Territorialreform

Alles für die Region

d'Lëtzebuerger Land du 15.03.2007

Allmählich neigt sie sich ihrem Ende entgegen: die Sitzungstätigkeitdes parlamentarischen Sonderausschusses „Réorganisation terrritoriale“. Die letzten Treffen sind nach den Osterferien anberaumt. Anfang Mai will Ausschusspräsident Michel Wolter (CSV) seinen zehn Kollegen einen Abschlussbericht vorschlagen– nach dem Prinzip: „Mal sehen, was dann geschieht“.

Denn abzusehen ist jetzt schon, dass die zweijährigen Beratungen des Ausschusses nicht zu einem großen Reformentwurf führen werden. Jedenfalls nicht zu einem derart großen, wie ihn die Regierung in dem von Innenminister Jean-Marie Halsdorf (CSV) im Mai 2005 vorgestellten Concept intégratif pour une réforme territoriale et administrative andachte und dem Sonderausschuss als Diskussionsgrundlage übergab. Ginge es nach diesem Konzept, würde zum einen aktiv auf weniger und damit auf größere Gemeinden hingearbeitet, zumanderen würden Kooperationen vorgeschrieben. Eine „kritische Masse“ von 3 000 Einwohnern pro Gemeinde würde entweder durch Fusionen kleiner Gemeinden verwirklicht oder durch deren Beitritt zu Gemeindeverbünden. In diesen „communautés de communes“ würde die Kooperation der teilnehmenden Gemeinden vor allem dadurch regelrecht erzwungen, indem sie verschiedene Zuständigkeiten an ein interkommunales Établissement public abzutreten hätten. In den drei Ballungsräumen um die Hauptstadt, Esch-Alzette und die „Nordstad“ müssten „communautés urbaines“ gebildet werden. 

Auch auf regionaler Ebene würde eine Zusammenarbeit vorgegeben:Weil das Landesplanungsgesetz das Land in sechs Planungsregionen einteilt, würde pro Region je ein Établissement public das Miteinander der Kommunen „moderieren“. Es würde aber auch sämtliche Kapitalsubventionen des Staates für kommunaleProjekte auf deren Konformität mit einem regionalen Bedarf hin überprüfen, und ein „représentant territorial de l’État“ würde nicht nur als Berater fungieren, sondern erhielte auch Kontrollbefugnisse.

Doch diese neuen Strukturen sind auch zwei Jahre, nachdem ihr Aufbau vorgeschlagen worden war, nicht konsensfähig. Nicht nur mit der ADR nicht: Die DP hält nach wie vor an ihrem Alternativkonzept zur CSV-LSAPTerritorialreform fest, in dem sie zehn Gründe aufgezählt hatte, warum der Regierungsansatz zu „Demokratiedefiziten“ führe und „die Distanz zwischen Politiker, Verwaltung und Bürger vergrößert“, betont ihr PräsidentClaude Meisch, der dem Ausschuss als einer der beiden Vize-Vorsitzenden angehört. Grünen-Vertreter Camille Gira, der den Halsdorf-Vorschlag anfangs noch dafür gelobt hatte, dass er so „konkret“ sei, wendet sich nun ebenfalls klar gegen einen„Staatsvertreter, der die Gemeinden kontrollieren könnte“. Und AlexBodry (LSAP) teilt „die Analyse, dass kleine Gemeiden überfordert sein sollen, nicht so pauschal“. Denn „innerhalb einer Syndikatsstruktur könnten kleine Gemeinden gut funktionieren“,und das müsse „berücksichtigen“, wer Fusionen vorschreibenwill. Das meinen Camille Gira sowie die beiden DP-Vertreter imAusschuss auch. 

Ganz abgesehen von diesen offiziellen Positionen spaltet, was im Ausschuss auf den Tisch kommt, regelmäßig die Abgesandten der Fraktionen, sofern sie nicht, wie Grüne und ADR, nur einen Vertreter entsenden durften. So war es schon, als zwischen Herbst 2001 und Herbst 2003 der parlamentarische Innenausschuss über die „Répartition des compétences et des responsabilités entre l’État et les communes“diskutierte: Hat die Mehrzahl der Abgeordneten zugleich ein Gemeindemandat, stehen fraktionsintern die Interessen von großen gegen die kleiner Gemeinden, die eher urbane Sichtweise gegen die aus dem ländlichen Raum. Und wenn heute dem Sonderausschuss zur Territorialreform der eingreifende Planer und einer Top-down-Intervention nicht abgeneigte Michel Wolter ebenso angehört wie Marco Schank, der CSVGeneralsekretär mit Naturpark-Öewersauer-Bindung und überzeugte Anhänger einer Entwicklung von unten – dann verteidigen auch die Christlich-Sozialen den Reformentwurf ihres Parteikollegen und InnenministersHalsdorf nicht endlos lange. 

Fragt sich nur, was der mit viel Prominenz, aber auch alles andere als inkompetent besetzte Ausschuss an Resultaten vorlegen wird. Denn was eine Versammlung nicht schafft, der unter anderem der frühere Innenminister Michel Wolter angehört, der frühere Landesplanungsminister Alex Bodry, mit Jean-Pierre Klein (LSAP) zugleich der Präsident des Gemeindeverbands Syvicol, mit Claude Meisch der Chef der größten Oppositionspartei und Bürgermeister der drittgrößten Stadt im Lande, mit Emile Calmes (DP) der Präsident des gut funktionierenden interkommunalen Syndikats Réidener Kanton, mit dem Grünen Camille Gira der Stellvertreter Calmes’ im Syndikat und ideenreiche Bürgermeister der Landgemeinde Beckerich, und schließlich CSV-GeneralsekretärSchank – was eine solche Versammlung nicht abschließend zu entscheiden vermag, kann keine andere schaffen.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Ausschuss sichauf den gemeinsamen Nenner „27. November 2003“ einigt. Das war der Tag, an dem die Abgeordnetenkammer  ihre Orientierungsdebatteüber dieNeuaufteilung der Kompetenzen von Staat und Gemeindenführte, die der Innenausschuss zwei Jahre lang vorbereitet hatte. Mehrheitlich und größtenteils einstimmig verabschiedeten die Abgeordneten anschließend acht Motionen an die Regierung, von denen die meisten noch immer nicht umgesetzt sind. Vor allem jene nicht, in denen es ums Geld und um die Förderung der regionalen Zusammenarbeit ging. Zwar sind es genau diese Fragen, denen Jean-Marie Halsdorfs Reformkonzept sich zuwendet: Es sagt Nein zu Regionalsyndikaten, will stattdessen die regionalen Établissements publics mit Staatsrepräsentant; es sagt Ja zu Regionalfonds, aber unter Verwaltung dieser Établissementspublics; es sagt Ja zur Reformder Gemeindefinanzierung, doch erst nach Abschluss der Territorialreform-Debatte.

Am 27. November 2003 aber ging es nicht um eine Territorialreform, sondern um die Dienste am Bürger und darum, wer sie am besten erledigen und womit finanzieren sollte. Auch Halsdorfs Vorgänger Michel Wolter fand zwar, man solle „d’Strukture vun eise Geméngen esou adaptéieren, dass mer vläichtmanner interkommunal Syndikater brauchen“, aber er vertrat diese Ansicht nur „perséinlech“.

Was aus den Motionen von damals wird, entscheidet allerdings nicht nur über die Kooperation von Gemeinden, sondern auch darüber, wie Landesplanung hierzulande zu funktionieren vermag. Die Regionalsyndikate sind im geltenden Landesplanungsgesetzvorgeschrieben und sollen gebildet werden, ehe eine regionalePlanung unter Beteiligung der Gemeinden erfolgen könnte. Wie nötig sie wäre, zeigt sich amBeispiel Wohnungsbau: Gäbe es funktionierende regionale Kooperationen, könnte die öffentliche Hand die Suche nach preiswerten Grundstücken und deren Erschließung konzertiert angehen. Dass die regionale Planung stagniert, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass im von Jean-Marie Halsdorf geleiteten Landesplanungsministerium entschieden wurde, zur Initiierung neuer regionaler Zusammenschlüsse fehle es an Zeit und Personal. Deshalb könnte es für die Landesplanung einen Fortschritt bringen, wenn sich der Sonderausschuss auf den „27.11.2003“ einigte.

Vor allem der DP gefiele das. Camille Gira von den Grünen versucht derweil, seine Kollegen von einem Modell zu überzeugen, das Halsdorfs Vorschlag gleichsam in dem aufhebt, was schon geschrieben ist: Selbst wenn man größere Gemeinden bildete, so Giras These, lösten bestimmte Probleme sich damit nicht. Beispielsweise jenes nicht, dass eine Gemeinde wie Ettelbrück über eine eigene Musikschule verfügt und deren Besuch demnächst seinen Einwohnern mit 150 Euro monatlich in Rechnung stellen wird, Bewohnern der Nachbargemeinden dagegen mit 800 Euro. Oder, dass eine Gemeinde X über ein Schwimmbad verfügt,aber Gemeinde Y nicht, und es für Y schwierig sein könnte, X davon zu überzeugen, den Kindern aus Y die Schwimmhalle zum Schulschwimmen zu öffnen. Lösen ließen diese Probleme sich in einem regionalen Syndikat wie in einem Établissement public;unter der Voraussetzung, es würden solche Problemfelder gefundenund für ihre Lösung regionale Finanzmittel zweckgebunden. Eine„kritische Masse an Geld“ könne Gemeinden zur Kooperation veranlassen, darauf will Gira letztendlich hinaus, und würde erst einmal „gemeinsam verwaltet“, werde bald schon „gemeinsam geplant“. Dann stelle sich die Frage nach Fusionen nicht mehr so sehr, und Établissements publics mit Staatsrepräsentant könne man sich sparen. Welche Zweckbindung der Gelder gewählt wird, könne von Region zu Region unterschiedlichsein: In den bevölkerungsreichen könnte der öffentliche Transport dadurch mitfinanziert werden, die Tätigkeit des Busbetriebs der Hauptstadt beispielsweise als eine teilweise regionale Angelegenheit verstanden werden und einen Teil der Mittel aus dem staatlichen Fonds communal de dotation financière in die Regionen umleiten.  

Anscheinend ist die Idee des grünen Abgeordneten das zurzeit einzige geschlossenere Konzept neben dem der CSV. Finanztechnisch zumindest könnten beide sich vertragen: WennGira einen Teil der Zuwendungen aus dem staatlichen Dotationsfonds an die Gemeinden regionalisieren will, greift er eine Idee auf, die die CSV schon vor fünf Jahren hatte. Fragt sich nur, welchen „Verbindlichkeitgrad“ Giras Modell erhalten könnte: Nicht nur kann eine Gemeinde aus einem Syndikat prinzipiell austreten,wenn sie will. Auch Art und Umfang der regional zu behandelnden Politiken können sich in einem Syndikat verhältnismäßig schnell ändern. Das ist nicht gut, wenn viel auf dem Spiel steht; zumBeispiel so vitale und zugleich kostenträchtige Bereiche wie der öffentliche Transport. Letzten Endes aber muss eine Regionalstruktur stark sein: Sie muss garantieren, dass regionale Entwicklungszentren sich entwickeln können; Gemeinden, die laut Programme directeurder Landesplanung bevorzugt zu entwickeln sind, während andere zurückzustehen haben. Ein Prinzip, das hierzulande bislang noch nicht recht zumTragen kam.

Aus diesem Grund müsste der Ausschuss sich tatsächlich auf mehr einigen als nur auf das, was schon Ende 2003 Konsens war, und obendrein noch schnell. Denn es besteht nicht nur die Gefahr, dass die politische Diskussion von Territorialstrukturen und ihrem Zusammenwirken für lange Zeit erledigt wäre, falls ein Gremium vom Kaliber des Sonderausschusses um Wolter und Bodry zu keinem oder einem zu kleinem Ergebnis kommt. Vermieden werden müsste auch, dass die Umsetzung der getroffenen Beschlüssezeitlich zu nah an den nächsten Wahlkampf gerät.

 

Peter Feist
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