Die Gesondheets-App der AMMD galt einst als öffentlich-private Patentlösung für die automatische Erstattung von Arztrechnungen. Nun erhält sie nicht ganz unerwartet Konkurrenz

Marktführer

d'Lëtzebuerger Land du 03.12.2021

PPP Um den Tiers payant généralisé und die Einführung einer „Staatsmedizin“ zu verhindern, hatte die Vereinigung der Ärzte und Zahnärzte AMMD vor drei Jahren die Idee, eine eigene Smartphone-App zu entwickeln, die es den Patient/innen ermöglichen sollte, ihre Arztrechnungen digital zu begleichen. Die CNS, der das entgegenkam, weil sie damit Papier, Personal und Kosten sparen kann, ließ sich darauf ein. 2019 gründete die AMMD zusammen mit dem bislang vor allem im Bereich der digitalen Finanz- und Versicherungsdienstleistungen tätigen Unternehmen Have-a-Portfolio von Claude Havé die Sàrl Digital Health Network (DHN). DHN arbeitete ein Komplettpaket aus, das seit einigen Wochen die Rückerstattung der Arztkosten durch die CNS beschleunigt (Remboursement accéléré) und ab 2023 die digitale Bezahlung von Arztrechnungen (Paiement immédiat direct) ermöglichen soll. Damit das funktioniert, braucht es drei Module: die Gesondheets-App, die die Krankenversicherten sich auf ihr Smartphone laden können; einen eConnector, den die Ärzt/innen auf den Rechnern in ihren Praxen installieren müssen; und das Herzstück des Systems, das sogenannte eAdministrative, ein Zwischenmodul, das – vereinfacht ausgedrückt – Gesundheitsdaten lesen kann und die Kommunikation zwischen Patient/innen, Ärzt/innen und der CNS ermöglicht. Weil DHN nicht über eigene Server verfügt, hat die Agentur eSanté der Firma auf unbestimmte Zeit eine Nutzungsgenehmigung für ihre Plattform mit den Gesundheitsdaten erteilt, auf der das eAdministrative als sogenannter Service eSanté de support läuft. Da die AMMD 80 Prozent der Anteile an DHN hält und gleichzeitig Mitglied der wirtschaftlichen Interessengemeinschaft eSanté ist (ihr Präsident und ihr Generalsekretär gehören der Geschäftsleitung von eSanté an), hinterlässt diese öffentlich-private Partnerschaft einen etwas faden Beigeschmack.

Eine Zeit lang hatte es so ausgesehen, als ob DHN so etwas wie Exklusivrechte für die digitale Bezahlung von Arztrechnungen in Luxemburg hätte. Die Firma konnte sich auch vorstellen, andere Dienste wie digitale Rezeptverschreibungen und das Versenden von Arbeitsunfähigkeitserklärungen über ihre App anzubieten. Es sollte ein globales und einheitliches Paket werden, das von allen Ärzt/innen und Patient/innen genutzt werden könnte. Damit der Datenschutz und die Sicherheit gewährleistet sind, besorgte sich DHN Zertifikate für digitale Signaturen bei dem mit Have-a-Portfolio in einer wirtschaftlichen Interessengemeinschaft (GIE) zusammengeschlossenen Unternehmen Nowina Solutions sàrl. Spätestens nach der Einführung des Paiement immédiat direct sollten neben der CNS auch die CMCM und private Krankenkassen an das System angeschlossen werden können.

Marktlogik Der Umschlagplatz für digitale Gesundheitsdienste ist hart umkämpft. Und das nicht erst seit es Apps gibt. Mehr als zehn nationale und internationale Firmen teilen sich seit Jahren den Markt der Verwaltungssoftware für Arztpraxen auf. Dass sie DHN kampflos das Feld überlassen, schien von Anfang an unwahrscheinlich. Da die Firma der AMMD sich aber schon früh eine Nutzungsgenehmigung für ihren eAdministrative bei der Agentur eSanté gesichert und ein ihrer Ansicht nach nutzerfreundliches und sicheres Gesamtkonzept vorgelegt hatte, hoffte sie, die anderen Softwarefirmen würden sich an ihr Modul andocken oder den kleinen luxemburgischen Markt vielleicht einfach ignorieren und ihr das Monopol überlassen. Sogar Premierminister Xavier Bettel (DP) hatte in seiner letzten Rede zur Lage der Nation im Oktober noch damit geworben, dass die Regierung mit der AMMD eine App zur automatischen Erstattung von Arztrechnungen entwickeln werde, die bis 2023 einsatzbereit sein soll. Doch die AMMD wurde enttäuscht.

Die CNS hat vor einem Monat eine eigene App veröffentlicht, obwohl sie das eigentlich bis letztes Jahr noch nicht vorhatte. Die CNS-App, die sich laut eigenen Angaben an das eAdministrative von DHN angedockt hat, wird von der AMMD nun offenbar als unlautere Konkurrenz gesehen, denn am Mittwoch griffen ihr Präsident Alain Schmit und ihr Generalsekretär Guillaume Steichen auf einer Pressekonferenz die Agentur eSanté, die den Auftrag für die Entwicklung der CNS-App an die luxemburgische Firma Kirepo vergab, scharf an. Sie warfen der Agentur unter anderem vor, ihre öffentliche Mission nicht zu erfüllen, und bemängelten, dass eSanté nicht über eine elektronische Signatur verfüge. Doch neben der CNS drängen auch private Unternehmen auf den digitalen Gesundheitsmarkt.

Einer von ihnen ist der Anbieter der Verwaltungssoftware Medicus, Sims Solutions sàrl., der eine eigene Anwendung und einen dazu passenden eConnector entwickelt hat. Eigenen Angaben zufolge hat Sims ihre Verwaltungssoftware in rund 500 Arztpraxen installiert. Vor einigen Monaten richtete Sims ein Schreiben an ihre Kunden und an die zuständigen Minister/innen, in dem die Firma sich darüber beklagt, dass ihr der Zugang zum eAdministrative von DHN verwehrt worden sei. Um das Modul nutzen zu können, habe DHN die Unterzeichnung eines Vertrags gefordert, der bestimmte Exklusivitätsklauseln enthalten habe, mit denen Sims nicht einverstanden sein könne. Unter anderem habe der Vertrag vorgesehen, dass die Ärzte, die das System von Sims nutzen wollen, für jede Transaktion 44 Cent an DHN zahlen. Die CNS hatte im Sommer über eine Änderung der Konvention mit der AMMD im Rahmen des Code de la Sécurité sociale (CSS) vereinbart, dass sie diese 44 Cent an die Ärzt/innen und Arztgesellschaften rückerstatten werde. Zusätzlich sieht die Änderung einen bislang nicht bezifferten Zuschlag für jedes Dokument mit einer elektronischen Signatur vor. Dieser Zuschlag sei aber nur optional, falls eine Firma mal in Schwierigkeiten gerate, erklärte CNS-Präsident Christian Oberlé dem Land.

Öffentliche Aufgabe Nach längeren Verhandlungen hat die Gesundheitskasse nun vorgeschlagen, dass Sims ihren eigenen eAdministrative entwickeln kann, damit sie nicht auf den von DHN zurückgreifen muss. Doch das Unternehmen zweifelt daran, dass diese Vorgehensweise rechtens ist. Sims argumentiert, dass die Agentur eSanté ein eigenes, öffentliches eAdministrative-Modul hätte entwickeln müssen, das von allen Anbietern gleichberechtigt hätte genutzt werden können, anstatt diese Aufgabe privaten Unternehmen zu überlassen. In Artikel 60ter des CSS sei nämlich „la réalisation, le déploiement, l’exploitation et la gestion administrative et technique d’une plateforme électronique nationale d’échange et de partage de données de santé, ainsi que d’applications et de systèmes informatiques de santé à l’échelle nationale, comportant (...) d’autres projets informatiques à envergure nationale visant à faciliter l’échange, le partage ou une meilleure utilisation des données de santé“ als eine der Missionen der Agentur eSanté definiert. In einer parlamentarischen Anfrage an Paulette Lenert und Romain Schneider weist der grüne Abgeordnete Marc Hansen ebenfalls auf diesen Umstand hin. Christian Oberlé, der auch Präsident von eSanté ist, wiegelt im Gespräch mit dem Land jedoch ab. Die Entwicklung eines Verwaltungsmoduls gehöre weder zu den Missionen noch zu den Prioritäten von eSanté. Die 30 Mitarbeiter/innen der Agentur hätten andere Aufgaben und keine Zeit, um digitale Lösungen für Ärzt/innen zu entwickeln. Deshalb habe man die Initiative von DHN vor zwei Jahren „sehr interessant“ und unterstützenswert gefunden und man sei auch für andere Anbieter offen, solange sie die Regeln und Vorgaben von eSanté respektieren.

Bislang hat DHN erst vier Software-Anbieter davon überzeugen können, sich seinem System anzuschließen, mit drei anderen wird noch verhandelt. Laut AMMD haben seit ihrer Einführung im Oktober rund 100 Ärzte den eConnector und 1 000 Patient/innen die App von DHN installiert. Angestellte hat DHN bisher nicht. Im vergangenen Jahr hat die Firma fast 40 000 Euro Verlust gemacht (gegenüber 10 000 Euro im Jahr 2019) und über eine Million Euro an zusätzlichen Schulden angehäuft. Laut DHN-Geschäftsführer Claude Havé sind die Schulden in diesem Jahr noch weiter angestiegen. Obwohl die Firma auf Transparenz setzen will, ist eigentlich nicht klar, wer was bei DHN macht. Sicher scheint nur, dass die elektronischen Signaturen von Havés Businesspartner Nowina Solutions entwickelt und abgewickelt werden.

Um rentabel zu sein und Schulden abbauen zu können, hofft DHN, dass es künftig auch digitale Rezeptverordnungen und Krankenscheine über sein System anbieten kann. Doch diese Dienste erweisen sich als weitaus komplexer als das Remboursement accéléré. Insbesondere im Bereich der Arbeitsunfähigkeitserklärungen werden auf EU-Ebene internationale Lösungen angestrebt. Auch Luxemburg wünscht sich wegen der vielen Grenzpendler ein einheitliches System.

Arbed Ob eine kleine Startup wie DHN solche komplexen Aufgaben stemmen kann, wird in Gesundheitskreisen bezweifelt. Auf ihrer gemeinsamen Pressekonferenz warben DHN und AMMD am Mittwoch für ihr benutzerfreundliches System und die Sicherheit ihrer Signatur und bekundeten ihre Absicht, ihre innovative Lösung wie einst die Arbed von Luxemburg aus in die ganze Welt exportieren zu wollen. Gleichzeitig beschuldigte AMMD-Präsident Alain Schmit eSanté, das System von DHN zu boykottieren, indem sie ihre Vertreter nicht zu Versammlungen über digitale Rezeptverschreibungen einlade oder die Ärztevereinigung bei anderen Gesundheitsakteuren schlecht rede.

Der etwas dünnhäutig anmutende Angriff der AMMD könnte damit zu tun haben, dass DHN finanziell unter Druck steht. Einige Ärzte haben viel Geld in die Firma investiert und wollen es nur ungern verlieren. Dass eSanté nun nach eigenen Lösungen sucht und größere und erfahrenere Anbieter für die digitale Rezeptverschreibung und den Austausch von Arbeitsunfähigkeitserklärungen bevorzugen und DHN seine Stellung als potenzieller „Marktführer“ verlieren könnte, gefällt der AMMD nicht.

Andererseits stellt sich die Frage, ob die CNS beziehungsweise eSanté mit der frühzeitigen Vergabe der eAdministrative-Konvention an DHN nicht protektionistisch und opportunistisch gehandelt hat, indem sie die Lizenzrechte und das geistige Eigentum an eAdministrative an eine private Firma abgetreten hat. Hinter vorgehaltener Hand werden Vorwürfe laut, dass DHN sensible Gesundheitsdaten über öffentliche eSanté-Server in ein privates Unternehmen fließen lasse. Die Agentur stelle zwar die Server gratis zur Verfügung, habe aber selbst keine Kontrolle über eAdministrative. Sowohl die AMMD als auch CNS-Präsident Oberlé (der zum Zeitpunkt des Gesprächs mit dem Land noch keine Kenntnis über die von der AMMD auf der Pressekonferenz geäußerten Vorwürfe hatte) weisen das zurück.

Frechheit Die von DHN wiederholt und auch am Mittwoch wieder geäußerte Behauptung, dass nur sein System über eine elektronische Signatur verfüge, bezeichnen Konkurrenten als „Frechheit“. Unternehmen wie Luxtrust könnten ohne weiteres elektronische Signaturen auch für den Gesundheitsbereich ausstellen. Aus Kreisen von eSanté heißt es, die Zertifikate von DHN seien nicht konform zu internationalen Abkommen und könnten daher nicht von der nationalen Datenschutzkommission genehmigt werden (ein entsprechendes Gutachten der CNPD steht offenbar noch aus). Claude Havé führt das gegenüber dem Land darauf zurück, dass die Ärzte sich im System von DHN nur einmal am Tag zertifizieren müssen. Müssten sie jede einzelne Transaktion signieren, wäre das im Alltagsgeschäft zu umständlich und zeitaufwändig, sagt Havé. Die Signatur von DHN entspreche aber europäischen Konventionen, hieß es am Mittwoch.

Derweil wird die Konkurrenz immer größer. Neben Sims seien drei bis vier weitere Softwareentwickler dabei, sich zu einem Konsortium zusammenzuschließen, um eigene digitale Lösungen anbieten zu können, heißt es aus gut informierten Kreisen. Doch selbst wenn DHN sich auf diesem Markt behaupten könnte, bleiben immer noch Fragen offen. Zum Beispiel die, an wen die Gewinne ausgeschüttet würden, falls DHN positive Geschäftsresultate erzielen sollte. Experten rechnen vor, dass mit den 44 Cent (hors TVA), die die Ärzte pro Transaktion an DHN zahlen müssen, und die von der CNS rückerstattet werden, Umsätze von 10 bis 15 Millionen Euro möglich seien. Fragen danach, was DHN mit diesem Geld anstellen und wer davon profitieren würde, weicht die Ärztevereinigung aus. Würden die Gewinne an die AMMD ausgezahlt, die als Asbl. 80 Prozent der Anteile an DHN hält? Und was würde sie mit dem Geld tun? Diese Fragen bleiben bisweilen unbeantwortet. Dazu passt, dass im Registre des bénéficiaires effectifs noch die zehn Vorstandsmitglieder der AMMD aus dem Jahr 2019 aufgeführt sind (von denen einer bereits verstorben ist). Laut offiziellen Angaben liegt das daran, dass kein wirtschaftlicher Eigentümer von DHN ermittelt werden konnte.

Luc Laboulle
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