Enfant terrible, Weltreisender, Bodensee-Dichter: Norbert Jacques ist jetzt gemeinfrei

Heiße Leidenschaft am Strand

d'Lëtzebuerger Land du 25.04.2025

Klassik oder Schund? Der 70. Todestag ist wichtig für einen Schriftsteller: Aus „zeitgenössisch“ wird „historisch“, für seine Werke erlischt der Urheberschutz. Im Fall von Norbert Jacques geht es um mehr als 50 Bücher, hunderte Kurzgeschichten, Drehbücher und zahllose Artikel. Bei der Einordnung in die Schubladen „Nachruhm“ oder „Vergessen“ hilft nun vielleicht eine Ausstellung im Hesse-Museum am Bodensee.

Die meisten Exponate kommen von der Uni Saarbrücken, wo Hermann Gätje im Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass den Nachlass von Jacques betreut. In Luxemburg ist der Schriftsteller verfemt. Gätje dagegen hält den „Hauptvertreter exotischer Literatur“ heute noch für lesenswert. Sein emotionaler Stil und Hang zum Pathos wirke „bisweilen antiquiert“, aber er vermittle „einen interessanten und vor allem lebendigen Eindruck vom Lebensgefühl und Denken seiner Zeit.“ Zu entdecken ist jedenfalls ein Leben wie aus einem Groschenroman: Flucht aus Luxemburg!

Norbert Jacques wurde am 6. Juni 1880 in eine wohlhabende Kaufmannsfamilie in Luxemburg-Eich geboren. Über seine „unkultivierten Eltern“ klagt er in einem Brief an seine Schwester Bertha: „Auch ich wurde damals geschlagen. Sogar blutig. Ich hatte eine Lippe entzwei...“ Sein Gymnasium ist eine „albartige Heimsuchung der Hölle“. Vielleicht hätte er mit der Frau seines Französischlehrers keine Affäre anfangen sollen?

Der engstirnigen Luxemburger Provinz entkommt Jacques nach Bonn zu einem Jurastudium, also vor allem zu Musik, Kunst und ersten Schreibversuchen. Nach zwei Semestern brennt er mit der drei Jahre älteren Schauspielerin Olly Hübner nach Beuthen durch, wo sie am Theater unterkommt und er bei einer Zeitung.

Als Redakteur hält er sich nicht lang, schlesischen Nationalisten passt er nicht. Das Berliner Büro der Frankfurter Zeitung bleibt auch Episode. Als freier Journalist kommt Jacques 1904 nach Überlingen und findet seine große Liebe: den Bodensee. Bis zu seinem Tod wird er dort wechselnde Wohnsitze haben, an allen Ufern.

Gesponsert von dem Reeder Albert Ballin bricht Jacques zu seiner ersten großen Reise auf, über Madeira nach Brasilien. Die Ausbeute ist sein Debüt-Roman: Funchal. Eine Geschichte der Sehnsucht wird 1909 im Verlag S. Fischer veröffentlicht und gleich ein Erfolg. Die Story von einem südländischen Schiffbrüchigen, der in Dänemark landet, kreist um die Lebensthemen von Jacques: Heimat und Fernweh.

Abenteuer in der Ferne!

Die Ehe mit Olly scheitert umgehend. In Paris lernt Jacques bei dem Schriftsteller René Schickele die Sekretärin von Arthur Schnitzler kennen: Grete Samuely, aus dem Wiener Großbürgertum. Geheiratet wird 1912 in London. Die Hochzeitsreise geht 16 Monate in den Fernen Osten, in die Südsee, nach Australien und Südamerika. Stoff genug für Reiseberichte wie Auf dem chinesischen Fluß oder Heiße Städte. Grete tippt nicht nur die Manuskripte ab. Ihre eigenen Artikel für Zeitschriften wie Die Gartenlaube oder auch Kipling-Übersetzungen erscheinen jedoch gerne unter dem Namen ihres Gatten, der bessere Honorare bekommt.

Im Ersten Weltkrieg meldet sich Jacques freiwillig zur deutschen Armee (die ihn aber ablehnt). Was Luxemburg noch mehr empört: Er nutzt seinen neutralen Pass, um für die Frankfurter Zeitung beide Seiten diverser Fronten zu besuchen. Gätje kann dieser Berichterstattung „auch authentische Blicke auf den Kriegsalltag“ abgewinnen, trotz der pro-deutschen Propaganda.

Jacques ist übrigens schon seit 1909 in der Schweiz gemeldet, zunächst in Salenstein beim Napoleon-Museum. Später mietet er die Luxburg bei Romanshorn, dann kauft er das Schlösschen Gaisberg über Konstanz. Das Panorama ist grandios, aber Vermarktungsversuche von Marmelade-Beeren enden als finanzielles Fiasko.

Bussi-Bussi-Bohème am Bodensee!

Immer, wenn es anderswo ungemütlich wird, zieht es viele Künstler in die von Industrie und Krieg weitgehend verschonte Bodensee-Idylle. Der Schack (in der Schweiz: Tschack) gehört schnell zur Szene: Er gibt mehrere Jahre das Bodenseebuch heraus. Mit dem Konstanzer Maler Karl Einhart gründet er 1925 die Künstlervereinigung Der Kreis. Diese Gruppe leitet er, bis 1937 die Nazis viele der rund 50 Mitglieder als „entartet“ einstufen und internationale Ausstellungen unmöglich machen. Überregional bekannt sind heute vor allem die Maler Adolf Dietrich, Hans Purrmann und Rudolf Wacker.

Klatsch ist ein Hauptpläsier von Jacques, seinen Aufzeichnungen entgeht kein Nachbar. Den Architekten Henry van de Velde trifft er ebenso wie zum Beispiel den Dramatiker Carl Sternheim oder den Maler Ernst Ludwig Kirchner. Wenn Andersen Nexö (Pelle, der Eroberer) mit „seinem breiten Hut daherkam, konnte man meinen, Gottvater selber schritte durch Konstanz…“ Manchmal kommt Hermann Hesse über den Rhein gerudert. Theodor Heuss, später Bundespräsident, erinnert sich noch lange an haarsträubende Feste mit „dem Luxemburger“, dem er „die breite Sinnenhaftigkeit des naiv genießenden Menschen“ bescheinigt.

Oberhalb von Lindau kauft Jacques 1920 einen Bauernhof. Er wird deutscher Staatsbürger, sesshaft mit Blick auf Bregenzer Bucht und Schweizer Alpen. Falls er nicht gerade über die Anden reitet oder ein „Afrikanisches Tagebuch“ schreibt. Seine größte Inspiration findet er jedoch zufällig auf einem Bodensee-Dampfer: Ein Passagier, wohl ein Schieber, vereint für ihn „das Große und das Böse unserer Zeit“. Die Visage bringt ihn auf die Idee zu dem Buch, das berühmter wird als er selbst.

In einem Vorarlberger Gasthaus schreibt er in zwei Wochen Dr. Mabuse, der Spieler. Von S.Fischer abgelehnt, erscheint der Schurken-Roman 1921 bei Ullstein. Die Verfilmung ist für den Regisseur Fritz Lang der Durchbruch. Wurde Jacques anfangs von der Kritik gepriesen und vom Publikum verschmäht, wird das jetzt umgekehrt: Ein Schmachtfetzen jagt den nächsten. „Je höher die Honorare sausten, um so tiefer tauchte der Poet“, ätzt ein Journalist.

Der Nazi und seine Jüdinnen!

Wieso von den Nazis die Satire Die Limmburger Flöte verboten wird, weiß man nicht. Dass eine übergewichtige Hauptfigur die Luxemburger Nationalhymne furzt, ist jedenfalls „unerwünscht“. Das mit Fritz Lang verfasste Testament des Dr. Mabuse wird auch verboten, angeblich von Goebbels persönlich. Als die Lokalzeitung hetzt, schmeißt die Lindauer Hitlerjugend bei Jacques‘ Hof die Fenster ein. Der Autor mit dem undeutschen Namen wird für ein paar Wochen von der Gestapo inhaftiert.

Exil ist für den konservativen Patrioten kein Thema. Von seiner jüdischen Frau lässt er sich 1940 scheiden; er heiratet Maria Jäger, eine 24-jährige Büroangestellte aus Bregenz. In der Schweiz erbettelt Jacques aber Devisen, damit Grete über Luxemburg in die USA fliehen kann. Seinen „halbjüdischen“ Töchtern Aurikula und Adeline verschafft er die luxemburgische Staatsbürgerschaft. Der deutschnationalen Gesinnung tut das keinen Abbruch: Mit Artikeln und drei Vortragstourneen trommelt Jacques für das Deutschtum in Luxemburg. Dort wird er damit endgültig zur persona non grata, zumindest nach dem Krieg.

Die Franzosen übernehmen 1945 am nördlichen Bodensee das Kommando. Sie machen Jacques (NS-Verfolgter, kann Französisch) für kurze Zeit zum Bürgermeister der Gemeinde Sigmarszell. Dann stecken sie ihn als Nazi für fünf Monate in ein Lager bei Lindau und deportieren ihn nach Luxemburg, damit ihm der Prozess wegen Landesverrat gemacht werde. Nach Untersuchungshaft von März bis Juli 1946 im Stadtgefängnis Luxemburg wird er jedoch ohne Anklage ausgewiesen.

Sex und Drogen bis zum Schluss!

Zurück auf seinem Hof, gibt Jacques bereitwillig zu, während der NS-Zeit „Schuld auf mich“ geladen zu haben. Er besorgt sich Persilscheine für seine „Entnazifizierung“ und ist wieder gut im Geschäft mit Zeit, Welt & Co. Auf über 1 000 Seiten schreibt er seine Autobiografie Mit Lust gelebt (der Teil ab 1933 wird erst 2004 veröffentlicht).

Jacques‘ dritte Tochter Bibiane wird 1951 geboren. Als 72-jähriger macht er im Jahr darauf seine letzte große Reise durch Südamerika. Unterwegs zum Weinfest in Traben-Trarbach stirbt er am 15. Mai 1954 in einem Hotel in Koblenz an Herzversagen. Postum erscheinen Zwei Sterne über dem Säntis. Roman einer grossen Liebe und Bei einem Wirte wundermild, ein Führer zu Deutschlands Wirtschaften. Sein Hof wird von Exfrau Grete und Tochter Adeline noch ein paar Jahre als Pension betrieben. Außer dem Norbert-Jacques-Weg im Dorf Thumen bei Lindau erinnert bald nichts mehr an den einst millionenfach gelesenen Bestseller-Autor.

Die Ausstellung Norbert Jacques. Mit Lust gelebt am Bodensee ist noch bis 15. Juni in Gaienhofen zu sehen. Hermann Gätje und Inga Pohlmann haben dazu im Drey-Verlag Gutach einen Begleitband herausgegeben: hesse-museum-gaienhofen.de

Martin Ebner
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