Regierungserklärung

Planloser Epochenwechsel

d'Lëtzebuerger Land vom 30.07.2009

Der Premierminister am Rednerpult trug einen schwarzen Anzug, der Parlamentspräsident hinter ihm trug einen schwarzen Anzug. Der Text hätte von Eugene O’Neill stammen können, wären da nicht diese schiefen Metaphern. Gelähmt sei der Zukunftsgeist, gebremst die Zukunftslust, die Axt sei an das Vertrauen der Menschen in unser Wirtschafts- und Sozialmodell gelegt.

Wir gingen schweren Zeiten entgegen, klagte Jean-Claude Juncker am Mittwoch vor dem Parlament, Luxemburg bekomme die Wirkung der Krise voll zu spüren. Die Krise dauere länger als „klassische“, weil sie auch eine Finanzkrise sei. Nie zuvor habe es einen vollständigen Zusammenbruch der Konjunktur zum selben Zeitpunkt in allen Teilen der Welt gegeben. Nicht einmal dass es trotz ansetzenden Wachstums ab 2011 noch schlimmer kommen könnte, schlössen die Experten der Regierung aus. Die Krise sei überhaupt die schlimmste seit 1929 und läute nichts weniger als einen Epochenwechsel ein.

So war die Regierungserklärung, mit der CSV und LSAP ankündigen sollten, wie sie fünf weitere Jahre zu regieren gedenken, zuerst eine Trauerrede auf eine vielleicht unwiederbringbar zu Ende gegangene Epoche. Auf eine einst Spaßgesellschaft genannte Belle Époque mit über fünf Prozent Wirtschaftswachstum, Einnahmeüberschüssen, Steuersenkungen, Kulturtempeln, Wildbrücken, Krötentunneln, Kriegsschiffen und Mammerenten.Nach den spärlichen Erklärungen während der Koalitionsverhandlun­gen und der Parteitage, welche die Koalition guthießen, erbaten sich Gewerkschafter, Unternehmer und Oppositionsparteien von der Regierungserklärung endlich Einzelhei­ten, wie die Regierung das Land aus der Krise befördern und die Staatsfinanzen wieder ins Lot bringen will. Aber sie mussten erneut hungrig vom Tisch gehen. 

Der Premier versprach für das laufende und nächstes Jahr ein „gehöriges Haushaltsdefizit“ und eine „stark steigende Staatsschuld“. Bis zum Ende der Legislaturperiode drohe sogar eine Neuverschuldung um 12 Milliarden Euro und eine Zinslast von 427 Millionen Euro, zitierte er die Finanzexperten der Verwaltung. Und eine solche Zinslast würde jeden Handlungsspielraum zur Finanzierung neuer Politiken „zerfressen“.

Somit ließe sich die ganze Regierungserklärung auf die Frage reduzie­ren, wie die Regierung sich trotz wach­sender Defizite und Schulden politi­schen Spielraum sichern will und wem er nutzt. Dazu hätten CSV und LSAP in den Koalitionsverhandlungen eine Schmerzgrenze abmachen müssen, wieviel Defizit sie jährlich hinnehmen wollen – eine halbe Milliarde, eine Milliarde, anderthalb Milliarden Euro? Und wieviel Schulden sie bis zu den nächsten Wahlen machen wollen – vier Milliarden, acht Milliarden, zehn Milliarden Euro? Sie hätten festlegen müssen, wo sie sparen wollen, um diese Schmerzgrenze nicht zu überschreiten.

Das wäre das Mindeste an Plan, den man sich selbst von einem kleinen Dachdeckerbetrieb oder Friseursalon erwartet, um die angeblich tiefste Krise seit 1929 zu überstehen. Doch davon fehlt jede Spur in der Regierungserklärung und im gleichzei-tig veröffentlichten Regierungsprogramm. Offensichtlich zieht die Regierung es vor, sich nicht festzulegen, die Sozialpartner in der Tripartite weich zu klopfen, für einen baldi­gen Wirtschaftsaufschwung zu beten und vielleicht, wie vor den Gemeindewahlen 2005, vor den Gemeindewahlen 2011 keine schlafenden Hun­de zu wecken.

Dass die Regierung nicht den am Donnerstag von DP-Fraktionssprecher Xavier Bettel geforderten „Plan für einen Weg aus der Krise“ vorlegte, sich nicht in die Karten schauen lässt oder keine Karten hat, rechtfertigte der Premier mit der Feststellung: „Genaue Vorhersagen für die nächsten fünf Jahre kann man nicht machen. Die Konsens­prognose lautet, dass man keine Prognose über das Jahr 2010 hinaus machen kann.“ Zudem gäbe es zur Lösung der anstehenden Probleme „keinen Präzedenzfall und keine empirisch überprüfbaren Modelle“.

Das Parlament bekam lediglich bestätigt, dass bis 2011 so weitergemacht werden soll, wie bisher, „automatische Stabilisatoren“ genannt, um die Konjunktur nicht durch Sparmaßnahmen abzuwürgen. Über die Zeit danach geht im veröffentlichten Regierungsprogramm lediglich die Rede davon, dass ab 2011 die Staatsausgaben nicht schneller als das mittelfristige Wirtschaftswachstum steigen dürfen. Abgesehen davon, dass dies ein frommer Wunsch ist, der so seit Jahren geäußert wird, hieße dies, dass bis zum Ende der Legislaturpe­riode die Staatsfinanzen nur wieder ins Lot zu bringen wären, wenn die Einnahmen schneller als das mittelfristige Wirtschaftswachstum und damit die Ausgaben wüchsen.

Das aber wiederum dürfte schwierig sein, wenn der neue Finanzminister Luc Frieden die Besteuerung der Unternehmen auf 25,50 Prozent senken soll, wie es in der Regierungserklärung heißt. Die Besteuerung der Privathaushalte soll eigentlich nicht erhöht werden. Nicht der Erwähnung wert waren zudem, dass, ganz unabhängig von der Konjunktur, im Laufe der Legislaturperiode die Akziseneinnahmen aus dem Tanktourismus und die Mehrwertsteuereinnahmen aus dem elektronischen Handel massiv zurückzugehen drohen.

Nicht gut sieht es für schöne Wahlversprechen aus, wie eine Gehälterreform beim Staat, die kostenlose Kinderbetreuung für alle oder eine Straßenbahn. Sie stehen laut Jean-Claude Juncker selbstverständlich „unter Finanzierungsvorbehalt“, was soviel bedeutet wie: Wir haben gute Ideen, aber kein Geld, um sie zu verwirklichen.

Im Regierungsprogramm heißt es, dass eine Revision verschiedener Beamtenlaufbahnen und eine Kürzung der Anfangsgehälter kostenneutral sein müssten. So als sollte die Gehälterrevision für die Aktiven mit den Gehaltskürzungen für Jacques F. Poos’ „ungeborene Staatsbeamten“ erkauft und die Gewerkschaften zur Einsicht gebracht werden, dass das Hemd näher als die Jacke ist.Nachdem er gerade die Milliardenlöcher in den Staatsfinanzen bis zum Ende der Legislaturperiode vorgerechnet hatte, meinte der Premier, dass die kostenlose Kinderbetreuung jährlich 570 Millionen Euro kosten würde. Aber wenn sie nun „schrittweise“ eingeführt wird, heißt das, dass die Kinderbetreuung lediglich verbilligt wird.Über die Straßenbahn und die Bahnhöfe am Stadtrand, zwischen denen sie hin und her fahren soll, kündigte der Premier knapp an, dass sie „kommen“. Im Regierungsprogramm heißt es zusätzlich, dass die Regierung mit der Stadt Luxemburg über die Aufteilung der Kosten verhandeln wolle. So dass es zumindest schon einen Schuldigen gibt, wenn die Straßenbahn doch nicht kommt.

Das von ihm in Umlauf gebrachte Panikwort „Rentenmauer“ hatte Jean-Claude Juncker in seiner Regierungserklärung ganz vergessen. Finanzierungsprobleme für die Altersversiche­rung stellten sich lediglich langfristig, beruhigte er. Deshalb genüge es laut Regierungsprogramm, in nächster Zeit besonnen an einigen „Stellschrauben“ zu drehen: Die Regierung will zuerst 40 tatsächliche Beitragsjahre zur Regel machen sowie die Anwartschaften und die Kumulierung mit einer Erwerbstätigkeit ändern.

Ab 2011 soll dann gespart werden, damit das Loch in der Staatskasse kleiner wird. Wieviel und wo CSV und LSAP sparen wollen, bleibt ihr Geheimnis. Unter allen möglichen Ausgabenposten im Staatshaushalt heißt es im Regierungsprogramm lediglich allgemein, dass durch selektive Sozialpolitik das Anwachsen der Sozialtransfers gebremst werden soll.

Der Premier wehrte sich deshalb am Mittwoch in seiner einstündigen Rede gleich sechsmal gegen Vorwürfe, die neue Regierung sei eine Regierung des „Sozialabbaus“. ­Lu­cien Lux, der erste Sozialpolitiker an der Spitze der LSAP-Fraktion seit Jahrzehnten, gab ihm eifrig Recht. Vielleicht unterscheiden sich CSV und LSAP also am Ende von anderen möglichen Koalitionen bloß dadurch, dass sie die Krise nur mäßig zur Umverteilung nutzen wollen. 

Romain Hilgert
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