Das Gleichstellungsministerium will die Arbeit mit Tätern häuslicher Gewalt verstärken. Aber wie wirksam sind die Programme?

Raus aus der Gewalt

d'Lëtzebuerger Land vom 05.02.2021

Lebenslänglich. Ein Jahr ist es her, dass ein Berufsgericht das Urteil gegen einen Mann bestätigte, der seine Frau 2015 mit sechs Schüssen regelrecht hingerichtet hatte. Der Täter wollte Strafmilderung, weil er die Tat bereue. Eine Sichtweise, die der Generalstaatsanwalt und das Gericht nicht teilten: Der Mann hatte behauptet, seine Frau nie geschlagen zu haben. Dabei war er über drei Jahrzehnte immer wieder wegen häuslicher Gewalt polizeilich aufgefallen.

Was bringt jemanden dazu, seine Partnerin über Jahre zu quälen und zu schlagen? Und sogar umzubringen? Was tun, damit Beziehungskonflikte nicht in Gewalt eskalieren? Eine Antwort darauf soll das neue Anti-Gewaltprogramm bieten, das der Sozialträger Inter-Actions ab Sommer anbieten will. „Wir wollen Täter mit ihrem Gewaltverhalten konfrontieren. Um es zu überwinden, müssen sie es zunächst erkennen“, sagt Virginie Giarmana, verantwortlich für das Programm, das das Gleichstellungsministerium zunächst mit 60 000 Euro bezuschusst. Die zuständige Ministerin Taina Bofferding (LSAP) will damit ausdrücklich auch Frauen ansprechen: „Jeder Person, die Gewalt ausübt, soll geholfen werden.“ In der Pressemitteilung waren Frauen sogar den Männern vorangestellt („eine Frage der Schreibweise“, so die Pressestelle), was Frauenorganisationen sauer aufgestoßen war. Nichtsdestotrotz schreibt das Ministerium, dass Gewalt hauptsächlich von Männern ausgeübt wird (von rund 850 Polizeieinsätzen wegen häuslicher Gewalt waren knapp 70 Prozent der Täter männlich; tödliche Beziehungsgewalt wird zu über 90 Prozent von Männern begangen. Für 2020 liegen noch keine Zahlen vor).

In anfänglich drei Gruppen zu je sechs bis zehn sollen Gewalttäter lernen, Verantwortung für ihr Verhalten anzunehmen und Alternativen trainieren. Dies mit Hilfe von Anti-Gewalttrainern und nach einer Methode, die in Deutschland anerkannt ist und die in der Sozialarbeit von Jugendhäusern und Schulen in Luxemburg Einzug gehalten hat: die konfrontative Täterarbeit nach Ulrich Krämer aus Erftstadt. 

Der Gründer und Inhaber von kraemer-trainings-de weiß auf Land-Nachfrage zwar nichts vom konkreten Inter-Actions-Projekt, bestätigt aber, dass Erzieher aus Luxemburg bei ihm in Schulung waren. Die Grundausbildung dauert 250 Stunden. „Darauf baut die Zusatzausbildung zur häuslichen Gewalt auf“, so Krämer, der betont, wie wichtig die Kooperation beim Kampf gegen Gewalt sei: „Polizei, Justiz, Frauenorganisationen, Täterarbeitsgruppen müssen zusammenarbeiten, damit sich Gewaltverhalten nicht wiederholt. Täterarbeit ist Opferschutz.“ Lange Zeit tummelten sich in dem Feld viele Ansätze und Anbieter ohne jegliche Qualitätskontrolle. Inzwischen gebe es Standards, so die in Zusammenarbeit mit dem Bundesfamilienministerium herausgegebenen Leitlinien der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt. „Es ist gut, dass es diese endlich gibt“, so Krämer. Wie die Bundesarbeitsgemeinschaft versteht er seinen Ansatz nicht als Psychotherapie, sondern als Verhaltenstraining: „Gewalttätiges Verhalten ist erlernt. Gewaltfreie Konfliktstrategien können ebenso erlernt werden“, betont er.

„Prinzipiell begrüßen wir, dass es ein zusätzliches Angebot für Täter gibt“, sagt Andrée Birnbaum. Dass mehr über Beziehungsgewalt geredet werden muss, in Schulen, in Jugendhäusern, aber auch unter Erwachsenen, fordert die Direktionsbeauftragte vom Femmes en détresse, dem größten Träger von Frauenhäusern und Opferhilfestrukturen im Land, seit Jahren. „Wir brauchen andere gewaltfreie Rollenvorbilder, besonders für Männer“, betont sie. „Uneinsichtige Gewalttäter müssen zur Täterarbeit verpflichtet werden, wenige Stunden Beratung reichen nicht aus.“ Diese Woche traf sich ihr Team mit Inter-Actions, um das neue Angebot kennenzulernen.

Das Ministerium hatte auf Land-Nachfrage geschrieben, das Konzept sei in „enger Abstimmung mit den anderen Akteuren in dem Bereich ausgearbeitet“ worden. Das scheint aber so nicht der Fall zu sein: Die Beratungen haben erst begonnen, sagt Giarmana. Dem Hauptakteur in diesem Bereich, sozusagen Luxemburgs Pionier, Riicht eraus, war bekannt, dass ein neues Angebot komme: „Wie sie arbeiten, was sie konkret machen, wissen wir noch nicht“, so Laurence Bouquet, Leiterin der Beratungsstelle.

Beide Täterprogramme sind nur bedingt vergleichbar. Auf der Webseite von Riicht-eraus-Träger Rotes Kreuz steht kaum etwas zu Methode und Hintergründen; Riicht eraus ist historisch aus dem Hamburger Ansatz Männer gegen Männergewalt von Joachim Lempert entstanden, wurde weiterentwickelt und wendet sich heute an Männer und Frauen. „Auch Frauen können gewalttätig sein. Wir haben Frauen in der Beratung, obwohl ihr Anteil mit etwa zehn Prozent deutlich geringer ist“, wie Bouquet einräumt. Dass Täter/innen ihr gewalttätiges Verhalten einsehen, haben beide Programme zum Ziel. Aber bei Riicht eraus geschieht dies in Einzelberatung. „Sich Gewalt einzugestehen, ist oft schambesetzt. Gewalt im Nahbereich ist eine intime Angelegenheit. Daher meinen wir, ist es besser, die Probleme in einem Einzelgespräch anzugehen“, so die gelernte Kriminologin. Die sechs Mitarbeiter, darunter zwei Psycholog/innen (insgesamt 3,5 Vollzeitstellen), haben eine zweijährige Ausbildung nach dem Phaemo-Ansatz von Lempert absolviert. Zu dessen Grundsätzen zählen: Verurteilung der Tat, nicht des Täters, Stärkung der Selbstwahrnehmung, aber auch Differenzierung in der Arbeit zwischen gewalttätigen Männern und Frauen, um „die Auswirkungen der geschlechtsspezifischen Sozialisation zu berücksichtigen“.

Es gibt einen weiteren Unterschied: Anders als beim Anti-Gewalttraining à la Krämer geschieht dies nicht im Rahmen einer festen Anzahl von Beratungsstunden, sondern je nach Fall und Bedarf. „Manche sind offener und sehen ihr Fehlverhalten schneller ein, andere brauchen dafür länger“, erklärt Bouquet. Rund 60 Prozent der Klienten kommen freiwillig, 40 Prozent werden von der Justiz im Rahmen einer Wegweisung geschickt. Zur Beratung tatsächlich erscheinen tut jeder Vierte nicht. Wie erfolgreich der Ansatz ist, ob er erneutes Gewaltverhalten dauerhaft verhindert, bleibt indes unklar: Eine belastbare, unabhängige Auswertung gibt es bis heute nicht und wurde offenbar nie verlangt. „Wir können schlecht selbst bei unseren Klienten später nachfragen“, sagt Bouquet. Immerhin soll das Inter-Actions-Projekt Ende 2022 „auf seinen Impakt“ hin evaluiert werden, verspricht das Gleichstellungsministerium. Das fällt gut: Dann ist auch der Länderbericht von Grevio fällig: Die Expertengruppe des Europarats in Straßburg analysiert, wie gut Luxemburg die Istanbuler Konvention gegen häusliche Gewalt umgesetzt hat.

Ein Blindfleck, der sich aufdrängt: Wenn vorrangig diejenigen in die Täterberatung kommen, die ohnehin eine gewisse Einsicht haben, erreichen diese Programme Wiederholungstäter überhaupt? Rund 15 Prozent der Gewalttäter, die der gemeinsamen Unterkunft verwiesen wurden, wurden binnen fünf Jahren mehr als einmal verwiesen, und bei mehr als 43 Prozent der Fälle waren die Täter wegen Beziehungsgewalt polizeibekannt. Sie sind es, die der Polizei und Frauennotrufe Kopfzerbrechen bereiten, da von ihnen häufig ein erhebliches, wenn nicht lebensbedrohliches Risiko für das Opfer ausgeht.

Oftmals sind Gewalttäter eben nicht einsichtig, sondern schieben ihre Schuld dem Opfer zu: Es habe sie provoziert und deshalb Strafe „verdient“. Manche Täter beschimpfen, erniedrigen, schlagen; andere vergewaltigen, kontrollieren zwanghaft und drohen sogar mit Mord. In Deutschland sehen die Standards der Bundesarbeitsgemeinschaft daher zwingend eine Diagnostik zu möglichen Rückfällen vor. Ist ein erneuter Gewaltausbruch zu erwarten, versucht der Mann trotz Wegweisung die Frau zu kontaktieren oder stellt ihr nach, soll dies unbedingt der Polizei und dem Frauenhaus gemeldet werden, damit sie das Opfer warnen und den Schutz anpassen können. Täterarbeit ist dort ausdrücklich keine Therapie. Sexualstraftäter und Männer mit psychischen Störungen werden in Spezial-Programmen behandelt.

Eine solche Risikoanalyse vorzunehmen, lehnt das Team um Riicht eraus allerdings ab: „Wir wollen den Klienten unvoreingenommen begegnen“, sagt Laurence Bouquet. Beim Phaemo-Ansatz seien Unvoreingenommenheit, Respekt und Vertrauen zentral: „Wir sehen den Menschen, so wie er zu dem Zeitpunkt ist, wenn er zu uns kommt.“ Was aber, wenn er ein Psychopath oder ein Narzisst ist, der manipuliert, Freude am Leid des anderen empfindet, absolute Kontrolle will und sein Fehlverhalten partout nicht einsieht? „Ich glaube nicht, dass solche Menschen den Weg zu uns finden; allenfalls über das Gericht“, sagt Bouquet. „Ein Narzisst wird eigene Fehler nicht einsehen und deshalb kaum ernsthaft bei uns mitmachen.“ In der (Rechts-)Psychologie gelten Gewalttäter mit antisozialen Persönlichkeitsstörungen als besonders gefährlich.

Riicht eraus lehnt die Mitwirkung an Risikoprognosen aus einem weiteren Grund ab: „Das Instrument wurde für Männer entwickelt.“ Die Aussage ist insofern bemerkenswert, weil der Gründer von Phaemo nicht nur aus der Männerarbeit stammt, sondern Lempert in seinem Konzeptpapier selbst schreibt: „Das markanteste Merkmal von Gewalttätern ist ihr Geschlecht. Gewalttätig werden in der Regel nicht Menschen, sondern Männer.“ Auch von Therapie in dem Sinne, die Täter seien früher selbst Opfer von Gewalt gewesen, grenzt sich Lempert ab; um Tätern keine Entschuldigung für ihr Fehlverhalten zu geben. Allerdings: Gibt ein Täter in der Beratung an, sein/e Opfer weiter zu belästigen, meldet Riicht eraus dies der Polizei; informiert aber zudem ihren Klienten über diesen Schritt. „Wir haben schon Täter zur Selbstanzeige begleitet“, so Bouquet.

Die Gefährlichkeitsprognose ist für die Früherkennung und rechtzeitige Unterbrechung eskalierender Gewaltspiralen unerlässlich und inzwischen europaweit anerkannt: Polizeidienststellen und Notrufe in Großbritannien, Deutschland, Skandinavien arbeiten damit; in Luxemburg wirbt Femmes en détresse für das Instrument: „90 Prozent der Feminizide werden von Männern begangen. Wenn wir nur einen davon verhindern können, ist das Grund genug“, so Birnbaum. „Niemand ist dagegen, das Instrument weiterzuentwickeln.“ Die Methodik wurde in der Vergangenheit mehrfach überarbeitet: Zu Beginn stand das individuelle Gewaltverhalten im Fokus: Nahm die Gewalt zu, veränderte sie sich in der Intensität? Waren es zu Beginn „nur“ Beschimpfungen und Erniedrigungen, folgten Faustschläge? Gibt es Morddrohungen?“ Inzwischen werden bei der Risikoanalyse auch äußere Anlässe berücksichtigt, etwa ein drohender Verlust von Arbeit, Wohnung oder Partner/in. „Trennungssituationen sind für die betroffenen Frauen oft lebensbedrohlich“, so Birnbaum.

Studien haben ergeben, dass Bedrohte ihre Gefährdungslage zumindest kurzfristig recht verlässlich einschätzen können. Kommt es zu Fehleinschätzungen, dann eher, weil die Frauen oder aber leider auch die Behörden das Bedrohungspotenzial unterschätzen. Oft haben Gewalttäter ihre Tat zuvor angedeutet oder sogar angekündigt. Bloß werden diese Anzeichen nicht ernstgenommen, übersehen oder, manchmal aus Datenschutzgründen, nicht (mit)geteilt: So geschehen beim Mord in Esch/Alzette im Sommer vor zwei Jahren, als ein Mann seine Partnerin einen Tag, nachdem er von der Polizei wegen massiver Gewalt aus der Wohnung verbannt wurde, mit einem Messer angriff: Bei ihr kam jede Hilfe zu spät.

Ines Kurschat
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