Binge watching

Cowboy und Indianer

d'Lëtzebuerger Land vom 02.10.2020

Der Western ist fast so alt wie der Film selbst und egal wie oft seine Grabrede schon gehalten wurde, verschwunden ist der Western nie. In Abgrenzung zum Spät- oder Postwestern steht der Neowestern für eine zeitgenössische Aneignung des Stoffes, der alte, tradierte Muster übernimmt, zitiert und in einen gegenwärtigen Kontext platziert. Spätestens seit No Country For Old Men (Joel und Ethan Coen, 2007) hat sich der Begriff des Neowesterns durchgesetzt, aber es ist der Drehbuchautor und Regisseur Taylor Sheridan, der ihn tatsächlich inhaltlich definierte, etwa mit Hell or High Water (2016) oder Wind River (2018). Sheridan konzipiert seit 2018 die Serie Yellowstone für Paramount, die sich augenfällig in diese Linie des modernisierten Westernstoffes einschreibt. Im Zentrum der Erzählung steht der verwitwete Familienvater John Dutton (Kevin Costner), der mit seinen beiden Söhnen Jaime (Wes Bentley) und Caisey (Luke Grimes) und seiner Tochter Beth (Kelly Reilly) für das Überleben seiner Ranch, der Yellowstone, kämpft, denn der Multimillionär Dan Jenkins (Danny Huston) und der Vorsitzende eines Indianerreservats Chief Thomas Rainwater (Gil Birmingham) wollen das Land mit allen Mitteln an sich nehmen.

Die Anfangsszene präsentiert uns diesen John Dutton, ein bis in sein äußeres Signalement hinein, eindeutig als ein zeitgenössischer Cowboy inszenierter Held. Sein Pferd ist nach dem Zusammenstoß des Pferdetransporters mit einem Lastkraftwagen des Millionärs Jenkins tödlich verwundet – die alte Welt und die neue kollidieren, die Konfliktlinien sind schon da. Darin liegen exemplarisch die Wesensmerkmale des Neowestern: Die Ehre und die Tradition, die Profitgier und der Fortschrittswille kommen sich unrettbar in die Quere, davon erzählt jede Folge von Yellowstone. Dass Sheridan, der sich in einigen Cameo-Auftritten selbst als Cowboy inszeniert, in diesem Kampf deutlich Partei für das Anwesen dieser Rancherfamilie und deren Angehörigen ergreift, ist offensichtlich: Der Cowboy wird hier zu einem aus der Zeit gefallenen Hüter des gebändigten amerikanischen Bodens romantisiert. Die cool-raue Country-Rock-Musik hat an diesem verklärerischen Gestus freilich erheblichen Anteil. Es ist denn auch kein Zufall, dass ausgerechnet Kevin Costner dieses strenge Familienoberhaupt gibt, seine Rolle des John Dunbar aus dem unglaublich populären Dances With Wolves (1990) ist einem natürlich im Bewusstsein gegenwärtig. Es scheint als hätten diese passierenden Viehtreiber, die wehmütige Erinnerungen an den von John Wayne verkörperten Thomas Dunson aus Red River (Howard Hawks, 1948) ins Gedächtnis rufen, keinen Platz mehr. Das Traditionsbewusstsein für das Genre des Western ist in Yellowstone durchweg präsent, jedoch zeigt die Serie, was passiert, wenn sich die Frage der Grenzverlagerung nicht mehr stellt, weil es die Grenze nicht mehr gibt. Die Frage der Landnahme rückt in der Folge sozusagen nach innen: Da gibt es den Indianer, als das Gespenst der Vergangenheit, der das Land rückfordert und es gibt den Großkapitalisten, der die Ranch in einen Golfplatz und Wellness-Center umwandeln will. Im Zeichen der globalisierten Welt erheben nun sogar Touristen aus Japan in einer nahezu ironisch-zynischen Szene Anspruch auf das Land. Der Westerner hält sich in alledem mithin nicht mehr an Regeln, sondern schafft seine eigenen und setzt damit eine Spirale der Gewalt frei, die unweigerlich in Bitterkeit und Leid enden muss.

Auf der einen Seite gibt es dieses nostalgische Spiel mit den Bildwelten und Genrestandards des Westernfilms, auf der anderen Seite ist Yellowstone ein Familiendrama. Und auch da steht die Existenzfrage des Westerner ebenso symptomatisch für den mehr als brüchigen Familienfrieden: Weil die einfachen Regeln der Landnahme nicht mehr gegeben sind, zerstört sich die Familie von innen. Man sieht kaputte und komplexbeladene Menschen; ein Familiendrama in dem Väter ihre Söhne nicht lieben und Geschwister um die Gunst des Vaters kämpfen und sich gegenseitig auszumerzen versuchen. Bei aller Lakonik und Wehmut für seine Helden führt Sheridan – wie er dies auch in seinen Filmen tut – aber auch die Verbrechen an der amerikanischen Urbevölkerung mit, von der Kolonisierung durch Columbus bis zur Gründung der Indianerreservate. Der Verdienst dieser erstaunlichen Serie liegt letztlich darin, dass sie im althergebrachten Gewand des Western den Finger auf die vergangenen aber auch auf die sehr gegenwärtigen sozialen Wunden Amerikas zu legen vermag.

Marc Trappendreher
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