Biblisch anmutende Bilder werden der staunenden „Welt“ präsentiert. Männer mit üppigen Bärten, die im Präsidentenpalast Afghanistans posieren, wie kommen die da hinein?, reibt sich Welt die Augen. Passt da denn niemand auf? Hat da jemand was verpasst?
Ganz so biblisch ist es dann doch nicht, dafür wirken die Jünger doch zu dummdreist triumphierend. Schlau primitiv, oder tölpelhaft. Bedrohlich und ungelenk zugleich mit der Waffe herumstehend. Die Anführer zu schleimig verschlagen. Dann wiederum wie benommen, selber überrumpelt davon, dass sie jetzt auf Chefsesseln im Bauch der Macht lungern.
Fürchtet euch nicht! lautet die Botschaft, allein es fehlt der Glaube. Der Glaube, dass das jetzt neue Taliban sind. So weichgespülte, wie ihre ersten, mit ordentlich Kreide-Dressing versetzten Botschaften verheißen ließen. Taliban-Softies. Dem Zeitgeist angepasste. Allah light. Henker light. Von Allah ist sowieso weniger die Rede, zumindest vor unseren Bildschirmen, sie können jetzt PR, murmelt Westwelt beeindruckt. Sind das jetzt wirklich nicht mehr die Taliban aus den Neunzigern? Diese knochigen, düsteren Männer aus dem erdfarbenen Talibanbilderbuch, manche von einer finsteren Würde. Aus jener Steinzeit, in der eine erleuchtet umnachtete Erscheinung aus einer Höhle auftauchte und wirre Verwünschungen ausstieß? Optisch zumindest sind sie es nicht mehr, viele Neue sind fülliger geworden, vielleicht gibt es ja einen Taliban-Mäcki, ihr Look könnte aus einem Taliban-H&M zu stammen. Viele sind fantasievoll gekleidet, divers, fröhlich bunt, in Kleinmädchenrosa gar, andere erdfarben ernst, sie tragen abwechslungsreiche Kopfbedeckungen, Piraten-Stirnbänder mit coolen Schriftzeichen, Sonnenbrillen. Selfies werden geteilt, auf denen ausgelassene Jungmänner im Fitness-Center des gerade mit einem Haufen Kohle getürmten Präsidenten herumtollen. Sie mussten es nicht stürmen, sie mussten nichts stürmen. Sie waren schon da.
Hallo! scheinen uns die schmächtigen Jungs zuzuzwinkern, die schwer bewaffnet lässig auf Motorrädern herumkurven. Cooles Motorrad. Coole Sonnenbrille. Cooler Job. Die Kinder des ewigen Krieges, jetzt werden sie gefürchtet. Das Comeback ist ein weltbühnenreifes. An einem unspektakulären Wochenende im August, die Fluten und Brände sind kurz von den Bildschirmen verschwunden, Europa atmet ein bisschen auf, zwischen Hitze- und Coronawellen. Hat gerade wieder angefangen, Viren zu zählen. Die Pantoffel des geflohenen Präsidenten werden sich einprägen ins kollektive Gedächtnis.
Und dann sind Sie plötzlich da, mitten in der Hauptstadt, die große Verblüffung auch, ha, Bluff! Wie immer schon oder immer noch. Dringen ins Licht der Welt, der vor einiger Zeit zugezogene Nachbar, der Gemüsehändler, der Kollege. Zeigen Flagge. An allen Diagnosegeräten und unter Drohnen vorbei und an der Besatzungsmacht vorbei, die die Besatzung absaß.
Ab und zu hat die noch ein bisschen gebombt, oder auch mehr, irgendwo wo die lebten, die nicht zählten, die nicht zur Erfolgserzählung gehörten, zum Narrativ von Aufklärung und Fortschritt, dort wo alles zäh und langsam fortschritt, bestenfalls. Wo keiner hinschaute, es war auch schon langweilig, hier ein paar Tote, dort ein paar mehr, wer kannte sich da schon aus zwischen all diesen Kriegslords, wie sie so vornehm heißen und diesen und jenen Islam-Irren, die um irgendwelche Täler kämpfen. Zum Beispiel den Taliban. Die sich vielleicht mehr um Belange der Menschen dort kümmerten als die Kabul-Clique. Wer sollte aus dieser Landschaft berichten, in einer Medienlandschaft, die immer stärker Korrespondent_innen einspart, die sich wirklich vor Ort auskennen, nicht nur instant Impressionen liefern? Und wen hätte das interessiert?
High Tech Taliban? murmelt Westwelt verwirrt angesichts der Wiederauferstandenen. Furchtbar, bitter, Tragödie, sagt Merkel, einmal bemüht sie starke Worte. Maas schaut treuherzig zerknirscht. Biden schaut ausdruckslos, steif wendet er sich um und ab.