Binge Watching

Die Last der Krone

d'Lëtzebuerger Land vom 04.12.2020

Ein Fluss aus Gold formt sich, begleitet von der imposanten Titelmusik von Hans Zimmer, zu einer Krone, massiv, unzerbrechlich und prächtig, wie die Adelsfamilie, die sie zu tragen hat: Die Windsor-Dynastie. Das Adelshaus ist das Zentrum von The Crown, einer Netflix-Produktion von 2017. Die von Peter Morgan entwickelte Serie, der auch den Film The Queen aus dem Jahr 2006 konzipierte, gilt bis dato immer noch als die teuerste, die der Streaming-Dienst bisher in Auftrag gegeben hat; die Kosten für die erste Ausgabe sollen sich auf 80 Millionen US-Dollar belaufen haben. Das ist sicherlich auf die aufwändige Rekonstruktionsarbeit der 1950-er Jahre zurückzuführen, in denen diese breit angelegte Geschichtsschau ihren Ausgang nimmt: Mit der Thronbesteigung Queen Elizabeths II geht das Königshaus in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts über.

Das Paktieren mit Winston Churchill, der sich zur Nachkriegszeit als Vater der Nation sieht und sich an seine Macht klammert, ist das Hauptkonfliktfeld der ersten Staffel. Die Handlung weitet sich dann über die Krise des Suez-Kanals zu Margaret Thatcher und dem tragischen Schicksal von Prinzessin Diana aus. Dabei gilt fortwährend das Credo, das gleich zu Beginn feststeht: Die Krone muss immer an erster Stelle stehen. Denn hier gibt es die Tradition und das Zeremoniell, da die komplexen individuellen Interessen und Beziehungen. Peter Morgans Blick ist weder reißerisch noch voyeuristisch, er ist vielmehr interessiert an einer Zustandsbeschreibung, an einem Kreisen im royalen Milieu.

The Crown beschreibt eine Programmierung von contenance, die ein Netz diverser Verpflichtungen und gegenseitiger Abhängigkeiten schafft. Die Ehrwürdigkeit und die Wahrung der Etikette, die Erhaltung des Glanzes der Monarchie setzen der Freiheit und der Ausprägung von Individualität enge Grenzen. Die Achtung für symmetrische Konstruktionen im Bild, die Unbeweglichkeit der Kamera und die Strenge in der Montage stehen im Kontrast zu der leitmotivisch eingesetzten entfesselten Kamera bei den Szenen der stürmischen, fluchtartigen Pferdeausritten.

Claire Foy ist als Queen Elizabeth unsere Ankerfigur in dieser Welt der zweckdien-lichen Notwendigkeit – denn das ist das zentrale Themenfeld aller Folgen von The Crown: die Wahrung des Erforderlichen. Foy gibt die Königin mit einer überwiegenden Ruhe, mit Grazie und einer innerlichen Zerrissenheit, gerade so, dass man meinen möchte, sie sei die gefühlsbeladene Ausdruckslosigkeit. Auf dieser Oberfläche setzt sie gelegentlich Gesten und Blicke ein, die gegen das angespannte Korsett des königlichen Protokolls anspielen. Mit minimalistischen Brechungen unterwandert sie die Etikette am königlichen Hof: hier ein stechender Blick aus den großen blauen Augen, dort die Andeutung eines Stirnrunzelns, wegwerfende Handbewegung – lauter kleine Trotzgesten.

Olivia Coleman übernimmt die Rolle, legt sie sogar noch zurückhaltender an als Foy und gestattet sich so gut wie keine Gefühlsregung mehr. Bemerkenswerterweise wird das, was im royalen Milieu als Alltag beschrieben wird, dann auch fast ganz ohne Humor angesehen, viel deutlicher setzt die Serie auf die Bürde dieser Herrschaftsinsignie, welche die Titelsequenz so eindrücklich präsentiert. Besonders das Heraldische der Tonspur, die pompösen Trompetenfanfaren in der Musik von Rupert Gregson-Williams, liegen wie eine drückende Last aber auch als Ausdruck prachtvoller Erhabenheit über den Bildern. Dass sich die Serie nicht in den Niederungen der Soap-Opera verirrt, liegt an einem großartig spielenden Ensemble, das von Staffel zu Staffel wächst und in einigen Fällen ersetzt wird. Die Darsteller/innen schaffen es, das Spannungsverhältnis zwischen royaler Pflicht und privater Neigung, den Reibungen zwischen den Interessen der Krone und der Verpflichtungen gegenüber der Regierung und der Bevölkerung glaubwürdig und eindringlich zu darzustellen.

Marc Trappendreher
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