Frauen in Ingenieursberufen

Bloß nicht Kiné oder sowas!

d'Lëtzebuerger Land vom 01.05.2003

"Porte Ouverte" im Institut Supérieur de Technologie auf dem Kirchberg. Guy Waringo, Leiter der Sektion Bauingenierwesen, und die Professorin Danièle Waldmann-Diederich geleiten eine Gruppe Lyzeumsschüler durch die Sektionslabors, führen Maschinen zur Baustoffprüfung vor, erzählen von Forschungsprojekten und diskutieren mit ihren Gästen, welches das heutzutage wohl günstigste Konstruktionsprinzip für Hochhäuser ist. Acht junge Männer nehmen teil am Rundgang. Die Regel, sagt Danièle Waldmann-Diederich, seien derart reine Männergruppen nicht. "Gerade für das Bauingenieurwesen interessieren sich auch viele Schülerinnen. Vielleicht, weil das Fach nah bei der Architektur liegt."

Tatsächlich schneidet das Bau-Fach an Luxemburgs einziger technischer Hochschuleinrichtung, was die Geschlechterparität angeht, besser ab als die anderen. 16 Prozent der dort zu Beginn des neuen Studienjahres am 1. Oktober 2002 Eingeschriebenen waren weiblich. Die Informatiksektion bringt es auf einen Frauenanteil von 11,5 Prozent, die Elektrotechnik auf knapp zehn. Abgeschlagen rangiert der Maschinenbau an letzter Stelle mit 5,5 Prozent Studentinnen - vier Frauen gegenüber 68 Männern.

Um die Verhältnisse zu verbessern, mehr Schülerinnen für ein Technikstudium zu interessieren, schloss das IST sich vor fünf Jahren einem in Deutschland geborenen europäischen Projekt an. Ada Lovelace (www.ada-lovelace.org) heißt die Initiative - benannt nach der englischen Mathematikerin (1815-1852), die mit Charles Babbage an der ersten "analytical machine" arbeitete und dafür 1841, im Alter von 26 Jahren, ein Konzept  zur Verarbeitung von Zufallszahlen schrieb, das heute als erstes Computerprogramm der Wissenschaftsgeschichte gilt.

In Luxemburg startete "Ada Lovelace" 1999. Seitdem organisiert die Initiative Diskussionsforen und Konferenzen zum Frauentag am 8. März, ist jeden Herbst mit einem Stand auf der Foire des étudiants vertreten, gibt Informationsmaterial heraus, in dem ehemalige IST-Studentinnen, die heute im Beruf stehen, junge Frauen ermutigen, einer technischen Neigung nachzugeben, wenn sie besteht.

Denn nach wie vor scheint zu gelten, was das IST 1997 in einer Umfrage unter Lyzeumsschülerinnen erhob: Dass diese sich oftmals für typische Frauenberufe entschieden, weil die auch von den berufsberatenden Instanzen "massiv propagiert" werden, und dass sie außerdem in ihre Berufsplanung eine Familienplanung einbeziehen, in die allem Anschein nach eine Beschäftigung in dem als "Männerdomäne" verschrienen Technik-Sektor nicht passt. Weshalb Patrizia Arendt, Ada-Lovelace-Koordinatorin am IST, zwar froh darüber ist, dass der Anteil weiblicher Studenten am IST heute insgesamt elf Prozent beträgt, wo er zwischen 1995 und 1997 noch zwischen drei und fünf Prozent lag. Zurückzuführen sei die gute Bilanz aber auch auf Pilotprojekte, die IST und Luxemburger Regierung mit Ländern wie China oder Kamerun abgeschlossen haben und die mit einem Schlag mehr Studentinnen in ganzen Klassen an die Hochschule brachten. Zu glauben, Ada Lovelace hätte hier zu Lande schon einen Umschwung eingeleitet, hält Patrizia Arendt für "ein bisschen gewagt im Moment". Eines aber zeige der Ausbildungsalltag am IST: "Die Leistungen von Frauen sind nicht schlechter als die von Männern." Häufig seien sie sogar besser. Der Beststudent an der Elektrotechniksektion im vergangenen Jahr beispielsweise war weiblich. Auch Studienabbrüche gebe es bei Studentinnen wie Studenten ungefähr gleich oft.

Zumindest aber eine besonders hohe Motivation scheinen Ingenieurstudentinnen zu haben. "Exotinnen sind wir nicht", sagt Kathy Bauer, die 1993 ihr Elektrotechnikstudium am IST abschloss und heute im Service radiotechnique auf dem Flughafen arbeitet, wo Landeeinrichtungen und Radaranlagen installiert und gewartet werden. Sie studierte mit einer weiteren Frau neben 30 Männern. Nadine Tornambé-Duchamp, Bauingenieurin und seit über 15 Jahren im Beruf, war während ihres Studiums eine von vier Frauen neben 60 Männern, die Maschinenbauingenieurin Pascale Steinbach studierte am IST ohne Kommilitoninnen in ihrem Fach. Alle drei waren jedoch schon während der Schulzeit mit ihren technisch-naturwissenschaftlichen Neigungen weitgehend allein. "Aber dass ich auf dem Lyzeum das einzige Mädchen an der Mathesektion war", sagt Nadine Tornambé-Duchamp, "hat mich nie gestört." Freilich: Viele Probleme stellen sich erst später, im Beruf. Aber sich durchzusetzen, das müssten Männer wie Frauen gleichermaßen lernen, sagt Pascale Steinbach, die in einem großen Industriebetrieb lange Zeit eine Produktionsabteilung leitete, in der 100 Männer in drei Schichten arbeiteten, und Nadine Tornambé-Duchamp, die von der Tätigkeit in Beratungsbüros bis zur Leitung von Baustellen so ziemlich alles kennt, was das Bauwesen zu bieten hat, kennt sowohl Frauen, "die lieber nichts mit Bauplätzen voller Männer zu tun haben möchten", als auch "Männer, die sich nicht gern ihre Schuhe schmutzig machen". Aber auch "viele Frauen, die sagen: Stiefel an, Helm auf, und los!"

Derart entschlossene Ingenieurinnen gefallen selbstverständlich Frauenministerin Marie-Josée Jacobs. Jahr für Jahr wohnt die Ministerin während der "Porte ouverte" am IST der Auszeichnung leistungsstarker Studentinnen bei. "Wer so viel Selbstvertrauen hat, braucht unsere Unterstützung und die von Projekten wie Ada Lovelace vielleicht nicht. Aber die weniger Entschlossenen, die schon." Nicht nur mit einer zu niedrigen Frauenbeschäftigungsquote ist Luxemburg konfrontiert, eine Erhebung der EU-Kommission ergab im letzten Jahr auch einen unterdurchschnittlichen Anteil der Akademikerinnen hier zu Lande: 15 Prozent gegenüber 21 Prozent EU-weit; Finnland und Irland bringen es auf 36 bzw. 33 Prozent. Demgegenüber standen 2002 in Luxemburg 31 Prozent der Männer mit Hochschulabschluss. Auch geschlechtsabhängige Einkommensunterschiede bestehen noch. In seinem Aktivitätsbericht 2002 spricht das Frauenministerium von einem Unterschied im Salär von 28 Prozent zwischen Männern und Frauen. Selbst wenn man in Rechnung stelle, dass Frauen aus familiären Gründen ihre Berufslaufbahn häufiger unterbrechen und seltener Überstunden leisten würden, bliebe eine "unerklärliche" Zwölf-Prozent-Differenz übrig. Mehr Frauen für hochqualifizierte Technikberufe zu interessieren, könnte dem abhelfen, hofft Marie-Josée Jacobs.

"Une prédominance des femmes pour le secteur des services et une forte absence dans l'industrie" erhebt das Frauenministerium allerdings ebenfalls noch immer. Wie groß der Frauenanteil in Ingenieurberufen und im Technikstudium inklusive Unis im Ausland ist, ist unbekannt; dass er sehr klein ist, kann jedoch vermutet werden. Das Statistikamt Statec verfügt über keine Angaben zur Zahl der Ingenieurinnen hier zu Lande, will sie erst in den nächsten Wochen aus den Ergebnissen der Volkszählung 2001 ziehen. Bei der Association luxembourgeoise des ingénieurs sind unter den 1 197 Mitgliedern lediglich 37 Ingenieurinnen, und die Association nationale des étudiants ingénieurs verzeichnet in ihrer Kartei 136 Studenten, aber nur 14 Studentinnen. Im Vorfeld des am 8. Mai zum zweiten Mal stattfindenden Girl's Day, der Schülerinnen Einblicke in insgesamt 35 Betriebe vom Industrieunternehmen bis zur Radio-Redaktion bieten wird, ist das Interesse an Technikberufen klein, sagt Christa Brömmel, die Projektverantwortliche vom Fraueninformationszenrtum cid-femmes. Bislang wurden 155 Schülerinnen in die Girl's-Day-Schnupperkurse vermittelt. Die meisten noch offenen Plätze aber gebe es in der Industrie, während sie für Medienberufe und Grafikdesign schon lange ausgebucht sind.

Man müsse viel früher unter Mädchen für Technikberufe werben, meint Christa Brömmel. Das findet auch Patrizia Arendt vom Ada-Lovelace-Projekt, und der Industriellenverband Fedil, der in einer kürzlich abgeschlossenen Erhebung unter seinen Mitgliedsbetrieben festhielt, dass auch bei verlangsamter Konjunktur der Arbeitskräftebedarf wachsen werde, und das bei steigenden Anforderungen an die Qualifikation, versucht bereits in den 9e-Klassen das Interesse an der Technik zu stärken.

Ob der Schulalltag hemmend oder begünstigend wirkt, ist gegenwärtig noch eher Studiengegenstand als gesicherte Erkenntnis. Es gebe gegenüber der Industrie ganz allgemein viele Vorbehalte, bedauert Christiane Bertrand-Schaul, Beraterin bei der Fedil: schmutzig und laut, als sei ihre bloße Existenz ein einziger Verstoß gegen die Kommodo-Gesetzgebung. Eine 1997 vom Unterrichtsministerium durchgeführte Analyse Mädchen und Technik ergab, dass im Sekundarunterricht die mathematisch-naturwissenschaftlichen Leistungen von Mädchen und Jungen gleich sind, die von Mädchen bisweilen sogar höher. Dennoch ist an den klassischen Lyzeen, wenn die Wahl an die Spezialisierung geht, der Anteil der männlichen Schüler an den mathematisch-physikalischen Sektionen plötzlich höher, und auch im technischen Sekundarunterricht sind Frauen viel stärker in Bereichen wie Handel, Hotel- und Gaststättenwesen oder Krankenpflege vertraten als etwa in Mechanik oder Elektrotechnik. Bemühungen, den mathematisch-physikalischen Unterricht "anschaulicher" zu gestalten, weil dies als eine Voraussetzung angesehen wurde, dass Mädchen nicht "aussteigen", laufen im Rahmen der Professorenweiterbildung. Aufschluss über ihre Wirksamkeit dürfte auch die nächste Pisa-Bewertung Luxemburgs durch die OECD liefern, bei der Mathematik und Physik Schwerpunkte sind.

Dass Rollenmuster, Elterneinfluss und Vorstellungen von Familie von Bedeutung für die Berufswahl der Schülerinnen sind, dürfte klar sein, wenngleich es aus der Mädchen und Technik-Studie nur als Frage zurückbehalten wurde, die weiter zu untersuchen sei. "Was ich will, das kann ich", sagte Ada Lovelace, die Mathematikerin. Allerdings heiratete die Tochter des Dichters Lord Byron den Earl of Lovelace und mag als Lady Lovelace einige Freiheiten der englischen Upper class genossen haben. Im Luxemburg unserer Tage setzen trotz aller vom Frauenministerium unterstützten "actions positives" zur Verbesserung der Chancengleichheit in den Betrieben nicht nur die Anforderungen der Unternehmen nach umfangreicher zeitlicher Disponibilität denen Karrieregrenzen, die sich stark in ihre Familie investieren wollen - manchmal bricht die Freiheit sich schon am Gartenzaun des Elternhauses: "Als unsere Nachbarin erfuhr, dass ich Ingenieurin werden wollte", erzählt Kathy Bauer, die Elektrotechnikerin, "sagte sie zu meiner Mutter: Sieh bloß zu, dass deine Tochter etwas Richtiges lernt! Kiné oder so ... " So dass Ingenieurinnen, auch wenn sie es nicht sein wollen, doch noch Exotinnen sind.

Peter Feist
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