Die kleine Zeitzeugin

Fäulnis und Ver-Blendung

d'Lëtzebuerger Land vom 15.10.2021

Von Anfang an suchten mich Waldheim-Flashbacks heim. Die devot-geschmeidige Haltung, das zugleich Aufrechte und Gebückte, die glatte Versiertheit, die unterwürfige Arroganz. Beim letzten Fernsehinterview des Noch-Bundeskanzlers das Nichtmehrwissen, sich Nichtmehrsicherinnern, die Abwehr und das sich Verwehren des Angezweifeltwerdens. Waldheim, Betagte mögen sich entsinnen, war jener österreichische Bundespräsident und frühere Generalsekretär der Vereinten Nationen, der sich partout nicht mehr an nichts erinnerte. Je mehr Erinnerung zutage trat desto mehr Nichts ward ihm. Er war es immer nicht.

Der Knabe Kurz mit dem Knospenmund und der Gel-Skulptur auf dem Schädel, dem festen Schritt, dem unbeirrten Blick, dann brav in Messdienerpose. Mal steht er da, als würde er den Segen erteilen, mal enteilt er smart slimfit mit seiner in wichtigsten Staatsämtern untergebrachten Boygroup. Buberlpartie, sagen die Österreicher*innen. Sie kennen sich aus in Buberlpartien. Haben schon einige hinter sich. Haider, dessen Regierungsbeteiligung einst Europa beinahe in den Herzinfarkt jagte, Herzkasperl heißt das in Wien, trat am liebsten inmitten seiner Peer Group auf. Gestylte junge Männer in schnellen Autos, angeblich mit Schmäh, angeblich mit Charme. Vor allem mit der Chuzpe der Hybris.

So etwas lieben man in Österreich. Den Schein, den Dünkel, den Schein im Dünkel. Kratzfuß und Handkuss. Die schillernde Schleimspur. Immer wieder auf den Schleim gehen. Immer noch gespeichert in der DNA, immer noch antrainiert in den Kreisen, um die sich alles dreht, dort wo die Pirouetten gedreht werden, bis allen schwindlig ist, von all dem Schwindel. Das Bundeskanzleramt befindet sich am Ballhausplatz. So ein Theater! sagen Greis*innen liebevoll vor dem Bildschirm. Alles ist ein Theater, alles eine Bühne. Überall Kasperln. Beim Herzinfarkt, beim Staatsinfarkt. Ein grandioser Unernst, ein Sich-Drüberspielen über Abgründe, katholischer Karneval statt evangelischer Ernst. Nur nicht fad! Dafür aber fesch! Dass die da oben Gauner sind, darüber herrscht wohl weltweit Konsens. Darob, weiß man eh, zuckt gelernter Österreicher aber eher mit den Achseln als dass er auf Barrikaden stiege. Es ist alles Oarsch, der Österreicher ist im Oarsch dahaam, aber genau da fühlt er sich pudelwohl.

Leichtigkeit des Seins und schwerste Anfälle von Betörung. Die blauen Augen von Strache. Haiders mit Schmäh servierte Ausländerhetze, das gleiche Rezept bei Strache. Ganz so kalt wie bei Höcke wird einem dabei nicht. Kurz, der feuchte Schwiegermutter-Traum und seine Jungs, die fest entschlossen in eine supermega Zukunft strebern. So weit wie wir jetzt ging ich noch nie!, smst einer seiner pubertären Prätorianer, wie sie sich untereinander nennen. Besoffen von sich selbst. Schwer auf der Ego-Droge. Junge Römer, sang Falco vor langer Zeit.

In Österreich gibt es eine Lust daran, blendenden Erscheinungen zu verfallen. Zu verfallen. Zu fallen. Mit der Erscheinung, der blendenden, die so erschienen ist. Dann stehen sie neben dem zerbrochenen Götzenbild, o, nichts drin und nichts dahinter. Hohl. Sie stehen lädiert, aber nicht so, nicht vernichtet, denn sie sind abgehärtet und flexibel zugleich, sie wischen sich den Glitzer aus den Augen. Hat doch so schön geglänzt, gerade noch. Enttäuscht, ja schon. Doch.

Ent-Täuschung, wird sich jetzt dem schmerzlichen Lern-Prozess gestellt? Oder Verdrängung, Spezialität des Hauses Österreich, und Domina Jelinek muss das Land wieder auf die Couch bitten? Aber wer geht noch ins Theater? Das ist ja eh gratis und überall.

Und nach all dem Theater wieder die pseudo-weise Abgeklärtheit, die einen weit höheren Stellenwert hat als profane Klarheit. Jetzt muss aber wieder Ruhe einkehren! So ähnlich formuliert es der neue Kanzler. Einen Untadeligen wünschten sich die Grünen von den schwarz-türkisen Koalitionspartnern. Einen Adeligen haben sie bekommen. Es gibt keinen Adel in Österreich. Eh nicht.

Michèle Thoma
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