Der Held unter den  Veilchen

d'Lëtzebuerger Land vom 28.03.2025

Schuck. Hoffentlich nicht schon wieder der Held darunter. Unter den Veilchen. Die eine befreundete Künstlerin so gern postet, vielleicht postet sie einfach mal Veilchen ohne. Ohne Toten darunter.

Aber nein. Da liegt er wieder, der in der Erde geborgene ewige Tote. Der ewige Held, im ewigen Grün. Eine Fotomontage aus Grün und Blass, die Blässe nicht mal Totenblässe, nichts Schauerliches an der Darstellung des sanft Schlummernden. Ein schöner Toter. Ein ästhetisches Totsein. Der ukrainische Dichter und Unteroffizier Maksym Oleksandrowytsch Krywzow, gestorben bei Charkiw Anfang Januar 2024, im Alter von 34 Jahren. „Meine Arme, herausgerissen/ sprießen im Frühjahr mit Veilchen… ach wäre es doch schon Frühling/um endlich/in ein Veilchen/aufzublühen“. Gedichte aus der Schießscharte, heißt der nach seinem Tod sofort ausverkaufte Band, schon hat der tote Dichter Kultstatus. Heldentod? Hätte der tote Dichter dieser lebendigen Lyrik sich selber Held genannt so wie die von seiner Dichtung und seinem Einsatz für die Ukraine begeisterte Künstlerin ihn nennt?

Stopp den Kitsch. Stopp den Heldentodveilchenkitsch! Aber dann bin ich mir nicht mehr sicher. Die Collage ist von zarter Poesie, eine Hommage an die zarte Wildheit dieser Lyrik. Und dass er freiwillig in den Krieg zog, um zu verteidigen, was größer ist als er, wie kann ich Ego-Partikel, für die Freiheit und hm Heimat, peinlicher Begriff, sagen wir unverfänglich Herkunftsland, selbstverständlich sind weil halt immer da, noch, noch, wie es um mich herum raunt und mich anschreit, dazu etwas sagen? Ich lebe weit vom Schuss. Noch, noch, wie es um mich herum raunt und mich anschreit.

Größer als er selber? Heimat, Werte, Freiheit … größer als das Leben? Das Leben an sich? Das eigene Leben, welches sonst? Lieber ein lebendiger Feigling als eine tote Heldin, war das nicht stets meine Devise? Volles Verständnis für Henry Miller, der sich lieber auf griechischen Inseln in der Sonne räkelte als gegen Nazis zu kämpfen. Volles Verständnis für die ukrainischen Männer, die sich durch Schneewälder kämpfen auf der Flucht vor der Front, oder, besser, sich in ein Flugzeug setzen. Und überhaupt, w.h. Feigling? Was soll man angesichts des Todes tun außer Wegrennen. So lang, so weit man kann.

Meine Degeneration, die Nachkriegskinder und Boomer/innen aus Ländern, die sich das Etikett Westen aufgeklebt haben, die Verweichlichten, Verwöhnten, Versöhnten, die die sich vorstellten es sei Krieg und alle würden ihn schwänzen. Dann gäbe es ihn gar nicht. Liebe machen statt Krieg, dann hätten wir ihn weggeliebt.

Meine Degeneration, so dachte ich, hat eine Heldenallergie, Held war no go, Held geht gar nicht. Helden waren Denkmal-Fossile, Held, Gendern unnötig, war v.a. tot. Die Frauennische wartete auf mit dem unattraktiven Angebot Heldin des Alltags, Mühsal statt Denkmal. Die Heroes meiner Degeneration waren Anti-Helden. Zwar meist auch tot. Sie hießen Hendrix und Joplin und Morrison und Kerouac, aber sie waren wenigstens für nichts gestorben. Nicht für Gott, nicht fürs Vaterland. Nicht für die Freiheit. For free.

Meine Degeneration stand vor diesen in Grabstein gemeißelten Kriegern wie vor Dinosauriern, sie waren so weit weg, das war so weit weg, das würde nie wieder kommen, die Kriegsgeschichten der Eltern stammten aus einer verschollenen Epoche der Menschheit, die hatte seither einen Quantensprung absolviert, einen Entwicklungsschub, zumindest die Menschheit hier, die rund um uns, die in Sprachen sprechen die wir halbwegs verstehen, die so ticken wie wir. In diesen Sprachen gibt es keine Helden mehr. Sie sind auf den Schlachtfeldern geblieben die es auch nicht mehr gibt und werden nie mehr auferstehen. Wir brauchen sie nicht mehr. Oder?

Woher kommen sie jetzt. Sie erheben sich aus den Schützengräben der Erinnerung, wir sehen sie in den Fotogalerien von Kiew, in den Posts aus Gaza heißen sie Märtyrer, das aus den Gräbern der kollektiven Verdrängung ausgebuddelte Wort funkelt auf in den Augen von Politiker/innen, denen gepanzerte Wortgetüme mittlerweile so unheimlich leicht von der Zunge gehen. Dass einer ganz heldentümlich zumuthe wird.

Michèle Thoma
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