Einst Sehnsuchtsort amerikanischer Popkultur, überdauert die Interview-Bar als kultureller Speicher inmitten der Exzesse des Konsums

Ein Ort gegen die Zeit

Diese Woche im Café Interview
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 31.10.2025

Mit der direkten Sonneneinstrahlung war es nach der Fertigstellung des Royal-Hamilius-Komplexes plötzlich vorbei. Auch zieht es seither die Aldringer-Straße hinunter, von neuen Nachbarn wie Starbucks, Decathlon und den Galeries Lafayette einmal ganz abgesehen. Immerhin bot sich mit der Fußgängerzonierung erstmals die Möglichkeit, vor dem Bar américain genannten Interview eine Terrasse einzurichten, auch wenn dies mit einer Mietanpassung einherging. Schwarze und rote Aluminiumstühle mit geometrischer Struktur verblüffen nun dort die Vorbeigehenden.

Als „clin d'œil de notre part“ bezeichnet Inhaber Ioannis Stefanopoulos schelmisch die von Konstantin Grcic vor zwanzig Jahren für das italienische Designerhaus Magis entworfene Chair One-Kollektion. Eine nicht zufällige Anspielung auf die moderne Nordfassade von Sir Norman Fosters gegenüberliegendem Architekturdampfer. So wird die Stammklientel unauffällig ins neue Stadtbild integriert, eine farbliche Brücke zum eigenen Interieur geschlagen und die klobige Dominanz des Nachbargebäudes auf charmante Weise ins Lächerliche gezogen.

Schon früh hat das Interview stilistische Akzente gesetzt, zu einer Zeit, als Luxemburg noch ein biederes Kleinbürgeridyll war, irgendwo zwischen gepflegtem Vorgarten, Bankgeheimnis und Geheimnis des Glaubens. Richtig internationales Flair zog erst mit der Finanzindustrie ein. In den 1980er-Jahren war die amerikanische Popkultur weltweit auf ihrem Höhepunkt: Filme wie Flashdance, Songs von Madonna und Prince sowie Serien wie Miami Vice oder Remington Steele ließen die USA zugleich glamourös und modern erscheinen.

Die sogenannten bars américains versprachen Freiheit, Spaß und einen kosmopolitischen Lifestyle. Genau diese Mischung aus Neonlicht, Cocktails und Nachtclubkultur hatte Charles Munchen im Sinn, als er nach einem New-York-Besuch 1982 das ehemalige, unter dem Spitznamen „An der Sakristei“ bekannte Café de l’Europe mit René Schildgen übernahm. Wo noch wenige Jahre zuvor Pferdesteaks, Gehäcks und Kuddelfleck in gutbürgerlicher Atmosphäre serviert wurden, trafen sich nun zu später Stunde Angestellte aus den umliegenden Banken, Künstler, oder solche, die sich dafürhielten, Unangepasste und andere Nachteulen.

Die rustikalen eichenen Bänke und Wandverkleidungen wurden kurzerhand in modischem Grau gestrichen, der braun-gelbe Cerabati-Boden aus den 1930er-Jahren mit Kunststoff überzogen und darauf Ledersessel und weiße Marmortische verteilt. Knapp unter der Decke zieren heute noch, wie Heiligenikonen, stilisierte Cover von Andy Warhols namensgebendem Interview-Magazin aus den Jahren 1982–1989 die Wände. Von dort blicken Clio Goldsmith, Brooke Shields, Yoko Ono, Schwarzenegger, Cher, Annie Lennox, Sting, Matt Dillon, Richard Gere und Albert de Monaco (einige gleich doppelt) auf die Besucher herab.

Andy Warhol hatte Prominenz, Medienkultur und Werbung zur Kunstform erhoben. Sein 1969 gegründetes Magazin Interview inszenierte amerikanische Popkultur, Mode, Film, Musik und Stars, und machte sie weltweit zugänglich. Das Magazin stand wie kein zweites für amerikanischen Glamour und unterstrich durch seine Ästhetik den kulturellen Führungsanspruch der USA. Selbst die Cover waren Pop-Art-Statements.

In europäischen Cafés (und das galt in besonderem Maße für Luxemburg) wurde sich bis dahin um den ruhigen Konsum von Kaffee, Wein oder Bier in geselliger Runde gekümmert. Die American Bar hingegen machte Drinks und Cocktails wie Long Island, Margarita und Manhattan populär und konzentrierte sich auf das Nachtleben. Sie war exotisch und zugleich vertraut, weil ihr Ambiente aus Serien und Filmen bekannt war. Die starke visuelle Identität, das polierte Holz, die Erfahrung, an einer Bar zu sitzen und in lauter Umgebung einen Cocktail zu bestellen, galten damals als Inbegriff von „sophistication“. Das Nachtleben wurde performativ. Auch im Interview galten in diesen Jahren Dresscode und Cocktail-Etikette.

Der amerikanische Filmemacher Whit Stillman hat mit Filmen wie Metropolitan (1990), Barcelona (1994) und vor allem The Last Days of Disco (1998) Orte wie das Interview als ritualisierte Begegnungsstätten dargestellt. Räume, in denen Status, Dating und Networking von ungelenker Interaktion, aufblitzenden Klassenunterschieden und symbolischen Aushandlungen begleitet werden. Wie die gesamte westliche Konsumkultur waren auch sie von Eskapismus geprägt: Orte, an denen man der täglichen Routine entfliehen konnte. Ein Mini-Hollywood, in dem es weniger um Gemeinschaft als um Inszenierung ging.

Gerade dadurch wurde das Interview auch für die hiesige LGBT-Community attraktiv. Es bot einen der ersten Treffpunkte Luxemburgs, an dem man sich kennenlernen, darstellen und damit Sichtbarkeit in einer damals noch stark wertkonservativen Gesellschaft erlangen konnte.

Als Félix Miny 1988 das Café übernahm, ließ er die Eichenholzverkleidung sandstrahlen. In dieser Zeit kamen auch der Mitteltresen sowie die ikonische Uhr über der Bar hinzu: jene, die seit Jahren stillsteht. „Café-Uhren müssen immer stillstehen“, meint dazu Ioannis. Ein Schreiner namens Jean-Marie Weber zimmerte die Holzkonstruktionen und überzog sie mit Messing, um sie vor äußeren Einflüssen zu schützen und ihnen eine Vintage-Patina zu verleihen. Irgendwann installierte man zwei Industrieventilatoren, um den Zigarettenrauch aufzuwirbeln. Im Obergeschoss richtete Miny, der als Vertragshändler von Illy Luxemburger Geschichte schrieb, zeitweilig eine Paninothek ein, im Keller sogar eine kleine Disco.

Ioannis Stefanopoulos ist seit 1989 mit dabei. Zusammen mit dem Iraner Ramin Safavi leitet der gebürtige Grieche heute das Kult-Café. Nicht mehr als US-amerikanische Fantasie, gemanagt von zwei Menschen, auf deren Herkunftsländer imperiale Macht ausgeübt wurde, sondern als Treffpunkt einer tendenziell linksgerichteten Fußgängerschaft aus Kulturmenschen, schönen Frauen, Schülerscharen und Zeitungslesern. Zwischendurch abgelöst und nach oben hin zusammengehalten von einer ergrauten Stammklientel kritischer Transatlantiker. Die Grenzen sind fließend.

Vor einigen Jahren wurden die weißen Wände in ein kräftiges Türkis gestrichen, was seither einen markanten Retro-Kontrast zum warmen Holz erzeugt. Vor Kurzem wurden die Toiletten renoviert, während einige der roten Sky-Überzüge auf den Barhockern erste Risse zeigen. Seit einigen Jahren wartet zudem ein ausgeschalteter Fernseher auf die nächste Fußball-WM.

2024 sprach sich die Commission pour le patrimoine culturel (COPAC) im Auftrag des Kulturministeriums einstimmig für die Einstufung des Interview samt Gebäude als nationales Kulturdenkmal aus. Das Wohn- und Geschäftshaus wurde zwischen 1935 und 1938 nach Plänen der Architekten Hubert Schumacher und Viktor Engels errichtet. Granitverkleidung im Sockel, authentische Innenausstattung, Kassettenbar mit Messingverkleidung, Eichenholzvertäfelungen. Eine historische Gastwirtschaft mit „Kultstatus“. Noch offen bleiben konkrete nächste Schritte sowie die genauen Rechte und Pflichten. Doch eines ist sicher: Schutz kann auch Verpflichtung bedeuten. Tragfähig ist das Interview ohnehin.

Frédéric Braun
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