LEITARTIKEL

Politisch entschieden

d'Lëtzebuerger Land du 08.01.2021

Manchmal ist Luxemburg richtig gut: Ende Dezember teilte das Laboratoire national de santé mit, seine Abteilung für Mikrobiologie habe seit Beginn der Pandemie aus 3 027 Covid-positiven PCR-Tests die Genome des Virus sequenziert, allein 2 285 seit dem 1. Oktober. Man verfüge über die Kapazität, um zehn Prozent der im Land zirkulierenden Virusvarianten zu sequenzieren.

Das ist viel, sehr viel sogar. Zum Vergleich: Das deutsche Robert-Koch-Institut kannte in der Woche vor Weihnachten 1 742 Virus-Sequenzen. Für ganz Deutschland und seit Pandemiebeginn. In den USA werden, wie die New York Times am Mittwoch schrieb, von den 1,4 Millionen pro Woche durchgeführten PCR-Tests lediglich 3 000 sequenziert, das sind 0,21 Prozent. Luxemburg dagegen ist so gut wie Großbritannien. Dort erlaubt ein mit Millionenaufwand eingerichtetes Konsortium die Genom-Sequenzierung von zurzeit 9,7 Prozent der Virustests im landesweiten Schnitt. Das hat erlaubt, im Vereinigten Königreich jene Virusmutation aufzuspüren, die für viel Unruhe sorgt, weil sie besonders ansteckend sein soll. Die Überwachung der Epidemie mittels Bio-Hightech bringt offensichtlich etwas.

Wenn Luxemburg darin ähnlich gut ist, sind die Entscheidungen der Regierung von dieser Woche umso unverständlicher. Natürlich kann man es begrüßen, dass ab kommendem Montag Kulturstätten wieder öffnen sollen, ebenso der Einzelhandel, dass in den Schulen wieder „Präsenzunterricht“ gilt und dass nicht schon ab neun Uhr abends Ausgangssperre gilt, sondern erst ab elf. Das wurde „politisch entschieden“, wie Premier Xavier Bettel erklärte. Dazu ist die Politik da, dazu sind Regierungen da. Aber kann die Regierung sicher sein, dass die Lockerungen, die sie nun in Kraft setzen lassen will, nicht zu weit gehen, auch wenn weiterhin Strenge waltet?

Wie sich noch während der Pressekonferenz nach der Regierungsratssitzung am Montag zeigte, geschah „den politeschen Arbitrage“, wie Xavier Bettel ihn nannte, gegen die ausdrückliche Empfehlung des Gesundheitsministeriums: Man kenne den Feiertagseffekt noch nicht gut genug, der vielleicht nur deshalb zum Rückgang der Infektionszahlen führte, weil weniger getestet wurde, schrieb das Ministerium. Und nicht zuletzt: „(...) il est indispensable que le recul des nouvelles infections soit soutenu pendant quelques semaines non seulement afin de réduire le risque de recrudescence mais aussi afin d’assurer une efficacité optimale du contact tracing (<150 infections/jour)“.

Diese Schwelle wird im Moment unterschritten. Mit Stand vom Dienstag lag der Sieben-Tage-Schnitt bei 145 Corona-positiv Getesteten. Doch darin stecken weniger Testresultate. Am 24. Dezember betrug der Schnitt noch 286. Die Regierung kann nicht wissen, welche Maßnahmen überflüssig sind, wenn ihr wichtigstes Instrument zur Epidemie-Kontrolle, das Contact Tracing, erst neuerdings wieder funktionieren kann. Das macht die Beschlüsse vom Montag zu einer riskanten Wette auf die nahe Zukunft.

Und das gilt umso mehr wegen der sich nun nach und nach ausbreitenden Virusmutante B1.1.7, die in Großbritannien aufgespürt worden war. Das LNS mit seiner ebenfalls vorbildlichen Genom-Sequenzierungskapazität hat sie in Luxemburg bisher drei Mal ausfindig gemacht. Das klingt noch nach nicht viel, doch wenn diese Version von Sars-CoV-2 tatsächlich bis zu 70 Prozent ansteckender ist, dann wird sie sich durchsetzen – das folgt aus dem Evolutionsprinzip. Wie die Gesundheitsministerin am Mittwoch der Presse sagte, haben die drei damit infizierten Personen epidemiologisch nichts miteinander zu tun. Also können sie unabhängig voneinander das mutierte Virus schon weitergegeben haben. Ab nächster Woche verbreitet es sich vielleicht noch schneller. Und das so wichtige Contact Tracing funktioniert bestenfalls erst wieder gerade so.

Man müsse „alles auf die Waage legen und ein Gleichgewicht finden“, argumentierte der Premier. Doch wer ein Gleichgewicht halten will, muss es kontrollieren können. Die Regierung hat am Montag darauf verzichtet, dafür längerfristig zu sorgen. Lieber beschließt sie, falls nötig, nächste Woche schon wieder ein neues Covid-Gesetz.

Peter Feist
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