Die kleine Zeitzeugin

Flying Dirndl

d'Lëtzebuerger Land vom 01.10.2021

Eine auf den ersten Blick eher sachlich wirkende Dame steht stramm auf der Bordrampe eines Flugzeugs von Glücksair. In einem Outfit, das an Beliebtheit stetig zunimmt, mit Rüschenblüschen und Schürze, sehr propper, sehr adrett, die Brüste traditionell appetitlich aufgebahrt.

Angehimmelt wird sie von einem ebenso schmuck gewandeten jungen Mann, er trägt kniekurze Beinkleider, die schon seit Jahrhunderten beliebt sind und als unverwüstlich gelten. Und obschon sie nicht vegan sind, ist der Zeitgeist von ihnen ganz begeistert. Gern zeigt, was ein Bursch ist, so seine Wadln den Madln her. Herr Gabalier, volkstümelnder Barde aus Österreich, der jüngst den Großglockner belästigte, indem er einfach auf ihn drauf stieg, unter Anteilnahme fiebernder Fernsehteams und Tausender, wenn nicht gar Millionen oder Milliarden von Follower*innen und unter Einsatz einer Task Force, die ihn unterstützte und stützte, trägt auch mit Vorliebe so was Keckes. Mit Kick. Und zugleich Klassisches. Ur-Style und auch noch geil.

Es handelt sich natürlich, Kenner*innen kennen sich aus, um die luxemburgische Nationaltracht Dirndl und Sepplhose. Sie wird immer beliebter. Sie ist ja auch schlicht und praktisch, nach all dem Geschlechtertohuwabohu und dem Modequatsch scheint es eine Sehnsucht nach Bodenständigkeit zu geben, kurz können die beigen alten Männer aufatmen. Verschnaufen. Alles ist dran, Mann kennt sich aus! In der Auslage liegt Frischfleisch, oder auch gut Abgehangenes, es kann sogar bedienen, es schleppt und stemmt, viele Maße, über die sich die beigen alten Männer maßlos freuen. Die Welt ist heil und geil. Aber auch die beigen und nicht beigen jungen Männer und Frauen finden das mega, einfach Party.

Die Tracht ist zwar nicht auf unserm Mist gewachsen, die auf unserm Mist gewachsenen Trachten sind längst ebendort gelandet, und außer ein paar Heimatforscher*innen entsinnt sich keiner ihrer, lange wurden sie auch gar nicht vermisst. Der luxemburgische multikultivierte Globalkonsument hat sich in Mieder und Krachledernes gezwängt, die noch vor nicht allzu langer Zeit mit einem Bergvolk assoziiert wurden, in dem laut-starke Manns- und Weibsbilder von beklemmender Fröhlichkeit gigantische Holztische belagerten, auf die Fäuste und Maße geknallt wurden. Die viel kleineren, aber nicht weniger umfangreichen Luxusbürger*innen fühlten sich gleich top in diesem Look, sie kamen gar nicht mehr raus und runter. Besonders akut wurde dieses dionysische Gebaren an den Oktoberfesten. Landauf landab tönte es alsbald von Hendln, Haxen, Maßen, vom hohen Norden bis in den abgrundtiefen Süden, in sumpfigen Wiesn und polyvalenten Hallen wälzte sich das trächtige Volk zu Ur-Lauten. So dass ihre Vorfahr*innen sich in den Gräbern wälzten.

Ist das Großherzogtum jetzt ein mit Hopfen und Malz betäubtes Opfer bayrischen Lifestyle-Imperialismus, bei dem Hopfen und Malz verloren ist? Zumindest ist es nicht allein betroffen, China, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, feiert sein weltzweitgrößtes Oktoberfest gar im August. Selbst Macronien ist von der Münchner Mutation befallen!

Noch schlimmer, Glücksair, handelt es sich etwa um kulturelle Aneignung? Und wie sexistisch ist Stewardess im Hausfrauendress? Und wäre Steward mit oder ohne Holz vor der Hütte weniger sexistisch? Wobei Minchn Gottseidank ja nicht Börlin ist. Aber gibt’s, der kulturellen Klischee-Fairness halber, dann Schottland im Schottenröckchen mit zum Essen nichts? Saudi-Gaudi zum Sound des Minaretts?

Die Glücksair-Zielgruppe wird all das nicht von ihrem Ziel abhalten. Sie hält ja schon einiges aus, et gi keng Knippercher méi, a mol kee Crémant. So heimelig, so kann-nichts-passieren transportiert Identitätsemblem Glücksair das anspruchsvolle luxemburgische Profi-Profittier, den rastlosen Enjoyer, die lechzende Kulturfurie in die nahe, nicht allzu gefährliche Welt hinaus.

In Minchn ist die Wiesn abgesagt. Die gibt es in the air, bei Glücksair, mit specially dressed up crew. Wie es in der neuen Nationalsprache Englisch heißt. Oans, zwoa, gesuffa! lockt es dann aber ganz authentisch.

Michèle Thoma
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