Die kleine Zeitzeugin

Wo die wilden Kerle wohnen

d'Lëtzebuerger Land du 30.10.2020

Ab in den Rust Belt, alle vier Jahre! Auch jetzt wieder, ich kenn mich schon gut dort aus, hab schon gute Bekannte dort. Den Mann mit den Zöpfchen im Bart, der Trump wählen wird, den Mann beim Schießtraining, er wird Amerika verteidigen. Sie sind Mitglieder der „Bikers for Trump“. Die Friseurin die ihre Anführerin ist, sie sind Trump-Groupies. Einmal hat sie Trump was ins Ohr geflüstert und er hat ihr zugezwinkert. In ihrem home hat sie ein Heldenzimmer eingerichtet, voll mit Superman-Postern und Devotionalien. Sie weint vor Rührung, weil sie an Ihn denkt, und weil sie an ihre Kinder denkt. Sie will das Beste für ihre Kinder. Erst recht jetzt, wo sie weiß, was in Amerika wirklich los ist. „Deep State“, sagt sie, und Hollywood. Sie liebe Trump, sagt sie, so ein Draufgänger, ihre Augen leuchten.

Alle vier Jahre machen sich die europäischen Medienmenschen auf Safari in den Rust Belt. Dorthin wo die großen, dicken, grobschlächtigen Amerikaner_innen wohnen. Die europäischen Journalisten lieben den Rust Belt, die Monotonie, die herab gewirtschafteten Orte, die kaputten Vorgärten, die kaputten Menschen. Alle vier Jahre starten die europäischen Journalist_innen zur Expedition in den rostigen Gürtel, es schaudert sie, wonnigliche Schauer durchrieseln sie. Meistens sind es Männer, und sie gehen zu den echten Männern, die es noch gibt, hier, sie brechen auf in eine verschollene Männerwelt. Frauen gibt es zwar auch, sie stehen ihren Mann. Die europäischen Journalisten driven in großen cars durch das verrottete Herz der Finsternis, verwegen- sinnend schauen sie zum Fenster raus, wie toll öd es hier ist. Die Kameras sind auf struppige Farmer gerichtet. Sie gehen auf Safari zu Stahlkochern, die keinen Stahl mehr kochen, und Malochern, deren Maloche keiner kauft. Zu exotischen Ureinwohnern, die sie mit der Waffe in der Hand erwarten, fasziniert schauen sie in Gewehrläufe. Dann löchern sie das Gegenüber mit Fragen. Why, warum nur, warum?

Alle vier Jahre entdecken sie das vergessene Herz Amerikas. So poetisch werden sie. Sie entdecken die dicken Menschen, die kleinen Kirchen in den Ebenen, sie entdecken, dass die Menschen schwarz sind und viele Häuser leer. Aber auch die dicken weißen Menschen werden von den europäischen Journalisten entdeckt, sie wurden lange übersehen, sagen die Journalisten selbstkritisch.

Warum wählen Sie Trump? fragt der Journalist aus dem milden europäischen Westen immer wieder, schon ganz erregt, sein street wisdom ist ja nicht besonders ausgeprägt. Er staunt über den Schießstand hinter der Do-it-yourself-Kirche, in Amerika erbaut sich Mann Kirche wie anderswo ein Schrebergartenhäuschen, Land der unbegrenzten Mini-Möglichkeiten. Dahinter wird geballert. Er staunt über den Gottesmann, ein ganz anderes Kaliber als die letzten Mohikaner zuhause.

Why? Der struppige Farmer wird Trump wählen. Obschon der ihn nicht gerettet hat. Vielleicht wird er ihn ja noch retten. Die Kohlekumpel ohne Kohle werden ihn wählen, auch wenn er sie nicht gerettet hat. Zumindest versucht er es ja. Er ist leider nicht immer nett, sagt eine lustige ältere Frau, sie sagt es nachsichtig. Mit leuchtenden Augen, mütterlich.

Da können die New Yorker Intellektuellen noch so sehr rätseln, warum die Leute so sind wie sie sind. Oder sich noch so sicher sein, dass jetzt gar nichts mehr geht für den von ihnen so genannten Irren. Da kann Paul Auster noch penetrant besorgter dreinschauen als vor vier Jahren und Gattin Siri Hustved auch. Weil der Frust Belt noch schlimmer dran ist. Noch rostiger. Da kann sich die aufgeklärte weiße Mittelschicht noch so sehr um die verratenen Armen im Rostgürtel sorgen.

Die lieben Trump, der ohne Maske zu ihnen herabsteigt, wir vor dem Bildschirm sehen nur die Fratze. Das Macher-Image und der penetrante Neureichtum des Multimillionärssohn sind ihnen näher als demokratischer Geistesadel, er spricht wie sie, sie direkt an. Sie spüren keine Arroganz. Keine soziale Distanz. Am liebsten würde ich euch allen einen fetten Kuss geben! schreit Trump. We love you! steht auf den ihm entgegen geschwenkten Schildern. Trump, why? Die Antwort ist Liebe. Liebe, ein schwerer Fall.

Michèle Thoma
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