Kleine Zeitzeugin

Ende der Wahnvorstellung?

d'Lëtzebuerger Land vom 13.11.2020

Das Monstrum ist erlegt, es bäumt sich natürlich noch auf, wie es sich für ein Monstrum gehört, liegt in letzten Zuckungen, zuckt aus. Der twitterröchelnde Drachen, tödlich getroffen. Oder doch nicht? Er rappelt sich auf, im Profil auch gern gezeigt als plumper Stierschädel, gegenüber das edel demokratische Antlitz mit dem sich lichtenden Silberhaar. Der ist auch nicht wirklich eine Lichtgestalt, dämmerte es einem Kommentator schon vor den Wahlen. Aber immerhin ein Uncle Joe, oder auch ein Grandpa Joe, und sicher sehnt sich die Menschheit mindestens so sehr nach einem guten Onkel oder Opa.

Am Tag nach der Euphorie kommen alle wieder ein bisschen runter. Diese Euphorie, war das nicht schon einmal? Die, deren Gedächtnis zwölf Jahre zurück reicht, reiben sich die Augen. Damals. Als alle weinten vor den Bildschirmen, und ein ausstrahlender junger Mann, von dem behauptet wurde er sei schwarz, erschien und schien und schien. Alles schien gut. Neu. Er schwarz, wie man immer wieder betonte. Und die Welt bunt, über Nacht. Neu. Anders. In den Straßen in Amerika weinten die Schwarzen und die Weißen und lachten und umarmten sich, damals taten die Menschen so was noch. Und auf den Sofas in Europa lachten die Farblosen und ihre Tränen purzelten ins Bier, sie prosteten dem neuen Menschen, der am Horizont erschien, zu. Es war alles so schön. So neu.

Und die Zeit verging und der so genannte schwarze Mann ergraute, und nur in Europa wurde er noch extrem geliebt. Die Europäer_innen verstanden zwar nicht immer alles, Obamacare und all das, warum ist das so schwierig? Es gab weiter Kriege und Terror und arme Schwarze, aber fairerweise auch arme Weiße, der graue Präsident ging und der Drache kam. Er war plötzlich da, aufgestiegen aus der tiefen Wunde, dem klaffenden Spalt, der das Land auseinanderriss. Das Monster war ein oranger Rassist und die Klugen und Gebildeten lachten es aus und lachten über es und machten Witzzeichnungen, die auf der ganzen Welt geteilt wurden. Es war so lustig, es war zu lustig. Und dann war es Ernst. Plötzlich war der twitterspeiende Drachen im blendend weißen Haus, und auf CNN versteinerten die Gesichter, vier lange Jahre lang, sie waren verhext. Während die Psychiater_innen und Therapeut_innen immer irrere Befunde ausstellten.

Das Biest hatte natürlich eine Schöne im Schlepptau, das es ins blendend weiße Haus verschleppte. Die Schöne war tot oder scheintot, schwer zu sagen, die Sage ging, das Biest habe die Schöne ausgesaugt. So dass sie nur noch als irdische, manchmal auch überirdisch wirkende Hülle an seiner Seite fungierte. Vielleicht stellte sich die Schöne auch tot, all das war eine Strategie, in Wirklichkeit konservierte sie sich, sann nach Rache, eiskalt, sie war ja noch jung. Der junge Baron hatte die traurigsten je bei einem Jüngling erblickten Augen. Aber vielleicht wird auch er bald erlöst, das Monster ist gar keins mehr, es geht golfen oder baut noch ein paar Türme und twittert noch ein bisschen für seine Fan_innen in den verrosteten Gegenden. Aber der Zauber ist gebrochen, der Bann. Die Wahnvorstellung ist zu Ende. Die Transgender und die Menschen aller Farben und Identitäten und Geschlechter sind erlöst, alle Geschlechter lieben sich, alle Farben mischen sich, es geht bunt zu, und nur die in den komischen Gegenden in die niemand freiwillig hingeht, nur alle vier Jahre perverse Journalisten aus Europa, nur die finden das Treiben zu bunt. Aber niemand hört ihnen zu, sie haben einen komischen Akzent.

Uncle Joe hat so ein schönes Lachen, so ein echtes, und eine echte Frau, die schön ist und sogar lebendig und einen Doktortitel hat. Sozial engagiert auch noch. Aber dann gibt es noch jemand, Uncle Joe betritt die Weltbühne nicht allein. Der Alte Weiße Mann ist schlau, er kommt mit wow einer Frau. Sie hat auch noch Farbe. Das ist nicht zu toppen, jetzt sind sie nicht zu stoppen. Und schon gibt es welche die unken und munkeln und böse Wörter sagen wie Neoliberal und Kapital..

Michèle Thoma
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