Binge watching

Die Bühne der Macht

d'Lëtzebuerger Land vom 16.10.2020

Algorithmen können heute die Serienproduktion bestimmen: Die von Beau Willimon geschaffene Serie House of Cards, die 2013 erstmals ausgestrahlt wurde, war die erste eigenständige Netflix-Produktion. Sie ist ein vortreffliches Beispiel dafür, wie Netflix aufgrund gewonnener Daten sein Angebot gestaltet: Ausgehend von den Präferenzen der Nutzer ermittelte der Streamingdienst, dass beim Publikum ein besonderes Interesse bestand an politischen Inhalten, Filmen von David Fincher und an Schauspieler Kevin Spacey in tragenden Rollen. Auf Basis dieser Faktoren entstand House of Cards: Frank Underwood (Kevin Spacey), die „majority whip“, intrigiert mit seiner ebenso berechnenden Frau Claire (Robin Wright) innerhalb des Weißen Hauses, um ganz nach oben zu kommen. Erst ist es die Verweigerung des Außenministerpostens, die Franks Gier freilegt: Er entpuppt sich zunehmend als der große Marionettenspieler, dem jedes Mittel recht ist, seine Macht zu festigen. Denn um nichts anderes geht es in House of Cards: Macht. House of Cards ist eine gesteigerte, ja mehr dem Konzept der Hyperrealität im Sinne Jean Baudrillards verpflichtete Serie, die bewusst und geradezu lustvoll mit den Klischees und Vorurteilen spielt, die man sich von der Politik als korrupte und verschlagene Arena gemacht hat. Mit der Darstellung des Weißen Hauses in West Wing (1999-2006), die noch einen integren Präsidenten (Martin Sheen) zeigte, der von guten Werten motiviert ist, hat House of Cards nicht mehr viel gemein. In diesem System zählt nicht, wer nach den Regeln spielt, noch nicht einmal mehr wer seine Chancen nutzt, sondern wer sich seine eigenen Opportunitäten schafft.

Als Remake der gleichnamigen britischen Serie, die 1990 bei der BBC ausgestrahlt wurde, bedient sich die Neuauflage trotz des Settings in Washington stark der britischen Kultur, insbesondere hinsichtlich der Dramaturgie. Die fortwährende Direktadressierung des Zuschauers ist ein bewährtes Stilmittel aus dem Theater, das mit William Shakespeare zu Prominenz gefunden hat. Überhaupt ist Shakespeare ein maßgeblicher Bezugspunkt der Serie. So werden etwa Anspielungen auf Richard III. oder Macbeth gemacht – auch auf Shakespeare geht die Aussage „All the world’s a stage“ zurück, und genau das macht die Netflix-Serie mit dem vermeintlichen „Blick hinter die Kulissen“ des Weißen Hauses: House of Cards inszeniert die amerikanische Politik als Bühne der Macht. Darin kommt dem Zuschauer ein Komplizenstatus zu, der ihn erschreckt und fasziniert staunen lässt angesichts der Skrupellosigkeit, die da an den Tag gelegt wird. Durch die formale Gestaltung der Serie wird er aber auf Distanz gehalten: Washington ist ein kalter Ort mit kühl eingerichteten Interieurs, die von blau-grau Farben dominiert werden. Die Serie verdankte ihren anfänglichen Erfolg besonders dem charismatischen Schauspiel Kevin Spaceys, das diese ruchlose Figur in ihrer Skrupellosigkeit so aufregend macht. Kontrastierend dazu funktioniert die unterkühlte Darstellungsweise von Robin Wright, die sich, der Lady Macbeth nicht unähnlich, im Hintergrund als noch verschlagener erweist als ihr Ehemann. So verwundert es denn auch nicht, dass sie im Zuge des Me-too-Skandals und der Entlassung von Spacey kurzerhand als Schlüsselfigur inszeniert wurde. Es ist jedoch vor allem die zunehmende Ideenlosigkeit und die forcierte Umschreibung des Drehbuchs, die den Abschluss der Serie stark beeinträchtigten.

Aus der zeitlichen Distanz betrachtet, wird aber auch einsichtig, wie die Serie den amerikanischen Glaubensverlust in die politische Öffentlichkeit spiegelt. Donald Trumps Wahlkampf und sein Amtsantritt haben das Bild des amerikanischen Präsidenten stark angeschlagen, und es ist besonders am Beispiel Trumps, der seinerseits ein erfolgreicher Serienstar war, erkennbar, dass die Grenzen zwischen Realität und Fiktion im Begriff sind zu verschwimmen. Trump inszeniert Politik als Spektakel, schafft durch seine Kommunikation Spannungskurven, man denke da an seine Schlagwort-ähnlichen Aussagen wie „We will see“, und arbeitet bewusst mit cliffhanger-Strategien. Dass eine weitere Amtszeit reichlich Serienstoff bieten würde, ist beinahe offenkundig. Dass sich Fiktion und Wirklichkeit gegenseitig beeinflussen, ist in Bezug auf House of Cards augenscheinlich. ●

Marc Trappendreher
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