreuungsform entscheiden, geben Marie-Laure Fischer und Béatrice Nemesien den kleineren Rahmen und die familiäre Atmosphäre an. Viele ihrer Kund/innen seien der Meinung, die kleinen Gruppen seien förderlich für ihre Kinder, sie „wollen aus den Strukturen raus“ und „mehr Komfort“.

Marie-Laure Fischer kennt die Kinder in ihrer Obhut gut, sie wirken beim Besuch wie ein eingespieltes Team. Auch bei Béatrice Nemesien spürt man großes Vertrauen zwischen ihr und den Sprösslingen. „Ich habe nie einen Unterschied zwischen meinen eigenen und den Tageskindern gemacht“, sagt sie. Mit manchen im Teenageralter habe sie heute noch Kontakt. Emil, Louis und Iri sind im großem Spielzimmer mit Murmeln beschäftigt. Beobachtet man sie in der Interaktion mit den Kindern, drängt sich die Frage auf, ob es für sie auch ein Weg ist, die frühen, vergänglichen Jahre der Kindheit zu verlängern? Sie lächelt, wendet sich ab und den spielenden Kindern zu.

Sarah Pepin
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