Weltpremiere einer Cocktail Party

Ein Vokalensemble erzeugt kuriose Töne mit Gläsern, Strohhalmen und Flüssigkeiten
Foto: Claire Barthelemy
d'Lëtzebuerger Land vom 11.04.2025

Wer stand nicht schon einmal unbeholfen auf einer Party herum, Getränk in der Hand, unsicher, welchem Gespräch man sich anschließen soll? Catherine Kontz hat dieses Phänomen in ihrer Partitur Cocktail Hour dekonstruiert, in der Gläser und Trinkhalme als Instrumente dienen. Das Land war bei der ersten öffentlichen Aufführung des Stücks in London dabei.

Im East End, unweit der hippen Bars und Restaurants der Brick Lane, befindet sich das unscheinbare Brady Arts & Community Centre. Es ist sieben Uhr abends und die Kälte der Frühlingsnacht ist eingebrochen. Mit ihrer charakteristisch bunten Garderobe ist Catherine Kontz selbst in der dunklen Hanbury Street leicht auszumachen.

Sie ist hier, um sich die Vorstellung ihres eigenen Stückes anzuschauen, das im Rahmen des Konzerts What not to say zusammen mit anderen zeitgenössischen Werken aufgeführt wird.

In Cocktail Hour erzeugt ein Vokalensemble kuriose Töne mit Gläsern, Strohhalmen und Flüssigkeiten. Catherine Kontz beschreibt es als Eisbrecher, eine humorvolle Art und Weise, in einer neuen Gruppe Schüchternheit zu überwinden. So benutzten auch Professoren des Londoner Royal College of Music das Stück zum Studienauftakt des Master-Lehrgangs in Komposition. Sie sangen und sprudelten Cocktail Hour mit den Studenten, die diesen Studienbeginn wohl so schnell nicht vergessen werden. Bislang war das Stück außerhalb des Colleges, an dem Catherine Kontz auch unterrichtet, nicht zu erleben. Bis heute.

„Soweit ich weiß, wurde es noch nie öffentlich aufgeführt“, sagt Catherine Kontz. „Es ist also die Weltpremiere!“, lacht sie.

Auch für sie wird der Abend in gewisser Hinsicht eine Überraschung sein. Sie weiß nicht, wie ihre Komposition interpretiert wird, denn sie selbst war an der Aufführung nicht beteiligt. „Ich bin gespannt, wie es werden wird“, so Kontz, die in der kleinen Eingangshalle andere Komponist/innen und Professor/innen begrüßt, die ebenfalls den Weg in das Gemeinschaftszentrum gefunden haben.

Zu Beginn des Konzertes macht eine Sängerin der Truppe Besucher/innen auf die Notausgänge aufmerksam, eine klassisch britische „health and safety“-Tradition. Sie warnt jedoch auch, dass es im Intervall nur Softdrinks gibt.

„Dies ist ein trockener Veranstaltungsort, daher können wir Ihnen leider nichts Aufregenderes bieten. Und das, obschon der erste Teil der zweiten Hälfte eine Cocktailstunde ist“, lacht die Sängerin.

Es folgt ein Programm, das, so der Veranstalter, „das theatralische Potenzial von Stimmen“ erkundet, mit Stücken, die „Gestik, Bewegung und Improvisation“ einbeziehen. Joe Davis’ Butterflies in the Web (2020) ist ein Perkussions-Stück, das während des Corona-Lockdowns geschrieben und über Zoom geprobt wurde. Die ärgerlichen Verzögerungen, die Videokonferenzen mit sich bringen, wurden bewusst ins Stück integriert. An diesem Abend wurde es live vorgetragen, ganz ohne digitalen Schluckauf.

What not to say von Leon Clowes ist das Highlight der ersten Konzerthälfte. Sänger/innen erhalten hier Papierfetzen mit Aussagen, die in schwierigen Situationen niemand hören will. „Es könnte alles schlimmer sein.“ „Es ist alles Teil des großen Plans.“ „Hast du es mal mit Kamillentee probiert?“ Das sind einige der gutgemeinten Sätze, die gleichzeitig durcheinander gesungen eine beißende Kakophonie bilden.

Nach der Pause treten die Sänger/innen mit Gläsern auf der Bühne, die Weltpremiere von Cocktail Hour kann beginnen. Wie so oft auf Partys, beginnt das Stück eher verhalten, mit Leuten, die sich etwas schüchtern in kleinen Gruppen unterhalten. Jeder hält sich an seinem Glas fest, als wäre es eine Stütze, manche fangen an, in die Halme zu blasen. „Sprudeln, mit Stimme“, heißt es auf Catherine Kontz’ Partitur, die in Zeitleisten eingeteilt ist. Sänger/innen benutzen Timer, um der außergewöhnlichen Partitur zu folgen. Die Partygänger der Gruppe auf der rechten Seite der Bühne scheinen sich wohler zu fühlen – eine Frau lacht laut los. Es sprudelt lauter, noch mehr Gelächter. Plötzlich beginnen einige, eine aufsteigende Tonleiter zu singen. Die Gläser dienen als kleine analoge Verstärker der jeweiligen Stimmen. „Verwenden Sie den höchsten Ton der letzten B-Tonleiter. Es wird lauter“, verlangt die Partitur. Die feucht-fröhliche Stimmung kippt ins Groteske. Die Gläser sind nun fast leer.

Obwohl Catherine Kontz das Stück nicht als Komödie vorgesehen hat, ist das Gelächter in Cocktail Hour ansteckend. „Es ist nicht vorgeschrieben, dass es witzig sein muss. Ich wollte etwas schreiben, das den Performern Spass macht“, so die Komponistin.

Das scheint ihr gelungen zu sein, denn am Ende der Aufführung grinsen einige Sänger und Sängerinnen. Das Stück wurde von Contemporary Music for All vorgestellt, einer Organisation, die mit kleinen Ensembles, Workshops und Residenzen zeitgenössische Musik im Vereinigten Königreich und auch im Ausland fördert. Sie bringt Amateurmusiker/innen mit Komponist/innen in einem inklusiven Austausch zusammen, der im Genre eher ungewöhnlich ist. Genau das reizt Catherine Kontz.

„Die Stimmen dieser Sänger sind nicht so trainiert, wie die der Profis“, erklärt sie. In einem der Stücke räusperte sich etwa eine Sängerin, ohne dass es Zuschauer/innen sichtlich störte. „Mit Professionellen wäre das Ganze viel kontrollierter und es hätte weniger Charme“, so Catherine Kontz.

Sie findet es wichtig, dass zeitgenössische Komponist/innen nicht nur Musik für professionelle Musiker/innen schreiben. „Es gibt so viele Geräusche und Laute, die man erkunden kann, und es ist schade, wenn man erst Chopin beherrschen muss, bevor man andere Sachen ausprobiert“, sagt sie. „Die Welt ist voller Geräusche und jeder kann sie erzeugen. Warum also nicht was Musikalisches daraus machen?“

Auch große klassische Komponisten hatten nicht immer Zugang zu professionellen Musiker/innen. Sie nennt das Beispiel von Antonio Vivaldi, der im 18. Jahrhundert im Ospedale della Pietà unterrichtete, einem Waisenhaus für Mädchen in Venedig. Dort durften Mädchen Instrumente spielen, die normalerweise Männern vorbehalten waren. Vivaldi schrieb im Ospedale viele seiner Kompositionen und probte sie mit den Ensembles des Waisenhauses. „Das war damals zeitgenössische Musik“, sagt Catherine Kontz. „Man musste sie mit den Leuten spielen, die man zur Verfügung hatte. Es müssen nicht immer professionelle Musiker sein.“

Diesem Leitsatz folgt Kontz auch in ihrer Rolle als Kuratorin des Luxemburger Festivals Rainy Days. Für die diesjährige Edition hat sie sich mit der Luxembourg Saxophone Association zusammengetan, um ein Projekt mit Amateur-Saxofonisten auf die Bühne zu bringen. Um welches Stück es sich handelt, kann sie noch nicht verraten, doch eins steht fest: Es wird ein inklusives und sehr ambitionniertes Experiment. Denn „es gibt viele kreative Möglichkeiten, Menschen einzubeziehen“, so die Komponistin.

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Claire Barthelemy
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