Binge watching

Aufbruchstimmung

d'Lëtzebuerger Land vom 15.07.2022

Nachdem Drehbuchautor, Produzent und Regisseur Taylor Sheridan mit der Neo-Western Serie Yellowstone auf Paramount+, dem Streamingdienst der großen Hollywood-Produktionsfirma, erheblichen Publikumserfolg verzeichnen konnte, geht er mit der Ableger-Serie 1883 auf die Wurzeln dieser Erfolgsserie ein. 1883 soll als Prequel zu Yellowstone funktionieren und nachzeichnen, wie die Rancherfamilie Dutton einst zu dem begehrten Stück Land kam, um das in Yellowstone immer noch bis in unsere Gegenwart hinein gekämpft wird.

Bevor man sich 1883 inhaltlich nähern kann, muss man die oben vorgestellte Marketingstrategie in Frage stellen, ja aus dem Weg räumen, die den unvoreingenommenen Blick auf diese neue Western-Serie verstellt. Es handelt sich nämlich zum einen sehr wohl um ein Taylor-Sheridan-Projekt und die Themenfelder sind unverkennbar an dessen vorherige Arbeiten angelehnt. Doch zum anderen kann man nur bedingt von einer Prequel-Serie sprechen, denn zu keinem Moment ist der Name Dutton tatsächlich in irgendeiner Weise direkt ausschlaggebend für die spätere Erzählung, geschweige denn gibt 1883 Aufschluss über noch ungeklärte Umstände des Figurenensembles aus Yellowstone. Aus der Perspektive der jungen Elsa Dutton (Isabel May) wird berichtet, wie sie und ihre Mutter Margareth (Faith Hill) den Vater James Dutton (Tim McGraw) treffen und sie gemeinsam mit dem verwitweten Shea Brennan (Sam Elliott) und dessen Partner Thomas (LaMonica Garrett) gen Westen ziehen, um dort sesshaft zu werden.

1883 zeigt eindrücklich eines der Kernelemente des Westerns, nämlich wie da eine Gesellschaft zusammenwächst; eine Mischung die sich zusammensetzt aus Afroamerikanern, jüngst noch Sklaven, deutschen und französischen Siedlern, die ihre inneren Widersprüche, Mängel, Unzulänglichkeiten zurückdrängen, zugleich aber auch die Achtung für jedes partizipierende Individuum erlangen und immer mehr das gemeinsame Ziel mehr und mehr als Medium begreifend für das große Gefühl der freien Gemeinschaft. Das alles passiert in steter dramatischer Bewegung; anzuhalten auf dem eingeschlagenen Weg wäre der sichere Tod. In äußerst stilisierten Bildern, mit Sorgfalt auf die natürliche Lichtnutzung, wird der Siedlerzug in den Weiten der sonnendurchfluteten Prärie in Szene gesetzt. Eine Aufbruchstimmung wird da spürbar, der gegenüber das Schicksal des Einzelnen sich bereitwillig unterordnet – dies alles entspricht dem mythologisch-poetischen Bild der Entstehung der amerikanischen Gesellschaft aus der gemeinsamen Bewährung der Individualisten.

Diese Elsa Dutton führt im Off-Kommentar ihren inneren Monolog aus, sie erzählt von der anstehenden Zähmung des Landes und es entsteht ansatzweise der Eindruck, als besitze sie eine Weitsicht, die den Männern unbekannt ist. Damit folgt Sheridan dem Mythos der Frauenfigur im Western als ordnungsstiftendes Element, als die Außenseiterperspektive, die das männerdominierte vorherrschende Chaos dringend braucht. Andererseits ist die Frau aber zuvorderst über maskuline Eigenschaften dramatisiert: Ihr Kampfeswille, die Bereitschaft sich nicht nur körperlich in Gefahr zu bringen, sondern auch von Schusswaffen Gebrauch zu machen, machen aus 1883 eine Serie, die sich in die mitunter individualistische, archaische und brutale Welt von Taylor Sheridan einschreibt. Das verhielt sich bereits mit Emily Blunts Figur der Kate Macer, die idealistische Agentin aus Sicario (2015) unter der Regie von Denis Villeneuve, nicht anders. Unschwer lässt sich deshalb aus 1883 auch die Legitimation für den Kodex ableiten, nach dem die Familie Dutton in Yellowstone oder die Drogenfahnder aus Sicario heute noch handeln: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Freilich beschäftigt sich Sheridan auch hier einmal mehr mit Fragen der Gerechtigkeit – zwangsläufig eine Art von Grenzjustiz, die auch dann erhalten bleibt, wenn die Protagonisten Autos fahren statt Pferde reiten und Mobiltelefone statt einer Winchester benutzen – selbst wenn die Grenze zum Westen längst nicht mehr ist, beziehungsweise sich nach Süden, entlang Mexiko verlagert hat.

Marc Trappendreher
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